Blick auf das Haus «Zum Weissen Adler» am Rathausplatz von Stein am Rhein mit den ältesten an Ort und Stelle erhaltenen Fassadenmalereien aus der Renaissance in der Schweiz. Rechts im Bild die nordwestliche Ecke des Rathauses mit einem historistischen Wandbild von Carl von Häberlin (1900), links im Bild das Restaurant Adler mit Wandmalereien von Alois Carigiet (1956). Foto: Donat Stuppan, Schweizerisches Nationalmuseum

Pikante­rie und Pedanterie

Die Darstellungen der Motive Weiberlist und Männertorheit erfreuen sich in den Zeichnungen und Bildern, auf den Kabinettscheiben, Stickereien und Kachelöfen des Spätmittelalters und der Renaissance grosser Beliebtheit. Sie dienen gleichermassen der Schaulust und Belehrung.

Felix Graf

Felix Graf

Felix Graf, bis 2017 Kurator am Landesmuseum Zürich, ist freier Publizist.

Die Kaiserin, umarmt von einem Narren, steckt den Schwurfinger der rechten Hand in den Rachen einer auf dem Kapitell einer Rundsäule stehenden Löwenskulptur. Links davon steht der Kaiser in vollem Ornat, hinter ihm zwei Würdenträger. Hinter der Kaiserin und dem Narren verfolgen drei prächtig gekleidete Hofdamen die Szene. Die Kaiserin schwört, nie von einem anderen Mann umfasst worden zu sein als vom Narren und vom Kaiser. Der Löwe beisst nicht zu, weil sie dem Wortlaut nach nicht lügt. Es versteht sich von selbst, dass im Narrengewand ihr heimlicher Liebhaber steckt, der den Kaiser nicht nur zum Hahnrei, sondern auch zum Narren macht.

Thomas Schmid (zugeschrieben). Figurenfries mit dem in der Frührenaissance beliebten Bocca-della-Verità-Motiv am Haus Zum Weissen Adler in Stein am Rhein. Um 1518. Foto: Stadtarchiv Stein am Rhein.

Das Bocca-della-Verità-Motiv an der Fassade des Hauses Zum Weissen Adler in Stein am Rhein ist integrierender Bestandteil des im Triumph der Sapientia (Weisheit) über die Malitia (Bosheit) gipfelnden Bildprogramms, das die Themen Liebe, Gericht und Gerechtigkeit mit szenischen und allegorischen Darstellungen variiert.

Es handelt sich dabei um die frühesten an Ort und Stelle erhaltenen Fassadenmalereien der Renaissance in der Schweiz. Das unter Bundesschutz stehende, mittelalterliche Haus Zum Weissen Adler mit reichen Fassaden- und Wandbildern aus der Renaissance wird zurzeit von der Zunft zum Kleeblatt in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege des Kantons Schaffhausen baulich saniert, renoviert und restauriert. Die bau- und kunstgeschichtlich wichtigsten Räume sind ab Mai 2018 im Rahmen von Stadtführungen öffentlich zugänglich.

Blick auf die Fassadenmalereien am Haus Zum Weissen Adler. Der prominente Bilderfries mit der burlesken Treueprobe sticht den Passanten zuerst ins Auge. Das ist kein Zufall. Der Hausherr und Auftraggeber, der reiche Fernhändler und ehemalige Konstanzer Bürgermeister Sigmund Flar, rechnet mit seinem politischen Erzfeind, Kaiser Maximilian I., ab. Der Kaiser in der an ein Kasperletheater erinnernden Darstellung trägt unverkennbar die Züge Maximilians. Foto: Stadtarchiv Stein am Rhein.

Der Philosophenritt

Das Motiv des Liebesnarren und des betrogenen Ehemanns ist in der Frührenaissance nördlich der Alpen, insbesondere im Bodenseeraum und in der Eidgenossenschaft, äusserst beliebt. In das Repertoire der Männertorheit, der Weiberlisten und der Verkehrten Welt gehört auch der Schwank vom Ritt der schönen Kurtisane Phyllis auf dem Philosophen Aristoteles. Das Motiv taucht bereits im 14. Jahrhundert als dreiteiliges Wandbild in der Münsterkirche der Abtei Reichenau und im 15. Jahrhundert an der Fassade des Hauses der Leinenweber in Konstanz (nicht erhalten) auf.

