Die martialische Waffenhalle bildete den Höhepunkt der Präsentation der Schweizer Geschichte im Landesmuseum.

Ein Rundgang durch das Landes­mu­se­um um 1900

Nachdem das Landesmuseum 1898 eröffnet worden war, entwickelte es sich rasch zu einem Publikumsmagneten. Die lange Bauzeit und die zahlreichen politischen Diskussionen im Vorfeld hatten zweifelsohne die Neugier der Bevölkerung geweckt. Der freie Eintritt und die zentrale Lage beim Zürcher Bahnhof taten ihr Übriges, vor allem aber begeisterten die spektakulär gestalteten Ausstellungsräumlichkeiten.

Fabian Müller

Fabian Müller

Historiker und Mitarbeiter im Bildarchiv des Schweizerischen Nationalmuseums

Nachdem er die grosszügige Eingangshalle hinter sich gelassen hatte, betrat der Besucher einen chronologisch gestalteten Rundgang durch die Schweizer Geschichte. Ausgehend von der prähistorischen Sammlung wechselten sich auf drei Stockwerken allgemeine – häufig einer bestimmten Objektgruppe gewidmete – Ausstellungssäle mit historischen Zimmereinrichtungen ab, welche Architekturfragmente mit Mobiliar aus der Zeit kombinierten. Den unbestrittenen Höhepunkt und gleichzeitig den Abschluss der über 50 Räume umfassenden Schau markierte die riesige Waffenhalle. Der zeitliche Schwerpunkt der Präsentation der Schweizer Geschichte lag im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, da die Darstellung der konfliktreichen Entstehung des modernen Bundesstaates im 18. und 19. Jahrhundert politisch noch zu heikel war.

Der mit reichem gotischem Masswerk geschmückte Eingang des Landesmuseums befand sich im Durchgang zum Hof, gleich neben dem Wagen der Gotthardpost.

Die historistische Architektur des Landesmuseums sollte in den Ausstellungsräumlichkeiten eine Symbiose mit der oft originalen Innenarchitektur (Decken, Türen, Säulen usw.) und den Sammlungsgegenständen eingehen und dadurch vergangene Zeiten einem breiten Publikum vergegenwärtigen und verstehbar machen. Man wollte den Objekten durch die Präsentation in ihrer vermeintlich ursprünglichen Umgebung Leben einhauchen und eine dichte, geradezu suggestive Atmosphäre der historischen Erfahrung erzeugen. Damit verbunden war der Grundsatz, möglichst wenig hinter Glas zu zeigen, um die Unmittelbarkeit des Erlebens weiter zu steigern. Die exakte Einordnung der Objekte hatte demgegenüber kaum Priorität: Erst Jahre nach der Eröffnung erachtete man es zögerlich für notwendig, Beschriftungen anzubringen. Zudem war man der Ansicht, möglichst die gesamte Sammlung des Museums ausstellen zu müssen. Ein eigentliches Depot gab es noch nicht und was nicht gezeigt werden konnte, musste in den Dachräumen oder im Keller aufbewahrt werden. Daher wurde jeder freie Quadratmeter als Ausstellungsfläche genutzt, auch wenn dies – zumal in Kombination mit den fehlenden Objektlegenden – häufig auf Kosten der Übersichtlichkeit ging. Ein Rundgang durch das Landesmuseum um 1900 muss ein eindrückliches und bisweilen überforderndes Erlebnis gewesen sein.

Erdgeschoss, Raum 1: Vorgeschichtliche Altertümer

Den Auftakt des Rundgangs durch das «grosse Bilderbuch der Schweizer Geschichte» bildete eine weitläufige Säulenhalle, in der prähistorischen Funde zur Schau standen. Obschon es ein Ziel des neuen Museums war, ungehinderte Anschauung der Objekte zu gewährleisten und möglichst wenig in «langweiligen, den Besucher verwirrenden Glaskästen» auszustellen, bildete die vorgeschichtliche Abteilung mit ihren zahlreichen Vitrinen eine Ausnahme. Eine zentrale Rolle spielten die Pfahlbauer, weil sie in der damaligen Geschichtsschreibung als Kantons- und Sprachgrenzen überwindende Vorfahren der Schweizer angesehen wurden.

