Der Erweiterungsflügel mit Sicht in den Platzspitzpark, 2016. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum / Aura

Der lange Weg zur Erweiterung

Was 2016 endlich Realität wurde, hat eine über 100 Jahre dauernde Planungsgeschichte hinter sich. Finanzierungsfragen, Streitereien und eine Pensionierung verhinderten die Umsetzung des Erweiterungsbaus des Landesmuseums im 20. Jahrhundert.

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner hat Anglistik und Politikwissenschaften studiert und arbeitet bei der Kommunikation des Schweizerischen Nationalmuseums.

Die Idee einer Erweiterung des Landesmuseums ist im Grunde älter als das Museum selbst. Zürich bewarb sich 1890 als Standort für das soeben gegründete Nationalmuseum unter anderem mit dem Argument, dass sich das Gebäude auf dem Platzspitz «nach jeder Richtung organisch ausbauen und weiter entwickeln liesse». Schon beim Bau wurde klar, dass aufgrund der rasant wachsenden Sammlung das Museum bereits bei seiner Eröffnung 1898 zu klein sein wird.

Eine erste Vorstudie für eine Erweiterung gab es 1906. Ein Unsicherheitsfaktor dabei war die Zukunft der Kunstgewerbeschule, die im angehängten Ostflügel untergebracht war. Sollte die Schule in einen eigenen Bau umziehen, könnte das Museum nicht nur den Flügel übernehmen, sondern ihn auch in eine Erweiterung integrieren. Vor diesem Hintergrund legte der Stadtarchitekt und Erbauer des Landesmuseums, Gustav Gull, 1912 einen Erweiterungsplan vor. Dieser sah vor, gegen Westen einen Annex zur Sihl hin anzubauen und gegen Osten das Gebäude mit einem neuen Flügel entlang der Museumsstrasse zu erweitern. Dass Gustav Gull mit der Planung beauftragt wurde, war nicht im Sinne der Landesmuseumskommission, der ehemalige Direktor Heinrich Angst wehrte sich gar vehement dagegen. Er hatte sich während des von Problemen geprägten Baus des Museums mit dem Architekten zerstritten. Diese Streitereien sowie Unsicherheiten bei der Finanzierung und ständig wechselnde personelle Zusammensetzungen der Kommissionen zögerten den Entscheid über die Erweiterungspläne immer weiter heraus, bis sie schliesslich 1924 im Eidgenössischen Parlament als nicht dringlich zurückgestellt wurden.

Gustav Gull (1858-1942), der Erbauer des Landesmuseums in einem Porträtmedaillon am Westflügel des Landesmuseums. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Erweiterungsprojekt mit neuem Flügel an der Museumstrasse und Annex Richtung Sihl, Gustav Gull, 1915. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Die Mini-Erweiterung von 1935

Einige Jahre später wurde schliesslich klar, dass die Kunstgewerbeschule zusammen mit dem Kunstgewerbemuseum 1932 in einen Neubau an der Ausstellungsstrasse ziehen wird, dem heutigen Museum für Gestaltung. Somit war der Weg für eine Übernahme des Gebäudeflügels durch das Landesmuseum frei. Der bereits 70-jährige Gustav Gull wurde erneut in die Umbau- und Erweiterungsplanung einbezogen. Wie 20 Jahre zuvor, legte er Pläne vor, die einen neuen Flügel an der Museumsstrasse und einen Annex zur Sihl hin beinhalteten. Doch wieder scheitere das Erweiterungsprojekt an unterschiedlichen Auffassungen von Bund und Stadt über die Finanzierung. Der Erweiterungsbau wurde zurückgestellt, beschlossen wurde nur der Umbau des Kunstgewerbeflügels für die Zwecke des Museums. Die feierliche Eröffnung des dem Landesmuseum einverleibten Kunstgewerbeflügels fand am 23. Mai 1935 statt. Es sollte für über 80 Jahre die letzte Erweiterungsfeier im Landesmuseum bleiben.

