Die Mannschaften des FC St. Gallen und dem FC Zürich zeigen ein Banner gegen Rassismus vor dem Spiel am 28. August 2021 in St. Gallen.
Die Mannschaften des FC St. Gallen und dem FC Zürich zeigen ein Banner gegen Rassismus vor dem Spiel am 28. August 2021 in St. Gallen. Keystone/Christian Merz

Rassismus im Sport: ein Spiegel der Gesellschaft

Rassistische Beleidigungen sind im Alltag heute viel weniger akzeptiert als früher. Im Sport jedoch kommt Rassismus nach wie vor allzu oft ungestraft zum Ausdruck. Weshalb?

Manda Beck

Manda Beck

Manda Beck ist Historikerin und arbeitet bei Swiss Sports History.

Olympische Spiele 1968 in Mexiko: Siegerehrung, die US-Nationalhymne ertönt, auf dem Podest zwei afroamerikanische Sprinter, den Kopf gesenkt, die Faust in einem schwarzen Handschuh gegen den Himmel gestreckt – der Black-Power-Gruss als Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus in den USA. Diese Bilder gingen um die Welt. Tommie Smith und John Carlos gewannen Gold und Bronze im 200-Meter-Lauf der Herren. Mit diesem stummen Protest brachen sie eine der wichtigsten olympischen Regeln, nämlich das Verbot politischer Statements während der Siegerehrung. Der Protest hatte weitreichende Konsequenzen, beide wurden aus dem US-Olympiateam geworfen, erhielten Morddrohungen und Smith wurden gar alle Fördergelder gestrichen. Bei all diesen Vorkommnissen schwang immer Smiths und Carlos’ Hautfarbe mit, die dominierende «weisse» Bevölkerung der USA akzeptierte keine andere Sichtweise auf die Geschichte des Landes. Erst Jahrzehnte später wurde ihr Protest gewürdigt: 2016 ehrte Präsident Barack Obama Smith und Carlos im Weissen Haus.
Die US-amerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos mit erhobener Faust, dem Black-Power-Gruss, während der Siegerehrung des 200-Meter-Lauf an den olympischen Spielen 1968.
Die US-amerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos mit erhobener Faust, dem Black-Power-Gruss, während der Siegerehrung des 200-Meter-Lauf an den olympischen Spielen 1968. Wikimedia
Sport ist seit jeher ein Spiegel der Gesellschaft, deshalb verwundert es nicht, dass dort auch rassistische Denkweisen reproduziert werden. So gab es bereits 1904 an den Olympischen Spielen in St. Louis (USA) sogenannte «anthropologische Tage», wo der Sportdirektor James E. Sullivan sogenannte «Wilde» in verschiedenen Disziplinen wie etwa Pfeilbogenschiessen oder Baumklettern antreten liess, um zu beweisen, dass Europäer und Europäerinnen sportlich überlegen sind. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden in gewissen Sportvereinen keine Juden aufgenommen und bis heute halten sich auch körperliche Stereotypien: Kenianer und Kenianerinnen seien gut im Langstreckenlauf, Schwarze die besten Sprinter und Sprinterinnen und die schmal gebauten Menschen aus Asien seien prädestiniert für Sportarten wie Kunstturnen. Dieser «positive Rassismus» zeigt, wie tief rassistische Gedanken in der Gesellschaft verankert sind.
Speerwurf-Wettbewerb während den «anthropologischen Tagen» an den olympischen Spielen von 1904.
Speerwurf-Wettbewerb während den «anthropologischen Tagen» an den olympischen Spielen von 1904. Jessie Tarbox Beals/Missouri Historical Society

Wir gegen die Anderen

Teamsportarten sind besonders anfällig für fremdenfeindliche und rassistische Denkweisen, denn dort gilt das Prinzip «Wir gegen die Anderen». Verstärkend wirken dabei die Zuschauermassen und Identifikationsangebote wie Nation, Religion oder Heimat. Besonders Fussball und Eishockey sind anfällig für machoide, sexistische, diskriminierende und fremdenfeindliche Tendenzen. So wurden beide Sportarten – und sind es weitgehend auch heute noch – von Männern und traditionell männlichen Wertvorstellungen geprägt.