Erdgeschoss, Raum 8: Gotische Kapelle

Bereits im Grundriss war der Raum dem Chor einer Kirche nachempfunden und mit dem typischen gotischen Kreuzrippengewölbe an der Decke ausstaffiert. Die Deckenmalereien imitierten diejenigen des Kerchels in Schwyz, der Fliesenboden denjenigen der Kirche Königsfelden. Rechts öffnete sich ein fragmentarisches Portal aus dem Grossmünster in Zürich in den Nebenraum. Was die Ausstattung betraf, war «die Kapelle zur Aufnahme von Sammlungsobjekten kirchlicher Kunst aus gotischer Zeit bestimmt»: etwa den Hauptaltar aus dem Tessin, den Nebenaltar aus dem Kloster St. Gallen und die beiden Palmesel.

Untergeschoss, Raum 10: Schatzkammer

Von der Kapelle führte eine Treppe in die einer gotischen Krypta nachempfundene Schatzkammer hinunter. Dort wurde unter eindrücklichem Gewölbe eine Vielzahl weltlicher und kirchlicher Gold- und Silberarbeiten gezeigt.

Erdgeschoss, Raum 15: Kreuzgang

An die Kapelle grenzte die Rekonstruktion eines Kreuzganges, dessen Komponenten von unterschiedlicher Provenienz waren: Die gemalte Holzdecke aus der Kapelle St. Sebastian in Igels; das reiche gotische Masswerk aus dem Kreuzgang des Barfüsserklosters in Zürich; die insgesamt 18 in die Scheiben eingelassenen Glasgemälde aus der gesamten Schweiz (sowie aus Mailand und Rottweil); und schliesslich die Arkaden aus dem Kreuzgang des Predigerklosters in Zürich.

Erdgeschoss, Raum 20: Loggia

Nachdem das Erdgeschoss beinahe durchschritten war, konnte etwas frische Luft in der Loggia kaum schaden. Der Ausblick auf die Platzpromenade erlaubte dem Besucher, «sein Auge an dem herrlichen Grün der alten Aleebäume auszuruhen». Dazu wurde die Kopie einer Frührenaissancedecke aus dem Casa del Negromante in Locarno und eine Türe mit Schnitzereien aus dem Fraumünster in Zürich gezeigt.

Erdgeschoss, Raum 21: Eckraum mit Treppe in das erste Obergeschoss

Am Ende des Erdgeschosses angekommen, führte eine Treppe hinauf in die erste Etage, wo sich der Rundgang in die entgegengesetzte Richtung fortsetzte. Um die bereits in der Anfangszeit des Landesmuseums umfangreiche Sammlung wenigstens zu einem grossen Teil zeigen zu können, wurde selbst im Treppenhaus jede freie Fläche zur Objektpräsentation genutzt.

Erdgeschoss, Raum 22: Apotheke

Aufmerksame Besucher fanden in der hintersten Ecke des Erdgeschosses in einer kleinen Kammer die Nachbildung einer klösterlichen Apotheke aus dem 18. Jahrhundert. Das Mobiliar stammte aus dem Benediktinerkloster in Muri, die Gefässe und die weiteren Apothekerutensilien waren von unterschiedlicher Herkunft.

1. Etage, Raum 29: Seidenhofzimmer

In der ersten Etage gab es eine ganze Reihe historischer Zimmereinrichtungen zu besichtigen, wobei das Seidenhofzimmer als «Glanzpunkt der alten Zimmereinrichtungen des Landesmuseums» galt. Das Prunkzimmer aus dem 1592 erbauten Seidenhof in Zürich glänzte mit prachtvollem Wandgetäfer und aufwändiger Kassettendecke. Dazu gehörte ein buntbemalter Winterthurer Kachelofen.

2. Etage, Raum 34: Winkelriedzimmer

Obwohl der Rundgang ursprünglich nur über zwei Stockwerke – Parterre und erste Etage – geplant war, musste bereits vor der Eröffnung des Museums auch die zweite Etage in die Ausstellungskonzeption einbezogen werden. Dort wurde unter anderem ein Zimmer aus dem Winkelriedhaus in Stans gezeigt, das besonders mit seiner gewalmten Kassettendecke beeindruckte.

