Jungfrau, Mönch und Eiger, Postkarte, Ende 19. Jahrhundert.
Jungfrau, Mönch und Eiger, Postkarte, Ende 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum

Ansichts­post­kar­ten, des Briefträ­gers liebste Fracht

Die einen sammeln Sticker von Fussballstars, die anderen Rahmdeckeli. Liny Picard hortete Ansichtspostkarten. Ein Glück für die Nachwelt, denn die Karten erlauben uns einen Blick in die Schweiz des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Bereits als elfjähriges Mädchen begann Liny Picard (1885-1974) mit dem Sammeln von Schweizer Ansichtspostkarten. So entstand eine Sammlung von rund 700 Karten aus der Zeit zwischen 1896 und 1909. Nach der Schulzeit in Zürich besuchte Liny ein Mädcheninternat in Neuchâtel und danach eine Haushaltungsschule in Herisau. Die an beiden Orten entstandenen Freundschaften widerspiegeln sich in gegenseitigen Postkarten-Grüssen. Viele Karten der Sammlung zeigen den Ansichtskartenboom um die Jahrhundertwende in exemplarischer Weise.
Gruss vom Rheinfall. Die Postkarte wurde 1898 verschickt.
Gruss vom Rheinfall. Die Postkarte wurde 1898 verschickt. Schweizerisches Nationalmuseum
1902 wurden in der Schweiz 22 Millionen Ansichtspostkarten aufgegeben. Acht Millionen davon wurden im eigenen Land hergestellt. Die Schweiz hielt damit europaweit den Rekord im Ansichtskartenversand. Das Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Ansichtspostkartenfieber erfasste alle Bevölkerungsschichten und stand in direktem Zusammenhang mit dem aufblühenden Tourismus. Durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes, sinkenden Fahrpreisen und steigenden Einkommen konnten immer mehr Menschen reisen. Dabei trafen sie auf prächtige Bahnhofsbauten, Postgebäude oder Grandhotels, welche die Städtebilder prägten und beliebte Sujets der Ansichtspostkarten waren. Ein Gruss nach Hause war da fast Pflicht und freute auch den Briefträger, der den schönen Anblick gleich mitgeniessen konnte.
Postkarte an Liny Picard, 1898.
Postkarte an Liny Picard, 1898. Schweizerisches Nationalmuseum
Vor der Einführung des Telefons wurde die Post mehrmals täglich ausgetragen. So ist es nicht erstaunlich, dass auch kurzfristige Termine per Ansichtspostkarten vereinbart wurden. Meetings werden heute sicher nicht mehr durch Postkarten vereinbart, aber als bunter Feriengruss hat die Karte noch längst nicht ausgedient. Auch, weil mit diversen Apps eigene Postkarten kreiert und verschickt werden können. Geniessen Sie also die Ferien und schreiben Sie (wieder) mal eine Postkarte. Der Briefträger wird's Ihnen danken.

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