Waffen und Blumen: Die Nelkenrevolution vereinigte beides zu einem friedlichen Umsturz.
Waffen und Blumen: Die Nelkenrevolution vereinigte beides zu einem friedlichen Umsturz. Keystone

Die Nelken­re­vo­lu­ti­on

Im April 1974 brach in Portugal eine der ältesten Diktaturen Europas zusammen. In der Schweiz machte man sich Sorgen um die Zukunft Portugals. Auch wegen des fragilen politischen Gleichgewichts in Südeuropa.

Mattia Mahon

Mattia Mahon

Mattia Mahon ist Historiker bei der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis) und Forscher an der Universität Lausanne.

Weit entfernt von der Grossmacht, die es im 19. Jahrhundert war, als es sich über fünf Kontinente erstreckte, wurde das portugiesische Kaiserreich 1974 durch lange und kostspielige Kolonialkriege in Afrika destabilisiert. Der Estado Novo führte in seinen afrikanischen Kolonien an drei Fronten Krieg: in Angola, auf den Kapverden und in Guinea-Bissau und Mosambik. Diese Kolonialkriege dauerten seit etwa zehn Jahren an, ohne dass sich ein Ende abzeichnete. Eine Gruppe von Offizieren, die sich als Movimento das Forças Armadas MFA (Bewegung der bewaffneten Streitkräfte) zusammengeschlossen hatte, war es leid, dass die Diktatur so stur an der Aufrechterhaltung eines Imperiums in Afrika festhielt. Sie forderten ein Ende der Kolonialisierung, eine Demokratisierung des Regimes und wirtschaftliche Massnahmen zugunsten der Bevölkerung des Mutterlandes. General Spínola nutzte die aufkommende Bewegung und übernahm ihre Führung, um die Regierung zu zwingen, die Afrikakriege zu beenden. Am 25. April ging die MFA in Lissabon auf die Strasse, um die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Ihr folgten schnell die Zivilisten, die friedlich demonstrieren. Der Estado Novo brach innerhalb weniger Stunden zusammen. «Es dauerte nur 15 Stunden, bis ein Regime, das kurz vor seinem halben Jahrhundert stand, zusammenbrach, ohne dass ein Schuss gefallen war», berichtete der Schweizer Botschafter in Lissabon, Jean-Louis Pahud. In der Menge beschloss die Kellnerin eines Restaurants, die Gewehre der Militärs mit roten Nelken zu schmücken, und gab der Revolution damit unwissentlich ihren Namen. Spínola, der kurzzeitige Präsident wurde, liess die politischen Gefangenen frei. Dabei handelte es sich grösstenteils um linke Aktivisten, die von António de Oliveira Salazar inhaftiert worden waren. Diese trugen dazu bei, dass die MFA vom Protest gegen den Krieg zu einer echten sozialen Revolution überging.
TV-Doku über die Nelkenrevolution in Portugal. YouTube

