Beromünster, Chorherrenstift St. Michael. Katholisch geprägtes Luzernbiet an der Nahtstelle zum reformierten Aargau, ehemals Untertanenland von Bern. Josef Ehrler / panorama-factory.ch

Achtung Kultur­gren­ze

Neben dem Rösti- und dem Stadt-Land-Graben verblasst eine alte Ost-West-Grenze, die vom Brünig über den Napf in den Aargau führt. Wie kam sie zustande, was bewirkte sie? Eine Gratwanderung, selbst im Flachland. Brennpunkt: Beromünster LU / Reinach AG.

Kurt Messmer

Kurt Messmer

Kurt Messmer ist Historiker mit Schwerpunkt Geschichte im öffentlichen Raum.

In der Reformationszeit setzen die eidgenössischen Orte um, was dreissig Jahre später im Augsburger Religionsfrieden von 1555 so auf den Punkt gebracht wird: «Wessen Herrschaft, dessen Religion.» Als Bern 1528 die Reformation einführt, Luzern und die gemeinen Herrschaften Freiamt und Baden katholisch bleiben, entsteht ein Graben, der weit über Glaubensfragen hinausreicht.

Entlebuch und Emmental – Prägekraft der Konfessionen

«Da gestern ebenfalls Feyertag (Jakobi) und vorgestern Sonntag gewesen, so löste die Beobachtung bei uns ziemlich schnell das Rätsel, warum der Entlebucher in Beziehung auf Landeskultur und Hauswirthschaft weit hinter dem Emmenthaler zurücksteht», notiert 1827 ein reformierter Aargauer. Rund 90 Sonn- und Feiertage. An jedem vierten Tag wird nicht gearbeitet. Dem katholischen Bauer seien «weniger Tage im Jahre», schreibt Jeremias Gotthelf (1797–1854). Nicht nur das: infolge von Messen, Andachten, Gebeten sei den Katholiken jeder Tag «zwei Stunden kürzer». Rechne.
Karte der Alten Eidgenossenschaft, 1515
Die um 1530 entstandene Konfessionsgrenze führt zum Teil entlang einer älteren Kulturgrenze, die bis ins Hochmittelalter zurückreicht (Brünig-Napf-Reuss-Linie). Die in der Karte markierte Kulturgrenze besteht nicht aus einer einzelnen, klar definierten Grenzlinie, sondern aus einem ganzen Bündel kultureller Grenzen. Im Raum Napf ist dieses Bündel von Grenzen recht kompakt, im Aargau fasert es aus. Karte der Alten Eidgenossenschaft, 1515 (Ausschnitt). Wikipedia / Kurt Messmer

Am Napf scheiden sich die Bräuche

Westlich des 1400 Meter hohen Napfs kommt das Weihnachtskind, östlich davon das Christkind. Im Westen gibt es Neujahrsbescherungen, an Silvester und Neujahr Maskenzüge. Dafür findet keine Fastnacht statt wie in Luzern und den übrigen katholischen Gegenden. Zurückgekehrt von Solothurn ins reformierte Emmental, berichtet Annebäbi Jowäger, die Speisen der Andersgläubigen hätten einen «katholischen Gust» (Goût). Lauter Randnotizen? Richard Weiss (1907–1962), ein Pionier der Volkskunde, der auch international Massstäbe setzte, empfahl, «gelegentlich vom hohen Balkon des historisch-politischen Welttheaters und der Höhenschau geistesgeschichtlicher Systeme herabzusteigen und geduldig den unscheinbaren Unterbau des Kulturgefüges abzutasten». Sein Wort in unser Ohr. Dennoch: Vorsicht. Annebäbi Jowäger wäre heute rund zweihundert Jahre alt. Ebenso weit zurück datiert der zitierte Bericht aus dem Entlebuch. Die Angaben zu den Winterbräuchen beidseits des Napfs betreffen die Generationen vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeiten ändern sich, und wir mit ihnen. Alles ist Zeitzeichen und im jeweiligen Kontext zu begreifen. Das Urgesetz historischer Betrachtungen. – Vorwärts, in der Ferne sind schon zwei rote Turmhauben zu erkennen.

