Das Kloster Einsiedeln um 1840/1850. Öl auf Holz. Kloster Einsiedeln, Kunstsammlung. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Reisen für das Seelenheil

Seit über 1000 Jahren pilgern die Menschen ins Kloster Einsiedeln zur Schwarzen Madonna. Ein Rückblick.

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner hat Anglistik und Politikwissenschaften studiert und arbeitet bei der Kommunikation des Schweizerischen Nationalmuseums.

Das Kloster Einsiedeln blickt auf eine über 1000-jährige Geschichte zurück. Von Meinrads bescheidener Klause um 860 bis zur heutigen barocken Klosterkirche durchlebte die Abtei zahlreiche Blütezeiten, aber auch Krisen. Als eines der wenigen Klöster der Schweiz überdauerte es Reformation, Helvetik und den gesellschaftlichen Wandel. Entscheidend dafür war hauptsächlich die Bedeutung Einsiedelns als Pilgerort. Selbst als die Wallfahrt verpönt oder sogar verboten wurde, zog es Gläubige zur Gnadenkapelle in Einsiedeln. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es dort eine Statue der Maria mit dem Jesuskind, das sogenannte «Gnadenbild». Indem die Menschen dem Bild gegenübertraten, erhofften sie sich Heilung oder Erlösung.

Doch warum hatte ausgerechnet das Kloster Einsiedeln eine solche Anziehungskraft? Die Bedeutung der Pilgerstätte Einsiedeln geht auf die sogenannte Engelweihe zurück. Der Legende nach soll Jesus Christus selbst die Kapelle geweiht haben. Die päpstliche Urkunde, die das Ereignis bestätigt, war allerdings ein frommer Schwindel. Schon im 15. Jahrhundert kamen Zweifel an der Echtheit auf. Das Konzil von Basel (1431 – 1449) erklärte die Urkunde für gefälscht und somit die Privilegien von Einsiedeln für ungültig. Das letzte Wort hatte allerdings Papst Eugen IV. Dieser bestätigte trotz allem die mit der Engelweihe verbundenen Privilegien und damit auch die Absolutionsvollmacht des Pilgerortes Einsiedeln.

Reisend zum Sündenerlass

Im damaligen religiösen Verständnis hatte jeder Mensch Busse zu tun, um das Leiden im Fegefeuer zu verkürzen. Wohlhabendere Gläubige kauften sich Ablassbriefe, von der Kirche ausgestellte Urkunden, die den Käufer seiner Sünden entbanden. Wer sich das nicht leisten konnte, musste entweder das oft komplizierte kirchliche Verfahren zum Sündenerlass durchlaufen oder eine andere Busse tun. Aufgrund der Absolutionsvollmacht konnte ein Sünder durch die Pilgerreise nach Einsiedeln seine Zeit im Fegefeuer also beeinflussen. Aber nicht nur dem eigenen Seelenheil kam die Wallfahrt zugute, sondern auch bereits verstorbene Angehörige konnten so aus dem Fegefeuer erlöst werden.

Die grösste Krise seiner Geschichte erschütterte das Kloster nach der Französischen Revolution. Am 3. Mai 1798 marschierten französische Truppen in Einsiedeln ein. 14 Tage lang wüteten und plünderten 6000 Soldaten den heiligen Ort. Wertgegenstände wurden geraubt, Bilder und Bücher eingestampft und die Pferde verschenkt. Die Soldaten zerschlugen Mobiliar und Inneneinrichtungen und vergruben Reliquien auf dem Friedhof. Vor der Gnadenkapelle aber machte die Zerstörungswut der Soldaten halt. Die Kapelle wurde nicht blind zerstört, sondern Stein für Stein abgetragen. Das Heiligste, das so wichtige Gnadenbild, konnten die Mönche rechtzeitig in Sicherheit bringen. Mit der Maria im Gepäck gelang ihnen vor dem Überfall die Flucht. Den Franzosen hinterliessen sie eine Kopie, die prompt verschwand. Politisch erfolgte nach der Besetzung der Schweiz durch die Franzosen die Ausrufung der Helvetischen Republik. Im Zuge der Säkularisierung wurden nun Wallfahrten unterbunden und Klöster aufgelöst, so auch jenes von Einsiedeln. Bereits 1803 wurde das Kloster jedoch wiederbelebt. Als im 19. Jahrhundert europaweit eine neue Welle der Frömmigkeit einsetzte, begann auch für Einsiedeln eine neue Blütezeit. Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes, ebenfalls im 19. Jahr hundert, begann die Zeit der Massenwallfahrt: Um 1830 zog es jährlich rund 30’000 Pilger nach Einsiedeln. Heute besuchen pro Jahr eine halbe Million Pilger und Gäste das Kloster.

Darstellung der Engelweihe im Guttäterbuch, 1588-1785. Kloster Einsiedeln, Stiftsarchiv.

Pilger hängten Wachsvotive als Zeichen des Dankes an die Gnadenkapelle. Die Motive geben Aufschluss über die damit verbundenen Wünsche. 18. - 19. Jahrhundert. Kloster Einsiedeln, Kunstsammlung. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Kleider für die Schwarze Madonna. Foto: Inge Zinsli

Feier in der Klosterkirche Einsiedeln. Video: SRF

Ausstellungsporträt «Kloster Einsiedeln. Pilgern seit 1000 Jahren». Video: Schweizerisches Nationalmuseum

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