Erweiterungspläne im Zweiten Weltkrieg

Die Beteiligten waren davon ausgegangen, dass die Übernahme des Kunstgewerbeschulflügels nur die erste Etappe einer Erweiterung sein würde, denn Platz für die Sammlung war noch immer nicht genug vorhanden. Die Beschäftigungskrise vor dem Zweiten Weltkrieg sollte eine Chance sein, den Bau durch Beschäftigungsprogramme und Notstandskredite voranzutreiben. Mit der wachsenden Kriegsbedrohung entstand zusätzlich das Bedürfnis eines Schutzraums. Zuerst wurde wieder auf die Pläne von Gustav Gull von 1930 zurückgegriffen, doch später schlug die Arbeitsgruppe vor, sieben Architekten für einen Wettbewerb einzuladen. Gustav Gull wehrte sich dagegen, denn er befürchtete, dass die neuen Konzepte das Bild des alten Museums zerstören würden. Andererseits verlangte die Museumsleitung, auch aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem Altbau, dass sich der Neubau den Bedürfnissen des Museums anpasst und nicht umgekehrt. Vor diesem Hintergrund entwarf der Stadtbaumeister Hermann Herter, ein ehemaliger Schüler Gulls, 1941 neue Pläne für die Erweiterung des Landesmuseums. Sie zeigen einen Annexbau auf der Sihlseite. Als das Projekt 1942 in die Detailausarbeitung und den Bewilligungsweg geht, wird Herter pensioniert. Sein ehemaliger Lehrer Gustav Gull verstirbt im selben Jahr.

Um die Verbindung vom Kunstgewerbeflügel in das Museum zu ermöglichen wird 1933 eine Verbindungsbrücke im Torbogen eingebaut. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Skizze von Hermann Herter von der Erweiterung auf der Sihlseite, 1941. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Ein moderner Neubeginn

Albert Heinrich Steiner, Herters Nachfolger als Stadtbaumeister, denkt bei seinem Amtsantritt 1943 nicht daran, die «alten» Pläne von Gull und Herter umzusetzen. Stattdessen legt er neue Pläne vor, die eine wesentlich modernere architektonische Sprache sprechen. Die geplanten Anbauten würden selbständig und vom Altbau deutlich zu unterscheiden sein. Steiner distanzierte in seinen Plänen den Anbau auch räumlich vom Bau seiner Vorgänger. Zwar sah auch er einen Ausbau Richtung Sihl vor, die Andockstellen an den Altbau wären aber minimal geblieben. Das Projekt stiess bei allen Beteiligten, insbesondere bei den Museumsverantwortlichen, auf breite Zustimmung. Neutral gestaltete Ausstellungsräume, ein Vortragssaal, Warenlifte und eine Studiensammlung würden im Erweiterungsbau verwirklicht. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs war man der Umsetzung von Erweiterungsplänen so nah wie noch nie und doch scheiterten sie auch dieses Mal an den unklaren Finanzierungsverhältnissen. Auch änderte die Stadt nach dem Krieg ihre Prioritäten. Man brauchte Schulen, Spitäler und Wohnungen.

Die Architekturmodelle von Herter aus dem Jahr 1941 (links) und von Steiner aus dem Jahr 1944 (rechts). Beim Modell von Albert Heinrich Steiner ist eine klar modernere Formensprache zu erkennen. Bilder: Schweizerisches Nationalmuseum

Detailplan der Sihlseitigen Fassade von Albert Steiner, 1944. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Dezentrale Erweiterung

So versandeten auch diese Erweiterungspläne. In den folgenden Jahren erfuhr das Landesmuseum eine dezentrale Erweiterung. Für Ausstellungen wurden Aussenstellen gegründet oder Ausstellungsfläche in anderen Institutionen bespielt: 1956 im Zunfthaus zur Meisen, 1976 im Wohnmuseum Bärengasse, 1978 im Zollmuseum Gandria, 1995 entsteht das Forum Schweizer Geschichte Schwyz, 1998 das Château de Prangins. Ab 2007 konnte die Sammlung schliesslich im neu gebauten Sammlungszentrum in Affoltern untergebracht werden. Konkrete Erweiterungspläne beim Hauptsitz in Zürich gab es für lange Zeit nicht mehr.