St. Urban – triumpha­le Inszenierung

Zisterzienser Mönche aus dem Elsass pflegen im Raum Langenthal BE und Pfaffnau LU seit 1194 eine klösterliche Gemeinschaft. Nach der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen schliesst das Kloster 1415 zugleich mit Bern und Luzern ein Burgrecht. Doppelt genäht hält besser. Als Bern 1528 die Reformation annimmt, entsteht eine neue Lage. Nur ein Steinwurf trennt fortan das Kloster von den Neugläubigen auf der anderen Seite des Grenzflüsschens Rot.
St. Urban LU
St. Urban LU. Barock ist Inszenierung. Anstelle der mittelalterlichen Kirche erfolgt 1711–1715 der noch heute bestehende Neubau, ab 1716 der Bau der neuen Klosteranlage (rechts). Wikimedia / Roland Zumbühl
Als Reformorden meiden die Zisterzienser den Luxus auch beim Bauen: kein Kirchturm, keine Ornamente. Malachias Glutz von Blotzheim, 1706–1726 Abt in St. Urban, kümmert das nicht. Solothurner Patriziat mit Adelsdiplom vom Sonnenkönig. Zuerst lässt er ein Chorgestühl schnitzen, das seinesgleichen sucht, dann die Kirche samt Klosteranlage neu bauen. Das verkündet er überall mit so viel goldenen Lettern und Wappen an diesem Bau, bis auch der Letzte begriffen hat, wer der Auftraggeber war. Man müsste beide Augen verschliessen, sähe man in der imposanten Doppelturmfassade gegen die reformierten bernischen Lande hin nicht eine katholische Machtdemonstration erster Ordnung. Architektur kann sprechen.

Beromüns­ter – ähnlich wie St. Urban, nur ganz anders

Die Hochadeligen erheben sich im Mittelalter auch nach dem Tod über die gewöhnlich Sterblichen. Sie stiften geistliche Einrichtungen, damit für ihr Seelenheil gebetet wird. So geschehen 1036 in Beromünster, als Ulrich der Reiche, angeblich nach einem Jagdunfall eines Grafen Bero, das Stift zur Grablege der Lenzburger macht. So geschehen nach dem Königsmord an Albrecht 1308, als das Doppelkloster Königsfelden zur Grablege der Habsburger wird. An der Wyna beten nicht Ordensbrüder. Beromünster war nie Kloster, sondern ist bis heute eine Gemeinschaft von Chorherren. In Königsfelden brechen die Fürbitten 1528 ab, als die Berner die Reformation verbreiten. Nicht so im katholischen Michelsamt. Hier wird noch immer gebetet. Demnächst sind es tausend Jahre.

Rundflug – bitte einsteigen!

Die Zuschreibung «einzigartig» hat Hochkonjunktur. Wer und was alles soll einzigartig sein. Soll. Beromünster ist. Mit seiner baulichen und räumlichen Struktur ist der Stiftsbezirk singulär, ohne Parallele. Um die monumentale Stiftskirche St. Michael im Zentrum gruppieren sich seit dem 15. Jahrhundert ringartig mehr als dreissig Bauten, hierarchisch gestuft: Propstei, Kustorei, Chorherrenhäuser, Kapitelhaus, Stiftskeller, Amtshaus zum Hirschen. Die barocke Gesamtanlage, teils in kleinstädtisch geschlossener Bauweise, mehrteils in lockerer Aufgliederung mit Sichtachsen ins Grüne, ist eine Kategorie für sich, «hors concours». – Kommen Sie mit, auf einen Rundflug, vier Minuten, bei bester Sicht!
Beromünster, Stiftsbezirk. Die Vogelschau von Ost nach West verschafft einen günstigen Überblick über den imposanten Kranz von Gebäuden und seinen strahlenden Mittelpunkt. Josef Ehrler / Schweizerisches Nationalmuseum

