Sendeturm auf dem Säntis
Das neue Sendezentrum auf dem Säntis wurde 1975 in Betrieb genommen. Zu dieser Zeit war es das grösste Bauwerk dieser Art in Europa. Museum für Kommunikation Bern

TV-Sendetür­me

Wellenlängen für das Fernsehprogramm breiten sich geradlinig aus. Darum müssen TV-Sendeanlagen das Gebiet dominieren, das sie bedienen sollen. So entstehen ab den 1950er-Jahren auf den Hausbergen der Nation markante Sendeanlagen, die deren Erscheinungsbild bis heute prägen.

Juri Jaquemet

Juri Jaquemet

Dr. phil., Sammlungskurator für Informations- und Kommunikationstechnologie, Museum für Kommunikation, Bern

Nach einer Versuchsphase nahm in der Schweiz die SRG 1958 den regulären Fernseh-Sendebetrieb in der Deutsch- und Westschweiz auf. 1961 kamen Fernsehsendungen in italienischer Sprache hinzu. In den 1960er-Jahren löste Fernsehen Radio als Leitmedium ab. Allein zwischen 1955 und 1965 verhundertfachte sich die Zahl der Empfangskonzessionen. Zehn Jahre nach dem Sendestart wurde in der Schweiz das Farbfernsehen eingeführt. Ab den 1960er-Jahren endete ein durchschnittlicher Tag vor der Flimmerkiste. Empfang via eigene TV-Antenne garantierte wie bereits beim Radio die PTT. Der Staatsbetrieb war für die SRG-Studioeinrichtungen, für die Übertragung und Ausstrahlung der entsprechenden Programme verantwortlich. Die für die terrestrische Übertragung der Fernsehprogramme genutzten Wellenlängen hatten den Nachteil, dass sie sich hauptsächlich gradlinig ausbreiten. Der ideale Standort für Sendeanlagen musste demnach das zu bedienende Gelände dominieren und gute Sichtbeziehungen zum Sendegebiet garantieren. Die Übermittlungstechnik bedingte somit oft prominente Höhenstandorte – die teilweise früher bereits als Hochwachten / Chutzen genutzt wurden.
Baustelle Säntis am 8. August 1969 SRF
TV-Sendetürme besetzten ab den 1950er-Jahren nun Hausberge in der Nähe grösserer Bevölkerungsagglomerationen. Beispiele nördlich der Alpenhauptkamms sind Mont Pèlerin, Mont Gibloux, Chasseral, Bantiger, St. Chrischona, Rigi-Kulm, Uetliberg und Säntis. Im Tessin versorgte der Sender Monte San Salvatore Teile des gebirgigen Kantons, im Graubünden garantierte die Anlage Valzeina für den Grossraum Chur den TV-Empfang. Die von weithin sichtbaren künstlichen Bergspitzen wurden zu Landmarken und Orientierungspunkten – zu technischen Ikonen in der Landschaft. Treffend bezeichnet ein PTT-Film von 1994 den Sendeturm Mont Gibloux nördlich des Lac de la Gruyère als «véritable cathédrale de la télécommunication».
Sendeturm auf dem Chasseral
Beispiel Chasseral: Seit den 1940er-Jahren findet sich auf dem Chasseral eine Sendeanlage. Der Chasseral-Sendeturm, erbaut 1975-1979, prägt den Jura-Hügelzug und ist von weit her als Landmarke sichtbar. Museum für Kommunikation Bern
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Lokalpatriotismus für die Hosentasche: Schlüsselanhänger mit Chasseral-Sendeturm, gekauft 2015 im Hotel Chasseral.
Lokalpatriotismus für die Hosentasche: Schlüsselanhänger mit Chasseral-Sendeturm, gekauft 2015 im Hotel Chasseral. Museum für Kommunikation
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-Shirt der Bieler Marke Jacques et Julien mit dem Sendeturm Chasseral
«Still 721m higher than the rest!». T-Shirt der Bieler Marke Jacques et Julien mit dem Sendeturm Chasseral. Motiv: Grössenvergleich mit anderen bekannten Türmen wie Eiffelturm oder Burj Khalifa. Inkl. Chasseral-Höhenzug (1606 m ü.M.) überragt der 114 Meter hohe Sendeturm alle anderen Bauwerke spielend. Museum für Kommunikation
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Ein technischer Bau als Symbol für die Natur: Heute haben sich 21 Gemeinden zum regionalen Naturpark Chasseral zusammengeschlossen. Im Regionalpark-Logo ist der Sendeturm in abstrahierter Form präsent.
Ein technischer Bau als Symbol für die Natur: Heute haben sich 21 Gemeinden zum regionalen Naturpark Chasseral zusammengeschlossen. Im Regionalpark-Logo ist der Sendeturm in abstrahierter Form präsent. Regionaler Naturpark Chasseral
