Suworows Überquerung der Alpen, Gotthardpass, 1857/58, Alexander von Kotzebue. ©Getty Images

Suworow: Unglück­li­che Seilschaf­ten im Hochgebirge

Die diplomatische Ausgangslage ist von überraschender Komplexität und bedarf einer Erklärung: Ein russischer General - aus Italien kommend - zieht mit Unterstützung Österreichs gegen Frankreich in die Schlacht und dies auf dem Gebiet der heutigen Schweiz.

Severin Rüegg

Severin Rüegg

Historiker und Kurator der Ausstellung «General Suworow. Grossmächte im Hochgebirge» im Forum Schweizer Geschichte Schwyz

Wir schreiben das letzte Jahr des 18. Jahrhunderts. In Europa tobt ein Krieg wobei Österreich und Russland als Allianz Frankreich gegenüber stehen. Es wird um Einfluss, Macht, Territorium gerungen – und um die Vorstellung der idealen Gesellschaftsordnung. Auf der einen Seite steht die bestehende Ordnung einer ständischen Gesellschaft, bei der die soziale Herkunft eines Menschen seine Rechte und Pflichten bestimmt. Auf der anderen, der französischen Seite, gilt die neue Vorstellung, dass alle über dieselben Rechte und Pflichten verfügen sollten.

In diesen europäischen Kriegen, den Koalitionskriegen, wird die Schweiz zunächst von Frankreich besetzt und von österreichischen und russischen Truppen teilweise befreit, aber nicht vollständig. Nun kommt der russische General ins Spiel, der in der Schweiz wie kein anderer Erinnerungen hinterlassen wird. General Alexander Wassiljewitsch Suworow, hochdekoriert und ungeschlagen, hat den Auftrag, mit der Unterstützung Österreichs das Gebiet der heutigen Schweiz zu befreien. Er nähert sich aus Norditalien und wagt sich über die Alpen, um die Gegner kühn zu überraschen. Doch die französischen Truppen unter General Massena sind in der Zwischenzeit nicht untätig und während Suworows Truppen sich über die Alpen kämpfen, schlagen sie in der Zweiten Schlacht von Zürich die russischen Truppen in der Schweiz. Nun hat General Suworow niemanden mehr, mit dem er sich für den grossen Schlag gegen die Franzosen verbünden könnte. Aus dem geplanten Überraschungsangriff wird ein Rückzug, strapaziös und verlustreich.

Kampf auf der Teufelsbrücke. Um 1800, Anonym. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Nach 21 Tagen, 300 Kilometern Marsch und 10'000 erklommenen Höhenmetern, erreichen die russischen Soldaten Chur und verlassen bei Maienfeld das Gebiet der heutigen Schweiz. Von den 21'000 sind noch 15'000 Mann übrig, 5'000 von ihnen schwer verletzt. Die Gebirgsartillerie hat man Stück für Stück zurückgelassen und die Hälfte der Tiere fehlt. Die französischen Truppen beobachten von Sargans aus den Abzug der russischen Armee.

Suworows Zug über den Gotthard, Kinzigpass, Pragelpass, Panix und über den St. Luzisteig wird von Zeitgenossen mit Hannibals verglichen und mehr als ein Kampf mit den Elementen gesehen denn als ein gescheiterter Feldzug.

Was für die Soldaten ein Drama mit unzähligen Toten ist, kommt für die lokale Bevölkerung einer Heimsuchung gleich. 20‘000 Soldaten suchen Nahrung, ein Bett, Wärme, Futter für tausende von Lasttieren und nehmen was sie kriegen können. Das ist nicht viel in den abgelegenen Dörfern und Tälern, aber das Einzige, was die Bewohner haben. Die Vorräte sind weg, noch bevor der Winter beginnt. Das Vieh wird geraubt oder geschlachtet. Lange wird es dauern, bis die Toten auf den Feldern und Abhängen begraben sind und Jahrzehnte bis sich die Dörfer und ihre Bewohner von der Besatzung und den Feldzügen erholen.

Die Schweiz kommt noch lange nicht zur Ruhe. Die Auseinandersetzung über die Form des Zusammenlebens und die Struktur des Staates hat mit dem Einfall der Franzosen erst begonnen. Diverse, harte Auseinandersetzungen, Putschs und der letzte Bürgerkrieg bestimmen das politische Klima, bevor die Gründung des Bundesstaats 1848 den Grundstein für die Schweiz, wie wir sie heute kennen, legen wird.

Russische und Französische Soldaten streiten sich um die Schweizer Kuh. Geschichte einer Schweizerkuh, David Hess, 1801, Reproduktion. Original: ZBZ Graphische Sammlung Ms. K 2a, BII. 138-144

Weitere Beiträge