Die hier zusammengefasste Odyssee von gescheiterten Erweiterungsplänen, Studien und Finanzierungsverhandlungen basiert auf Hanspeter Draeyers ausführlicher Bau- und Entwicklungsgeschichte des Landesmuseums aus dem Jahr 1998.

Es gelingt dann doch noch

Wie wir heute wissen, fand die Idee eines Erweiterungsbaus im Jahr 2016 doch noch ein glückliches Ende. Das Projekt begann im Jahr 2000 mit der Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs für die Sanierung und Erweiterung. Im Gegensatz zu den vorherigen Erweiterungsideen, kam nun erstmals die Erweiterung Richtung Platzspitzpark auf den Tisch. Das Siegerprojekt der Basler Architekten Christ & Gantenbein überzeugte die Jury mit seiner gekonnten Zusammenführung von Alt und Neu und dem respektvollen Umgang mit der Parkanlage. Entscheidend war auch, dass mit dem an zwei Flügeln andockenden Erweiterungsbau ein Rundgang durch das Museum möglich wurde. Die Fassade des Neubaus nimmt den Tuffstein der Altbau-Fassade auf und die geschliffenen Betonböden im Neubau stellen eine zeitgenössische Interpretation des Terrazzobodens im Altbau dar.

Das Erweiterungsprojekt wurde in seiner rund 20-jährigen Planungs- und Umsetzungszeit nicht nur mehrmals überarbeitet, sondern musste auch zwei Volksabstimmungen überstehen. In der städtischen Abstimmung im Juni 2010 stimmten 54,2 Prozent der Vorlage zu, rund ein halbes Jahr legten auch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons mit 62,3 Prozent ein deutliches Ja in die Urne. 2012 konnte der Bau beginnen, am 1. August 2016 wurden der sanierte Kunstgewerbeschulflügel und der Erweiterungsbau mit seinen 2‘200 Quadratmetern an modernster Ausstellungsfläche eröffnet. So fand die über 100 Jahre alte Vision, dem Landesmuseum von Gustav Gull eine Erweiterung zu geben, schliesslich doch noch ein glückliches Ende.

Modell des Erweiterungsbaus von Christ & Gantenbein, 2008. Bild: Christ & Gantenbein Architects

Das neue Landesmuseum aus der Luft, 2017. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum / Aura

120 Jahre Landes­mu­se­um Zürich

Am 25. Juni 1898 wurde das Schweizerische Landesmuseum in Zürich eröffnet. Aus diesem Anlass schauen wir eine Woche lang zurück auf Episoden aus seiner über 120-jährigen Geschichte.

Montag:
Eröffnungsumzug
Die dreitägigen Eröffnungsfeierlichkeiten gipfelten am Nachmittag des 25. Juni 1898 in einem pompösen Festumzug durch die Zürcher Innenstadt.

Dienstag:
Rundgang
Auf einem Rundgang durch das neu eröffnete Landesmuseum um 1900 begeisterten vor allem die spektakulär gestalteten Ausstellungsräumlichkeiten.

Mittwoch:
Ansichtskarten
Als ein Zürcher Wahrzeichen war das Landesmuseum ein überaus beliebtes Motiv auf Ansichtskarten und wurde millionenfach verschickt.

Donnerstag:
Arbeitsplätze
Ein Blick in die Büros, Ateliers und Sammlungen des Landesmuseums in den 1970er-Jahren.

Freitag:
Erweiterung
Schon bei der Eröffnung 1898 plant man eine Erweiterung des Landesmuseums. Erst 118 Jahre später wird sie Realität.

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