Festfreu­de, Kult, Religion für alle Sinne

Bilder, Statuen, Festgewänder. Für das Auge Prunk und Pracht. Für das Ohr Litaneien und Choräle, am Karfreitag Raffeln statt Glocken. Fernab Kanonendonner, am Werk die Herrgottskanoniere. Bittgänge, Prozessionen, Wallfahrten zu Fuss. Das Knie gebeugt, die Hostie auf der Zunge, der Weihrauch in der Nase, die warme Kerze am Hals wider dortiges Leiden. Durch die Finger gleitet der Rosenkranz, 59 Perlen bis zum Kreuz. Auf der Haut die Krankensalbung, einverleibt im wahren Sinn des Worts «Fresszettel» mit Fürbitten, desgleichen in die Speisen geschabte Tonteilchen von winzigen Schab-Madonnen aus Einsiedeln.
Auffahrtsumritt am 30. Mai 2019 im katholischen Beromünster LU
Auffahrtsumritt am 30. Mai 2019 im katholischen Beromünster LU, Ankunft im «Flecken». Selbst das auserwählte Pferd unter dem Baldachin trägt Schleier. Links führt die Strasse in eine – vor Zeiten – andere Welt, ins benachbarte reformierte Reinach AG. Pius Muff, Kommandant Auffahrts-Umritt, Gunzwil/Beromünster
Der Katholizismus ist eine «Kult-Religion», der Protestantismus eine «Buch-Religion», wie sie Richard Weiss nennt. Am Nachmittag vor dem Karfreitag wäscht der Stiftspropst von Beromünster zwölf Knaben, ehemals Stiftsschülern, die Füsse. Ein symbolischer Akt der Demut, Jesus und die zwölf Apostel. Elf der Knaben, alle barfuss, tragen ein weisses Flügelchorhemd und eine Krone aus weissen Rosen. Am Ende der langen Bank Judas, eine kleine Tasche umgehängt mit 30 Silberlingen. Das Bestechungsgeld für den Hinweis, der zur Gefangennahme Jesu durch die römische Besatzungsmacht führt. Die «Blanken» in seinem Lederbeutel klimpern wie eh und je. Das Gewand des Verräters, noch heute: blutrot.
Auffahrts-Umritt in Beromünster. Zeitzeichen aus dem Jahr 1968. Seit fünf Uhr morgens sind die Gläubigen unterwegs. Am Mittag umfasst die Prozession etwa zweitausend Personen. Der Stiftungsakt von 1509 nennt als Zweck «die Segnung der Äcker und Feldfrüchte». SRF Archiv

«Sich abwenden von papstli­cher gewalt»

1528 macht der Berner Rat Nägel mit Köpfen. Im Februar beschliesst er die Reformation, im März verpflichtet er den altgläubigen Pfarrer im aargauischen Reinach zur neuen Lehre – unter Androhung der Amtsenthebung. Das ist allerdings rascher gesagt als getan. Die alte Kirche steht in Pfeffikon, auf katholischem Luzerner Boden. Also muss eine neue Kirche her, 500 Meter entfernt von der alten, «got zu lob und sinem heiligen wortt», wie die zwei Berner Mutzen auf der Tafel verkünden, die sie seit bald 500 Jahren mit ihren Tatzen halten.
Die reformierte Kirche von Reinach AG
Die reformierte Kirche von Reinach AG ist das erste Gotteshaus, das im Berner Staatsgebiet nach der Reformation gebaut wird. Kirchenschiff 1529, Erhöhung des Turms 1664, Verlängerung des Schiffs 1776, neubarocke Turmhaube und Vorhalle 1905. Auf der Nordseite, wie auf dieser Aufnahme, prächtiger Ausblick ins untere Wynental. Wikimedia / LuFiLa
Tafel im Vorraum der Kirche Reinach
Tafel im Vorraum der Kirche Reinach «got zu lob und sinem heiligen wortt hand die heren von bern an disem ort die kilche nüw uß ursach gebuwen das sy allein got weillen vertruwen und sich abwenden von papstliche[r] gewalt tusend fünf hunder[t] nün und zwentzig man zalt» 1529 Kurt Messmer / Thomas Küng

Zwei Kanzeln – Tag und Nacht

«Pars pro toto. Ein Teil [steht] für das Ganze.» Funktioniert seit zweitausend Jahren, also auch an einer alten Kulturgrenze. Je eine Kanzel, doch was für eine! Allein der elegante schwungvolle Aufgang zur Kanzel in Beromünster ist mehr Kunst als der strenge, kahle Kirchenraum in Reinach insgesamt. Am Kanzelkorb das Gleichnis vom Sämann, und seine Samenkörner fallen weit: Vier Köpfe markieren die vier damals bekannten Erdteile Europa, Asien, Afrika, Amerika. Australien muss noch warten. Auf dem Schalldeckel die Symbole der vier Evangelisten, darüber ein Engel, der ihre Botschaft wie weiland von den Zinnen Jerichos in alle Welt posaunt. Man mag religiös sein oder nicht, Barock mögen oder nicht: «Weltklasse im Wynental».
Beromünster LU, Stiftskirche
Beromünster LU, Stiftskirche, Zustand seit der zweiten Barockisierung 1775, extravertiert. Steingewordene Festfreude. Otto Schmid, Neuenkirch
Reinach AG, Kirche von 1529
Reinach AG, Kirche von 1529, introvertiert. «Du sollst dir kein Bildnis machen.» Nichts soll ablenken. Glasfenster 20. Jahrhundert. Kurt Messmer / Thomas Küng
In Reinach das reformierte Gegenprogramm. Eine Holzkanzel, schlichter als schlicht, Holz, kein Schmuck, kein Schalldeckel. Einziges Kennzeichen: das Kreuz. Dank der Lage der Kanzel dennoch die Andeutung eines Auftritts. Von hier aus wird gepredigt, deutsch und deutlich, und der Prädikant verliest die Anordnungen der Berner Regierung. – Beromünster und Reinach, Tag und Nacht. Fragt sich bloss, wer was für Tag hält, was für Nacht.