Entwick­lung im Schweizer Fussball

Auch im Schweizer Fussball fiel Rassismus auf fruchtbaren Boden. Ende der 1970er-Jahre begannen sich die Schweizer Fussballfans in lokalen Fangruppen zu organisieren. In den 1980er-Jahren machten die Schweizer Fans erste Bekanntschaften mit den englischen Hooligans. Der Schock über die Brutalität dieser Fans wich rasch einer Bewunderung. Die neuen Vorbilder führten bisweilen zu einer Radikalisierung der jungen Schweizer Fangeneration, sie organisierten sich in neuen Fangruppen. Diese verfassten Fanmagazine, so genannte Fanzines. Typisch für diese Art von Schriften war der ungefilterte, rücksichtslose, streng subjektive und bisweilen humorvolle Ton. Manche dieser Magazine enthielten aber auch nationalsozialistische Parolen und waren zum Teil mit Hakenkreuzen versehen. Der Rassismus beschränkte sich nicht auf die Magazine. Naziparolen und Hitlergrüsse waren in den Fussballstadien während den 1980er-Jahren nicht selten. Die direkte Gewalt der Fans gegen Ausländerinnen und Ausländer fand ausserhalb der Stadien statt. Heute gibt es solche Fanzines mit rassistischen Inhalten nicht mehr. Seit Mitte der 1990er-Jahre erfuhr der Fussball zudem immer mehr Anerkennung durch links eingestellte Fans. Die Fankurven sind heute weitgehend selbstkontrollierend und apolitisch, in ihren Reihen wird Rassismus in der Regel nicht mehr toleriert. Auch gibt es keine organisierten rechten Fangruppierungen mehr, die öffentlich auftreten.
Cover des Fanzine «Basler Terror Blatt» von 1983
Das Cover des Fanzine «Basler Terror Blatt» von 1983 zeigt den Grundton in gewissen Fangruppen jener Zeit. FCZ Archiv
Dennoch ist der Rassismus auch heute noch nicht aus den Fussballstadien verschwunden: So werden immer wieder Schwarze Spieler und Spielerinnen rassistisch beleidigt, mit Affenlauten zugedeckt oder mit Bananen beworfen. Beispielsweise im April 2021, als der Basler Spieler Aldo Kalulu beim Match zwischen Basel und Vaduz von einem Kameramann als «Bananenpflücker» bezeichnet wurde, was über die Aussenmikrofone zu hören war. In den anschliessenden Diskussionen im SRF wurde versucht, die Aussage zu rechtfertigen. Oder im Sommer 2021 beschimpfte Maurice Weber, Präsident des FC Wil, einen Spieler mit dem «N-Wort». Er selbst bezeichnete den Vorfall als «grosse Dummheit» und trat aus dem Liga-Komitee aus. Allerdings ist er bis heute Präsident des FC Wil und sieht sich als Opfer der Medien. Den beiden Vorfällen ist gemeinsam, dass im Nachhinein verschiedene Instanzen versuchten, die Vorfälle zu rechtfertigen oder sie bloss als Problem des Sports abzutun, anstatt die gesellschaftliche Dimension des Problems anzuerkennen. Damit wird übersehen, dass der Sport immer ein Spiegel der Gesellschaft ist und der Rassismus im Sport nicht von Phänomenen in der Gesellschaft abgegrenzt werden kann.
Stellungnahme des SRF nach dem Rassismus-Vorfall im Spiel Basel gegen Vaduz vom 5.4.2021. SRF