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Käse mit Milch aus der Chasseral-Region. Auch die Käserei Nods benutzt den Sendeturm im Logo.
Käse mit Milch aus der Chasseral-Region. Auch die Käserei Nods benutzt den Sendeturm im Logo. Käserei Nods
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Eine Konstante ist bei den Sendetürmen die Veränderung ihrer Form, wobei die abschliessende Antenne immer höher gegen den Himmel reichte. Teilweise wurden Sendeanlagen auch gänzlich durch neue Türme am selben Standort ersetzt. Anders als bei den Türmen der Landessender wurden bei der Konstruktion nun Aussichtsplattformen oft mitgedacht. Die Sendetürme mutierten damit zu beliebten Zielen einer sonntäglichen Wanderung in der Region. Die aufwendig und teuer zu bauenden Sendetürme wurden mit Bundesgeldern gebaut und meist als Mehrzweckanlagen (MZA) für verschiedene Bedürfnisse erstellt. In den Turm-Bauwerken wurden Einrichtungen für Fernsehen, UKW-Radio, Funkdienste, Armee-Kommunikation und später Mobiltelefonie vereint. Basis für die Fernsehübertragung bildete ein verästeltes Richtstrahlnetz. Die Fernsehstudios, mobile TV-Reportagewagen, Satelliten-Empfangsstationen und die Sendetürme waren durch potente Richtstrahlverbindungen vernetzt. Über auf Sicht verbundene Parabolantennen übermittelte die PTT stark gebündelte TV-Daten. Dabei übernahmen die Turmanlagen nicht nur die terrestrische Ausstrahlung der TV-Programme, sondern auch das Weiterleiten der Richtfunksignale. Eigens erstellte Richtfunkzentren wie die Anlagen Albis-Felsenegg, Jungfraujoch und Monte Generoso garantierten die Richtfunk-Datenübertragung über die Alpen ins Tessin und die Produktion und Übertragung internationaler Eurovisions-Fernsehsendungen.
Ein Peilwagen der PTT vor dem Bantiger Sendeturm im Jahr 1976. Der Turm prägt die Silhouette des Hügels markant.
Ein Peilwagen der PTT vor dem Bantiger Sendeturm im Jahr 1976. Der Turm prägt die Silhouette des Hügels markant. Museum für Kommunikation, FFF 11921
Wie beim UKW-Netz, bedingte die gebirgige Landschaft der Schweiz ein dichtes Netz an Sendeanlagen für die TV-Signalversorgung. Während für die grossen Sendetürme jeweils dem Standort entsprechende bauliche Lösungen gefunden werden mussten, wurden kleinere Regionalsender und Umsetzer – die jeweils ein Tal oder eine Geländekammer mit TV-Signalen versorgten – möglichst einheitlich gestaltet. Die PTT entwickelte dafür genormte Gebäude und Antennenanlagen. Das Gros dieser Anlagen liess sich von einer grossen Mehrzweckanlage aus fernsteuern und benötigte kein Personal vor Ort. Dabei nutzte die PTT Synergien und strahlte neben TV-Signalen meist auch UKW-Radio über die gleichen Antennenanlagen aus.
Provisorium für TV-Versuchssendungen auf dem Bantiger von 1954. In der Holzbaracke war die Sendeanlage untergebracht. Die Ausmasse der Antenne sind noch bescheiden. Wenige Monate später erfolgte der Bau des ersten Antennenturms.
Provisorium für TV-Versuchssendungen auf dem Bantiger von 1954. In der Holzbaracke war die Sendeanlage untergebracht. Die Ausmasse der Antenne sind noch bescheiden. Wenige Monate später erfolgte der Bau des ersten Antennenturms. Museum für Kommunikation
Exemplarisch für die Sendetürme ist die Geschichte des Sendeturmes Bantiger bei Bern: 1954-1955 erstellte die PTT auf dem Gipfel als Provisorium eine unterkellerte Holzbaracke für die Sendetechnik, eine Richtstrahl-Antennenanlage und einen Stahlgitter-Sendeturm von 60 Metern Höhe. An Heiligabend 1954 strahlte die Sendeanlage im Versuchsbetrieb erstmals das noch provisorische Programm des Schweizer Fernsehens aus. Bereits einige Monate zuvor, übertrug die Anlage auf dem Bantiger wohl die aus dem Fussballstadion Wankdorf kommenden Bilder der Fussball-Weltmeisterschaft und sendete diese via Richtstrahlverbindungen nach ganz Europa. Erstmals wurden damals die europäischen Netze für Fernsehübertragungen zusammengeschlossen. Ab 1955 sendete der Bantiger über eine UKW-Antennenanlage auch Radiosignale aus. 1966 war das definitive