Hüben, drüben – zweierlei Adel

Seit der Oberherrschaft Luzerns über das Michelsamt 1415 stammen die Chorherren aus dem Luzerner Patriziat, eingesetzt vom Kleinen Rat. Das belegen viele Namen von Stiftshäusern, so etwa: Dürlerhof, Hartmann-, Fleckenstein-, Amrhyn-, Anderallmend-, Pfyffer-, Cysat-, Hertensteinhof. Der regierende Geschlechterverband als autokratische Drehscheibe für das gegenseitige Zuschanzen von Ämtern, Stellen, Einkünften. Im 18. Jahrhundert entspricht die Wahl nach Beromünster der Flucht aus dem ird’schen Jammertal: Musse und Vergnügungen ad libitum, dazu finanzielle Sorglosigkeit bis ans Ende der Tage. Eine Chorherrenpfründe bringt damals etwa das Drei- bis Fünffache einer einfacheren Pfarrpfründe ein, namentlich aus Zehnten. Davon profitiert auch die Verwandtschaft. Was Wunder, dass sich die kirchlichen Zehntbezüger vehement gegen eine Agrarreform wehren, wie sie von den jungen Luzerner Aufklärern im 18. Jahrhundert gefordert wird. Ein damaliger Insider bezeugt, man habe «eine fette Würde in Beromünster», wobei die meisten Chorherren ihre Einkünfte zu allem Möglichen benutzten, aber kaum «wozu sie gestiftet worden».
Propstei Beromünster
Patrizischer Adel, Propstei Beromünster, «Klein-Versailles», 1784. Bauherr: Ulrich Krus, 1782–1803 Propst und letzter «Herr von Münster». Die Mittelpartie mit dem Dreieckgiebel zurückversetzt. Wikipedia / Voton
Müllerhaus Lenzburg
Industrie-Adel, Müllerhaus Lenzburg, 1792, mit integrierten Industrieräumen. Bauherr: Gottlieb Hünerwadel (1744–1820), der bedeutendste Baumwollverleger Lenzburgs. Die Mittelpartie mit Dreieckgiebel vorgelagert. Wikimedia / WWHenderson20
Im Gegensatz zu den geistlichen Zehntbezügern in Beromünster wehrt sich der Lenzburger Unternehmer Gottlieb Hünerwadel nicht gegen den Umschwung der Helvetik, sondern übernimmt 1798 hohe politische und militärische Ämter. 1811 eröffnet er gemeinsam mit seinem Vater in Niederlenz eine Baumwollspinnerei, bevor er sich als Offizier in österreichische und später französische Kriegsdienste begibt. Musse, Genuss, Geld ausgeben – was soll das?

Wirtschafts­gren­ze? Fehlanzeige

Als die Kirche von Reinach 1776 vergrössert wird, will man den tüchtigsten Baumeister der Region – selbst wenn er aus dem katholischen Beromünster kommt. Auch beim Bau der reformierten Kirchen in Seengen, 1820, und Meisterschwanden-Fahrwangen, 1822, kommt ein katholischer Baumeister zum Zug: Jost Kopp (1759–1830) von Beromünster, der «Zimmerjost». Erneut will man auf den Besten seines Fachs nicht verzichten, Konfession hin oder her.
Seengen AG, reformierte Kirche von 1820
Seengen AG, reformierte Kirche von 1820. Zentrum ist nicht der Altar, sondern die Kanzel. «Allein durch die Schrift.» Die Sitzbänke scharen das Kirchenvolk auch um den Taufstein unter der Kanzel – in Abkehr zur katholischen Ausrichtung bewusst auf der Längsseite. Kirchgemeinde Seengen AG
Die Grenze ist nicht nur für Spezialisten durchlässig, sondern auch für Textilunternehmer, was sich auf die materielle Lebensgrundlage der breiten Bevölkerung auswirkt. Im 18. Jahrhundert erfasst die Heimindustrie, häufig als Zusatzverdienst kleiner Bauern, Tagelöhner und ihrer Familien, flächendeckend sowohl das reformierte Bernbiet als auch das katholische Luzernbiet. Nicht wenige Luzerner Verleger heuern Heimarbeiter ennet der «Landesgrenze» an. Im Gegenzug verfügen die Berner Verleger über mehr Mittel, sind besser organisiert, erweisen sich als weit mächtiger. Hin oder her: für beide Seiten ist die alte Kulturgrenze kein Hindernis.