Aristoteles hat seinem Schüler Alexander dem Grossen das Verlangen nach der schönen Phyllis ausgeredet, verliebt sich aber selbst in sie. Sie fordert, er müsse sich von ihr durch den Garten reiten lassen, bevor sie seine Liebe erwidere. Aristoteles willigt ein und macht sich zum Gespött seines Schülers.

Eine besonders schöne künstlerische Umsetzung des Philosophenritts präsentiert eine vermutlich in Basel entstandene Kabinettscheibe, die sich heute in der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums befindet. Als Vorlage diente eine Federzeichnung des Solothurner Goldschmieds und Reisläufers Urs Graf aus dem Jahr 1521. Das Mittelbild zeigt den von Phyllis gerittenen Philosophen vor einer fast schon romantisch empfundenen Felsenlandschaft. Mit der Linken führt die üppig dargestellte Kurtisane den altersschwachen Philosophen am Zaum, in der Rechten schwingt sie die Peitsche. Ein prächtiges Renaissance-Portal rahmt das Bild.

Anthoni Glaser (zugeschrieben). Glasgemälde mit Aristoteles und Phyllis nach einer Vorlage von Urs Graf. Wohl Basel, 1527.

Das Motiv findet sich auch auf einer Reliefkachel vom Ofen des Männergasthauses im Kloster Rheinau und auf einem Scheibenriss, dessen Eckbilder vier Exempel für Weibermacht und Männertorheit darstellen: oben links David und Bathseba, oben rechts Salomon beim Götzendienst, unten links Samson und Delila und unten rechts eben Aristoteles und Phyllis.

Grün glasierte Ofenkachel mit dem Motiv des Philosophenritts. Bodenfund. Schaffhausen, um 1500. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Das Hauptbild des Christoph Murer zugeschriebenen Scheibenrisses zeigt Daniel in der Löwengrube. Im Eckbild unten rechts Aristoteles und Phyllis. Zürich, um 1600. Lavierte Federzeichnung. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Bathseba im Bade

Im gleichen Motivkreis taucht auch die alttestamentliche Geschichte von David und Bathseba immer wieder auf. Sie gehört zu den beliebtesten Motiven auf den Winterthurer Kachelöfen, die in der protestantischen Schweiz des 16. Jahrhunderts neben Büchern, Einblattdrucken und Kabinettscheiben wichtige Träger von moralischen, belehrenden und historisch-politischen Bildinhalten sind. Mit Weiberlist hat die Geschichte allerdings nichts zu tun. Mit Männermacht und Machtmissbrauch dafür umso mehr. König David beobachtet von einer Dachterrasse seines Palastes aus Bathseba, die Frau seines Offiziers Uria, beim Baden. Anschliessend lässt er sie in sein Gemach bestellen und schläft mir ihr. Uria schickt er mit dem sprichwörtlichen Uriasbrief versehen an die Front und damit in den Tod. Auf einer Winterthurer Ofenkachel in der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums bildet eine reiche Renaissancearchitektur Rahmen und Bühne für die Darstellung der alttestamentlichen Szene. Tugend und Kunst gehen nunmehr eine enge Verbindung ein. Die Ehe gilt als eines der wichtigsten Fundamente des republikanischen Staats. Der Ehebruch Davids, wie er auf der Ofenkachel dargestellt wird, soll für Männer und Frauen eine Ermahnung zu Zurückhaltung und ehelicher Treue sein. Die Belehrung folgt der Schaulust auf dem Fusse. Und umgekehrt.

Ludwig Pfau I. Füllkachel mit König David und Bathseba beim Bade. Winterthur, 1575. Fayence, bemalt. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

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