Weltmeis­ter der Zeitmessung

Der Forscher und Uhrenfabrikant Paul Ditisheim aus La Chaux-de-Fonds war im 19. Jahrhundert der weltbeste Chronométrieur. Er perfektionierte die Ganggenauigkeit der Uhrwerke und galt über Jahrzehnte hinweg als «Weltmeister der Zeitmessung». 

Gabriel Heim

Gabriel Heim

Gabriel Heim ist Buch- und Filmautor sowie Ausstellungsmacher. Er befasst sich vor allem mit Recherchen zu Themen der Neueren Zeitgeschichte und lebt in Basel.

Eigentlich wollte Paul Ditisheim (1868-1945) Arzt werden, doch sein Vater, der seit 1858 in La Chaux-de-Fonds die Uhrenfabrik Ditisheim frères betreibt, schickt den 16-jährigen Sohn an die Ecole d’horlogerie. 1888 beginnen Pauls Wanderjahre, die ihn nach Paris, Berlin und Coventry führen wo seine Begabung für die Konstruktion von «Breguet-Tourbillons» und komplizierten Uhrwerken schnell erkannt wird. Mit nur 23 Jahren erhält er vom British Horological Institute ein «First Class Certificate». Trotz blendender Aussichten auf eine Karriere in der damals führenden Industrienation kehrt der junge Uhrmacher in seine Heimatstadt zurück wo er sich im schweizerischen Handelsregister als «Paul Ditisheim, fabricant» einträgt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind in der Uhrenmetropole la Chaux-de-Fonds beinahe die Hälfte aller «Patrons horlogers» jüdischer Abstammung, so auch die Ditisheims, die um 1850 mit ihren beinahe gleichlautenden Namensvettern Didisheim, Diedisheim oder Dietisheim aus dem elsässischen Sundgau über die Jurahöhen einwanderten.

Beste Uhr der Welt

Zwei Leidenschaften treiben den jungen Paul nach dessen Rückkehr an: Edle Schmuckuhren produzieren und höchste Präzision erreichen. 1892 gründet er seine Fabrik «Ditis» mit den Marken Solvil und Titus. Berühmt aber sollte er für die Ganggenauigkeit seiner Chronometer werden. Paul Ditisheim setzt sein ganzes Genie – und wohl auch sein Geld – dafür ein, um seinen Konstruktionen die Sekundenbruchteile zur absoluten Genauigkeit abzuringen. Die Erfolge bleiben nicht aus. 1895 verkündet der Londoner Daily Mail, dass der Ditisheim-Tourbillon einen 45 Tage dauernden Präzisionstest mit der Auszeichnung «beste Uhr der Welt» absolviert habe. Und im Jahr 1912 erringt er am damals tonangebenden astronomischen Observatorium von Kew bei London die Auszeichnung «Weltrekord der Chronometrie».

Paul Ditisheim ist ein Konstrukteur mit unbändigem Forscherdrang. Er will die Grenzen des Möglichen überschreiten. Das bringt ihm Aufträge der Royal Navy für Marinechronometer und für Instrumente der Polarforschung sowie bald darauf auch für die Ausrüstung der noch jungen Luftfahrt. Daneben konstruiert er Kleinstkaliber für Damenuhren. Die Extreme forderten ihn heraus. Gemeinsam mit dem Nobelpreisträger für Physik von 1920, dem Schweizer Charles-Eduard Guillaume, führt er grundlegende Studien zur Zeitmessung durch und publiziert in rascher Folge wissenschaftliche Traktate, die so philosophische Titel wie «Le problème de’heure», tragen. Auch als Fabrikant ist Paul Ditisheim erstklassig. An der schweizerischen Landesausstellung von 1914 in Bern stellt er 567 Uhren aus. Seine Marke Solvil war bekannt für Eleganz und Zierlichkeit.

Paul Ditisheim, Fabricant de Chronomètres à La Chaux-de-Fonds, circa 1905. Foto: ZVG

Zifferblatt eines Chronomètre SOLVIL. Foto: ZVG

Vater der Chronometrie

In jahrelangen Experimenten gelingt Paul Ditisheim der Nachweis, dass die Ganggenauigkeit von Uhrwerken wesentlich durch den jeweils herrschenden Luftdruck beeinflusst wird. 1924 belegt er dies mit einer spektakulären Versuchsanordnung von zwanzig Marinechronometern und einem Dutzend kleinster Armbanduhren auf dem 3135 m ü. M. gelegenen Gornergrat. Weitere Grundlagenforschungen widmet er dem Einfluss von Magnetfeldern auf Uhrwerke und der Anwendung bi-metallischer Legierungen in der Uhrenindustrie. Paul Ditisheim kann bis heute als «Vater der Chronometrie» gelten.

Seine ausgedehnten wissenschaftlichen Arbeiten führen dazu, dass Paul Ditisheim seine Fabrik 1929 verkauft um nach Paris zu ziehen. Dort wird er gemeinsam mit den Ingenieuren und Chemikern der Compagnie francaise de raffinage an der Synthese von Ölen und Schmiermitteln für Uhren und Präzisionsinstrumente arbeiten. 1940 verlässt Paul Ditisheim Paris. Er zieht nach Nizza und widmet sich von nun an hauptsächlich der Dokumentation seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Nach der Besetzung Südfrankreichs durch die Wehrmacht kehrt er 1943 in die Schweiz zurück. Am 7. Februar 1945 verstirbt Paul Ditisheim in Genf. Seine grossen Verdienste für die Entwicklung und Modernisierung der Uhrenindustrie sind wenig gewürdigt und deshalb weitgehend in Vergessenheit geraten.

Entwurf für ein grossformatiges Zifferblatt der SOLVIL, 1928. Foto: ZVG

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