Pulver­fass Südeuropa

Aus Schweizer Sicht hatte die portugiesische Revolution vor allem zwei Aspekte. Der erste betraf das geopolitische Gleichgewicht in Südeuropa. Portugal selbst war zwar kein wichtiger Partner der Schweiz, aber es bestand eine «Ansteckungsgefahr» durch die Nelkenrevolution, die das benachbarte Franco-Regime und im weiteren Verlauf vielleicht auch Italien, Griechenland und Jugoslawien hätten destabilisieren können. Es sei daran erinnert, dass Italien 1974 das einzige dieser Länder war, das nicht von einer autoritären Regierung geführt wurde, obwohl es von den schweren Spannungen der «bleiernen Jahre» geprägt war. In Spanien war das Franco-Regime trotz Francos besorgniserregendem Gesundheitszustand und den daraus resultierenden Fragen über den Fortbestand des Regimes noch immer im Amt. In Griechenland hielt die Diktatur der Obersten noch einige Monate lang die Macht in ihren Händen. Im Sommer 1974 beendeten die Zypernkrise, die türkische Invasion im Norden der Insel und die barbarische Unterdrückung friedlicher Demonstranten durch das griechische Regime schliesslich die Junta. Insgesamt bestand also die Gefahr, dass ganz Südeuropa in Bürgerkriege verwickelt wurde.
Francisco Franco, im Hintergrund der junge Juan Carlos. Aufgenommen im Oktober 1975.
Francisco Franco, im Hintergrund der junge Juan Carlos. Aufgenommen im Oktober 1975. Wikimedia
Der zweite Aspekt betrifft die europäische Kolonialisierung. Portugal war ab dem 15. Jahrhundert einer der ersten Förderer und eines der letzten europäischen Länder, das nach blutigen Kriegen ein echtes Kolonialreich in Afrika aufrechterhielt. Die Schweiz hatte in der Vergangenheit ihre guten Beziehungen zu Portugal genutzt, um wirtschaftliche Verbindungen zu den kolonisierten Gebieten in Afrika zu unterhalten. Die Nelkenrevolution markiert daher einen wichtigen Schritt in der Entkolonialisierung Afrikas im Allgemeinen, aber auch in den Beziehungen der Schweizer Unternehmen mit dem südlichen Afrika im Besonderen. Die Schweiz respektierte die Forderungen Portugals nach Anerkennung seiner ehemaligen Kolonien, die innerhalb von 16 Monaten in die ausgehandelte Unabhängigkeit entlassen wurden.

Angst vor linkem Regime

Für Bern war die wichtigste Frage nach dem Putsch jedoch, ob es sich um eine Neuordnung an der Spitze des Staates zwischen rivalisierenden Fraktionen handelte oder ob die Revolution vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ein linkes Regime hervorbringen könnte. Die Angst vor einer Machtübernahme durch marxistische Organisationen war während des gesamten Verfassungsprozesses sehr gross, obwohl die Kommunistische Partei zusammen mit den anderen Teilen der Bewegung am legalistischen Projekt teilnahm. Der Schweizer Botschafter in Lissabon berichtete in einem heute oft surreal anmutenden Stil über alle – tatsächlichen oder vermeintlichen – Untaten und Machenschaften linker Organisationen und zeichnet sie stets mit den schlimmsten Absichten bewaffnet. Als General Spínola aus dem Amt gedrängt wurde und in die Schweiz flüchtete, wurde er beschuldigt, dort Waffen kaufen zu wollen. Der Schweizer Botschafter verkündete zunächst aus Lissabon, dass es sich wahrscheinlich um einen Coup der kommunistischen Presse handele, um die Armee zu diskreditieren. Doch einige Tage später deckte der deutsche Stern die Sache auf: Der General hatte tatsächlich Kontakt zu einer vermeintlich rechtsradikalen bewaffneten Gruppe aufgenommen, um Waffen und Munition zu kaufen.
Porträt von António de Spínola, Oktober 1974.
Porträt von António de Spínola, Oktober 1974. Wikimedia
Unter dem Druck von Jean Ziegler und anderen, die fragten, ob die Behörden glaubten, dass es sich um einen «einfachen Touristen» handle, beschloss der Bundesrat, den ehemaligen General des Landes zu verweisen. Als Grund wurden seine politischen Aktionen genannt, die im Widerspruch zu dem standen, was sein Visum vorschrieb. Mit diesem Fall wurde eine der letzten Wendungen der Revolution abgeschlossen und die bilateralen Beziehungen normalisierten sich in der Folgezeit.

Gemein­sa­me Recherche

Der vorliegende Text ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum (SNM) und dem Forschungszentrum für diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Der 50. Jahrestag der Nelkenrevolution war Anlass für mehrere Veröffentlichungen und historische Ereignisse, die zu diesem Text inspiriert haben. Die auf Dodis zugänglichen Dokumente sind online verfügbar.

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