Stöck, Wyys, Stich

Der Sprung von Religion und Wirtschaft zu Jass und Zeitvertreib mag kühn erscheinen, doch der heilige Berhardin von Siena (1380–1444) schafft ihn. Sein Befund: Das Kartenspiel ist das «Gebetsbuch des Teufels». Eine Webseite des Bundesamtes für Kultur sieht das allerdings anders. Dort liest man mit wachsender Ehrfurcht: «In den unzählbaren Spielstunden einer langen Tradition wurden die Jasskarten mit dem magischen Duft gemütlicher Geselligkeit aufgeladen.»
Die Verbreitung unterschiedlicher Jasskarten in der Schweiz
Die Verbreitung unterschiedlicher Jasskarten in der Schweiz. Kurt Messmer
Das Spielen mit Karten wird europaweit erstmals in Bern erwähnt, 1367, in einem Verbot. Der Jass jedoch ist in unserem Land erst seit 1796 nachgewiesen, zunächst in Schaffhausen. Söldner sollen den «Jos» (Bauer) aus Holland mitgebracht haben. Zwischen dem reformierten Bernbiet und der katholischen Zentralschweiz stimmt die Jasskartengrenze mit der Konfessionsgrenze zwar überein, aber der Blick auf den katholischen Jura, auf Solothurn, Freiburg, Wallis und Tessin relativiert den Zusammenhang mit der Konfession. Eine andere Fährte überzeugt mehr: Schon in der alten Eidgenossenschaft wird auf dem Verkauf von Spielkarten eine Verkaufssteuer erhoben. «Wessen Herrschaft, dessen Spielkarten.»

Brugg – Zentrum des «Puffer­staats» Aargau

«Im Aargau treffen sich die Einflüsse von Osten und Westen und kreuzen sich mit denen aus der Innerschweiz», bilanziert Richard Weiss 1946. «Im Zentrum dieses aargauischen ‹Pufferstaates› liegt Brugg, wo sich, geographisch gesehen, die Flusssysteme von Aare, Reuss und Limmat vereinigen und wo sich gleichlaufend mit den Wasserstrassen die prähistorischen, römischen, mittelalterlichen und gegenwärtigen Verkehrsstrassen von Osten und Westen zusammenfinden, um sich zu überschneiden oder gemeinsam mit dem untersten Aarelauf nach Norden zum Rhein durchzubrechen, wo die Messe von Zurzach, die wichtigste zwischen Lyon und Frankfurt, seit keltoromanischer Zeit wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Strömungen von Osten und Westen an sich zog.» Ein historisches Panoptikum.

«Vorbei ist die Musike? Noch aus der Ferne tönt es schwach?»

In Zeiten von Corona heisst es, die Geschichte des gespaltenen Landes sei so alt wie das Land. «Die Spaltungs-Story gehört zu den beliebtesten politischen Erzählungen.» Mag sein. Mit Blick auf jahrhundertelange kulturelle Prägungen geht es allerdings nicht um das Instrumentalisieren einer Story, sondern um eine Standortbestimmung im Hier und Jetzt. Vorbei die Zeit, da in Reinach ein katholischer Bräutigam als «papist» verrufen wurde, umgekehrt in Beromünster eine reformierte Braut als «kätzers wyp». Längst hat die Erosion des Religiösen eingesetzt, die Mobilität viele Bindungen gelockert, der globale Siegeszug von McDonalds den «katholischen Gust» überlagert. Allerdings meinte ein Aargauer Landammann jüngst in einer launigen Ansprache, im Luzernischen gehe es selbst an einem Leichenmöhli fröhlicher zu als im Aargau an der Fastnacht. Niemand wird dieses Bonmot zum Nennwert nehmen. Solche Äusserungen und ähnliche Befunde werfen aber noch heute ein Licht auf den «Untergrund des Kulturgefüges».

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