Zentrales Medaillon des Gladiatorenmosaiks von Augusta Raurica.
Zentrales Medaillon des Gladiatorenmosaiks von Augusta Raurica. Augusta Raurica

Der bescheu­er­te Mosaizist von Augusta Raurica

Wie ein anonymer Künstler im 3. Jahrhundert n. Chr. mit seiner «Reparatur» ein repräsentatives Mosaik einer Villa in Augusta Raurica ruinierte.

Laurent Flutsch

Laurent Flutsch

Archäologe, Direktor des Römermuseums Lausanne-Vidy

Wir wissen leider nicht, wie er heisst – aber alles in allem ist das besser so für ihn. Das fragliche Individuum trieb sein Unwesen in einem grossen, opulenten Wohnsitz in Augusta Raurica (Augst, BL), der rund 50 Jahre zuvor erbaut worden war. Der Besitzer war nicht knausrig gewesen: Neben der sonstigen luxuriösen Ausstattung schmückt ein herrliches mehrfarbiges Mosaik im Massstab 9,8 auf 6,5 Meter den Boden der grossen Empfangs- und Banketthalle. Dargestellt werden sechs Gladiatoren-Duelle in einem geometrischen Geflecht, das einen grossen, rechteckigen Rahmen umgibt, in dessen Mitte ein rundes Medaillon ruht. Im Zentrum dieses Medaillons schwimmen vier Fische beiderseits um eine grosse Vase herum, um einen «Krater» für das Servieren von Wein. Dieses Prestigeobjekt im Herzen des Mosaiks und somit auch des Raums hatte gebührende elegante, symmetrische Henkel erhalten, die in Spiralen endeten. Der Künstler hatte sie ganz originell als ჇS gestaltet, mit der unteren Spirale zur Vase hin – üblicherweise waren die Henkel dieser Gefässe als ƆC geformt und die zwei abschliessenden Spiralen wiesen nach aussen.
Zentrales Medaillon des Gladiatorenmosaiks von Augusta Raurica.
Zentrales Medaillon des Gladiatorenmosaiks von Augusta Raurica. Augusta Raurica
In den Jahrzehnten nach dem Bau überstand das Haus zwei Brände. Im Brand um das Jahr 250 wurde das Gladiatorenmosaik und vor allem das zentrale Motiv beschädigt. Der rechte Henkel des Kraters war teilweise zerstört, das Gefäss verstümmelt. So liess der Hausherr nach einem Reparaturfachmann schicken. Genau dieser ist der Held dieser Erzählung. War er mit dem falschen Fuss aufgestanden, ein wenig zerstreut, war es ihm schnurzegal oder war er einfach ein bisschen bescheuert? Hat er sich, entgegen aller Gesetze der Symmetrie, dümmlich damit begnügt, den Verlauf des linken Henkels zu kopieren, der von der Katastrophe verschont geblieben war? Oder aber war er von der strengen Sorte, diszipliniert, pochte er borniert auf das Reglement und konnte kein originelles Motiv tolerieren, das von den herkömmlichen Mustern abwich? Im Stil von: «Ein Krater-Henkel, den muss man genau so und nicht anders darstellen. Da kann man nicht einfach mit Fantasie daherkommen, sonst hat das nicht seine Richtigkeit, Punkt, Schluss.» Wir werden es nie erfahren. Auf jeden Fall hat dieser Typ das Mosaik mühevoll geflickt und den rechten Henkel ergänzt, allerdings in der geläufigen Form: als C. Das Resultat: Ein alberner Krater mit parallelen, asymmetrischen Henkeln, der absolut lächerlich aussieht. Und das alles im Zentrum eines prächtigen Mosaiks im Prunkzimmer eines der reichsten Häuser in Augusta Raurica.
Augusta Raurica zur Blütezeit.
Augusta Raurica zur Blütezeit. Zeichnung Markus Schaub
Am überraschendsten ist, dass der Besitzer nicht etwa die Korrektur der Pfuscherei verlangt hat, sondern alles so liess, wie es war. Umso besser, denn so können wir uns heute fragen, was im 3. Jahrhundert während einiger Stunden im Kopf einer anonymen Person vorgegangen ist, die ohne diesen Schnitzer niemals Eingang in die Geschichte gefunden hätte. Errare humanum est!
Ein Beispiel für übliche Henkel in C-Form im Mosaik von Münsingen.
Ein Beispiel für übliche Henkel in C-Form im Mosaik von Münsingen. Alexander Rechsteiner

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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