Zwei Kinder teilen sich eine Limonade, 1922.
Library of Congress

Sharing is caring

Wohnungsvermittler, Fahrzeuganbieter, Finanzdienstleister: Unter dem Schlagwort der Shareconomy hat sich in den letzten Jahrzehnten ein bunter Strauss an Angeboten versammelt. Ihre Geschichte reicht tief und ist durchtrieben.

Hannes Mangold

Hannes Mangold

Hannes Mangold ist Ausstellungskurator und Verantwortlicher Kulturvermittlung bei der Schweizerischen Nationalbibliothek.

Die Shareconomy war das neue heisse Ding. Teilen statt Besitzen: Diese Formel versprach vor rund zehn Jahren Effizienzgewinne und beste Renditen. Inzwischen ist die Liebe zu Airbnb, Uber, Kickstarter und Konsorten etwas abgeflaut. Prekäre Anstellungsbedingungen, buchhalterische Tricks oder fehlende soziale Verantwortung haben am glänzenden Image der Sharing Economy – oder kurz Shareconomy – gekratzt. Höchste Zeit also, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen. Sie erzählt einiges über die Chancen und Risiken des Teilens.

Aus der Krise

Der grosse Auftritt der Shareconomy erfolgte just zu dem Moment, als die internationale Finanzwelt kollabierte. 2008 platzte die Immobilienblase. Ausgehend von den USA lösten sich die grossartigen Gewinnversprechen und Renditefantasien der internationalen Bankenszene in Schall und Rauch auf. Zurück blieb ein Heer von insolventen Kleinsparerinnen und Kleinsparern. Doch während die Welt verwundert bis geschockt auf das Gebaren der Investmentbanken starrte, steuerten die Profis bereits neue Häfen für ihr Risikokapital an. Diese lagen gut versteckt in altruistischen Gewässern: Ausgerechnet das Teilen – der gute alte Akt der Nächstenliebe – sollte zur nächsten Geldmaschine werden. Dabei ermöglichten es grosse Onlineplattformen, privaten Besitz wie Wohnungen, Autos oder Bargeld an Unbekannte zu vermitteln. Der Clou daran: Die Plattformen kassierten bei jeder Transaktion ein paar Prozent Gebühren. Für den oder die Einzelne war das leicht zu verschmerzen. In der Summe brachte das aber einen respektablen Gewinn. Auch zu kommunizieren war die Idee leicht: Das Teilen von privaten Inhalten und Daten machten die Sozialen Medien bereits seit einigen Jahren zum Big Business. Sharing is caring bekam im 21. Jahrhundert eine neue Bedeutung.

Allmend in Meiringen 1817. Aquarellierte Zeichnung von Ludwig Georg Vogel (1788-1879).
Schweizerisches Nationalmuseum

Vom Feld zum Buch

Dabei machte Teilen schon seit Jahrhunderten einen wesentlichen Aspekt unseres Wirtschaftens aus. Dorfgemeinschaften bewirtschafteten spezifische Wald- und Feldgebiete bereits im Hochmittelalter kollektiv. Solche gemeinsam genutzten Allmenden waren für die Landwirtschaft von grundlegender Bedeutung. Als die Republik, (von lateinisch res publica, «öffentliche Sache») in der Frühen Neuzeit zu einer attraktiven staatsrechtlichen Alternative heranreifte, ändert sich auch der Status des Teilens. Je breiter die Gruppe wurde, die politisches Mitspracherecht genoss, desto wichtiger wurde das Teilen von Wissen. Um aufgeklärte Bürger – die Bürgerinnen sollten auf eidgenössischer Ebene erst 1971 folgen – zu produzieren, wurden Bildungsinstitutionen fundamental wichtig. Neben der Ausweitung der Schulpflicht waren am Ende des 19. Jahrhunderts auch die Gründungen des Landesmuseums und der Nationalbibliothek diesem republikanischen Gedanken verpflichtet. Wenn letztere bis heute den Auftrag erfüllt, alle Publikationen über die Schweiz zu sammeln und zugänglich zu machen, steht sie damit ganz grundsätzlich im Dienst der Republik.

Tragik des Teilens

Das Teilen von Wissen birgt aber auch Nachteile. Etwa das Patentrecht dient gerade dazu, die freie Zirkulation von Wissen zu unterbinden um Innovationen zu schützen. Tatsächlich rückten die Probleme des Teilens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Fokus. Unter dem Schlagwort der Tragik der Allmende brandmarkten neokonservativen Theoretiker die kollektive Bewirtschaftung von Gütern und Diensten als ineffizient. Mit dem Argument, Schäden an Vermögen, Gesellschaft und Umwelt zu minimieren, betrieben sie seit den 1980er-Jahren unter anderem die Privatisierung von Post oder Bahn. Diese ökonomische Skepsis am Teilen liess sich erst überwinden, als einerseits das Internet alltagstauglich wurde und andererseits die Krise von 2008 die Finanzwelt schockte. Erst im Strudel des vom World Wide Web ausgelösten Globalisierungs- und Digitalisierungsschubs fanden Sharing und Economy wieder zusammen. Die republikanische Idee fiel dabei unter den Tisch. Vielleicht würde die Erinnerung daran der vielkritisierten Shareconomy guttun.

Symbol der Finanzkrise: Haus mit zugenagelten Fenstern in den USA im Mai 2008.
Peter Püntener / Schweizerisches Nationalmuseum

Zu ihrem 125-jährigen Jubiläum zeigt die Schweizerische Nationalbibliothek vom 11. März bis zum 30. November 2020 in Bern die Ausstellung Sharing. Über Bibliotheken und das Teilen. Diese bietet einen Blick hinter die Kulissen der Nationalbibliothek. Sie stellt die Frage, wie wir Wissen heute teilen wollen.

Sharing - Eine Bibliotheksausstellung zum Teilen
Schweizerische Nationalbibliothek

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