2. Etage, Raum 56: Kostümsammlung

Schon wenige Jahre nach der Eröffnung des Landesmuseums mangelte es an Platz. Daher transformierte man auch die ursprünglich als Dienstwohnung für den Direktor konzipierten Räumlichkeiten in der zweiten Etage zu Ausstellungsflächen. In den geschwungenen Vitrinen der Kostümsammlung konnte dort die Mode vergangener Jahrhunderte bewundert werden. Und ein paar Gemälde der Familie Tschudi aus Glarus aus dem 18. Jahrhundert fanden ebenfalls Platz.

1. Etage, Raum 43: Lochmannsaal

Wieder zurück auf der ersten Etage erwartete den Besucher ein üppiger Barocksaal aus dem Lochmannhaus in Zürich. Die Decke zierten Malereien mit Darstellungen aus der antiken Mythologie. Gleich darunter folgte eine Porträtgalerie mit 57 Mitgliedern des französischen Königshauses, hervorragenden Staatsmännern und Kriegsführern aus der Zeit. In die Tische eingelassen waren Reliefs mit Projekten für die Befestigung Zürichs aus dem 18. Jahrhundert.

1. Etage, Raum 46: Vitrine mit Glaswaren

Die Verbindung zwischen historischen Zimmern und der Waffenhalle bildeten mehrere gemischte Sammlungsräume, in denen es unter anderem eng bestückte Vitrinen mit Glaswaren und Fayencen zu sehen gab.

1. Etage, Raum 48: Keramische Sammlung

Die aus mehreren Kabinetten bestehende keramische Sammlung beeindruckte durch ihre dichte Präsentation der berühmten Winterthurer Fayencen vom Boden bis zur Decke, auch wenn eine direkt anschliessende Decke gar nicht existierte, sondern die Ausstellungswände frei im Raum platziert waren.

1. Etage, Raum 50: Waffenhalle

Nach mehreren kleineren Räumen stellte die riesige Waffenhalle auf 700 Quadratmetern und mit 16 Metern Raumhöhe den Abschluss und gleichzeitig den Höhepunkt des Rundgangs durch das Landesmuseum dar. Die Architektur imitierte eine neugotische Kathedrale und war überfüllt mit Rüstungen, Fahnen, Trophäen und Waffen aus der vermeintlich «politisch grössten Zeit der Eidgenossenschaft» im 15. und 16. Jahrhundert. In einer eigentlichen Ruhmeshalle der Nation sollte dem ergriffenen Besucher die grosse Zeit seines kleinen Landes vor Augen geführt werden.

In den 1930er-Jahren entstehen erste Filmaufnahmen im Landesmuseum. Die Aufnahmen stammen aus dem Nachlass von Gustave Preiss (1881-1963).

120 Jahre Landes­mu­se­um Zürich

Am 25. Juni 1898 wurde das Schweizerische Landesmuseum in Zürich eröffnet. Aus diesem Anlass schauen wir eine Woche lang zurück auf Episoden aus seiner über 120-jährigen Geschichte.

Montag:
Eröffnungsumzug
Die dreitägigen Eröffnungsfeierlichkeiten gipfelten am Nachmittag des 25. Juni 1898 in einem pompösen Festumzug durch die Zürcher Innenstadt.

Dienstag:
Rundgang
Auf einem Rundgang durch das neu eröffnete Landesmuseum um 1900 begeisterten vor allem die spektakulär gestalteten Ausstellungsräumlichkeiten.

Mittwoch:
Ansichtskarten
Als ein Zürcher Wahrzeichen war das Landesmuseum ein überaus beliebtes Motiv auf Ansichtskarten und wurde millionenfach verschickt.

Donnerstag:
Arbeitsplätze
Ein Blick in die Büros, Ateliers und Sammlungen des Landesmuseums in den 1970er-Jahren.

Freitag:
Erweiterung
Schon bei der Eröffnung 1898 plant man eine Erweiterung des Landesmuseums. Erst 118 Jahre später wird sie Realität.

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