Ein Problem aller Ebenen

Doch wieso kommt der Rassismus im Sport frei und allzu oft ungestraft zum Ausdruck? Weil die Welt des Sports wie eine ideale, neutrale und gleichberechtigte Gesellschaft mit eigenen Regeln und Gesetzen funktionieren will. So muss ein verbaler oder körperlicher Angriff gegen einen anderen Sportler oder eine andere Sportlerin je nachdem nur vor dem Verband verantwortet werden und nicht vor der ordentlichen Justiz. Lange wurde das Problem ignoriert. Mit der Zeit hat sich das Bewusstsein für Rassismus verändert und verschiedene Vereine und Clubs nahmen den Kampf gegen Rassismus im Sport auf. Besonders im Fussball existieren grosse visuelle Kampagnen. Zum Beispiel die wichtige Kampagne der UEFA «Say No to Racism» oder das Niederknien gegen Rassismus vor jedem Anpfiff, zum Beispiel an der EURO 2020. Dies sind Bilder, die medienwirksam um die Welt gehen, doch im Kampf gegen Rassismus braucht es nicht nur «Lippenbekenntnisse»: Die Sichtweise von Rassismus betroffenen Menschen muss in der Ausbildung von Trainerinnen und Trainern sowie in der Schule thematisiert werden. In vielen Ländern wird auch der Fanarbeit hohe Bedeutung beigemessen. Dabei wird den jugendlichen Fans ein soziales Umfeld zur Verfügung gestellt und so ein vertrauter Rahmen geschaffen, wo Anti-Diskriminierungs-Initiativen wirkungsvoll sein können, oftmals noch unterstützt von einem Profispieler oder einer Profispielerin des jeweiligen Clubs. Allerdings ist es mit Präventionsarbeit allein nicht getan. Auch nicht mit dem Tragen von Trikots, Regenbogenfarben-Captainbinden, oder dem Hochhalten von Bannern mit dem Schriftzug «Say No to Racism». Es braucht auch Sanktionen und rechtliche Massnahmen. Rassistische Übergriffe durch Personen im öffentlichen Leben, wie Sportlerinnen und Sportler, Funktionärinnen und Funktionäre und Personen in der Politik müssen medienwirksam bestraft werden, basierend auf gesetzlichen Grundlagen.
Frontseite der Ausgabe des «Il Mattino della domenica» vom Sonntag, 26. August 2007
Frontseite der Ausgabe des «Il Mattino della domenica» vom Sonntag, 26. August 2007. Dem Lega Präsidenten Giuliano Bignasca droht eine Anklage wegen Rassismus, nachdem er in seiner Zeitung auf der Front den Titel «Nazionale Svizzera di calcio Troppi neri» («zu viele Schwarze in der Schweizer Nationalmannschaft») gedruckt hat. Keystone/Karl Mathis

Rassismus – Nicht nur ein Problem des Profisports

Noch mehr als der Profisport leidet der Amateursport unter Rassismus. Die rassistische Alltagssprache wird banalisiert und diskriminierende Ausdrücke werden oftmals geleugnet. Da im Breitensport keine Medien anwesend sind, gelangen diese Vorfälle nicht an die Öffentlichkeit. Es ist einfacher, eine kleine Gruppe von Fans, die öffentliches Entsetzen auslösen, zu begrenzen als das grosse Problem des alltäglichen, gesellschaftlichen Rassismus zu lösen. Rassismus im Sport ist am Ende des Tages auch ein strukturelles Problem, welches bei der Trainerin, beim Trainer beginnt und in der Chefetage endet. Wie soll das Problem des Rassismus gelöst werden, wenn die Positionen der Clubfunktionäre, die Trainerinnen und Trainer, und alle leitenden Positionen im Sport die immer grösser werdende offensichtliche Diversität der Sportlerinnen und Sportler nicht widerspiegelt?
Zuschauer der Partie zwischen Villarreal und Barcelona bewerfen den Spieler Dani Alves mit Bananen. Alves reagiert auf die rassistische Provokation mit einer kreativen Antwort. YouTube / CNN

Swiss Sports History

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Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal für Schweizer Sportgeschichte, das von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes unterstützt wird. Schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit stehen im Zentrum des Portals. Mehr dazu auf sportshistory.ch.

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