Sendegebäude bezugsbereit. Dieses umfasste neben den technischen Räumen auch eine Werkstatt, Büros, Aufenthaltsraum, Küche, Dusche und zwei Schlafzimmer. Für die Öffentlichkeit wurde zudem eine Aussichtsterrasse erstellt. In Absprache mit dem Natur- und Heimatschutz hatte die PTT Teile der Betriebsräume unter Tag verlegt und garantierte so das Anschmiegen des Baus an die natürlichen Konturen des Bergrückens. Markant sichtbar blieb der Sendeturm, der in den 1960er-Jahren auf eine Gesamthöhe von ungefähr 100 Meter aufgestockt wurde. Letzterer wurde nach einen Architekturwettbewerb mit einem Neubau ersetzt, der 1996 auf Sendung ging. Ein sich gegen oben verjüngender Betonzylinder trägt seither den Rohrturm der die Konstruktion in Richtung Himmel abschliesst.
1966 wurde auf dem Bantiger das neue Ensemble von Sendegebäude und erweitertem Sendeturm eingeweiht.
1966 wurde auf dem Bantiger das neue Ensemble von Sendegebäude und erweitertem Sendeturm eingeweiht. Museum für Kommunikation
Für die Mitarbeiter gab es im Betriebsgebäude Bantiger auch ein Wohnbereich – eingerichtet ganz im Stil der 1960er-Jahre.
Für die Mitarbeiter gab es im Betriebsgebäude Bantiger auch ein Wohnbereich – eingerichtet ganz im Stil der 1960er-Jahre. Museum für Kommunikation
Zuoberst auf der Turmspitze befindet sich eines der wohl einsamsten Kunstobjekte der Schweiz. Der 2005 verstorbene Berner Künstler Carlo E. Lischetti installierte dort das 1.4 Meter hohe stählerne «Denkmal an die Nähnadel». Das Kunstwerk erinnert an eine sehr frühe und existenzielle Erfindung des Menschen. Im Kern macht die Nähnadel dasselbe wie der Sendeturm – sie verbindet. Insgesamt erreicht der Turm eine Höhe von fast 200 Meter. Auf einer Höhe von ungefähr 30 Metern befindet sich eine öffentlich zugängliche Aussichtsplattform, die einen fantastischen Blick auf die Umgebung der Bundesstadt erlaubt. Am 3. Juni 2019 stellten SRG und Swisscom die terrestrische Ausstrahlung von TV-Signalen ein.
Kunstwerk «Denkmal an die Nähnadel» des Künstlers Carlo E. Lischetti
Auf der Turmspitze steht das Kunstwerk «Denkmal an die Nähnadel» des Künstlers Carlo E. Lischetti. Die 1.4 Meter hohe Nadel aus Stahl ist auf dem Foto knapp zu erkennen. Das Kunstwerk erinnert an eine sehr frühe und existenzielle Erfindung des Menschen. Im Kern macht die Nähnadel dasselbe wie der Sendeturm – sie verbindet. Swisscom Broadcast AG
Wer heute fernsehen will, braucht Anschluss an ein Kabelnetz, eine Satellitenschüssel oder Empfang via Internet. Somit entfällt für den Sendeturm Bantiger – und für alle anderen entsprechenden Anlagen in der Schweiz – die ursprüngliche Kernfunktion. Weiterhin senden die Anlagen, welche heute der Swisscom gehören, UKW und DAB+ Radioprogramme. Sie dienen zudem zur Übertragung von Richtfunksignalen und sind Standort für Mobilfunkantennen und Funkdienstleistungen. Letztlich beherbergen viele der Sender neu auch Low-Power-Network-Antennen für Internet-of-Things-Anwendungen. Und in seltenen Fällen kommen den Sendetürmen ganz persönliche Bedeutungen zu. Wie man dem Autor erzählte, deponierte ein Mitarbeiter des Bantiger-Sendeturms weit oben – wo man nur durch schwindelfreie Kletterei hingelangt – den Nuggi des Nachwuchses. Der Bantiger-Sendeturm ist demnach auch ein Nuggibaum.
Der neue Sendeturm auf dem Bantiger prägt seit 1996 die Silhouette des Hügels. Der Turm hat eine Gesamthöhe von fast 200 Meter.
Der neue Sendeturm auf dem Bantiger prägt seit 1996 die Silhouette des Hügels. Der Turm hat eine Gesamthöhe von fast 200 Meter. Swisscom Broadcast AG
Mit dem Ende der terrestrischen Ausstrahlung des TV-Programms haben die Sendetürme ihre ursprüngliche Hauptfunktion verloren. Für die Verbreitung von Radiosignalen und als Datentransfer-Hub bleiben die Anlagen aber wichtig. Spannend ist abzuwarten, inwiefern die Sendetürme und Richtstrahlanlagen bald als Baudenkmäler wahrgenommen werden. Bei einzelnen Bauten haben die Verantwortlichen bereits entsprechende Schritte eingeleitet. Die Denkmalpflege des Kantons Bern schätzt etwa den 1974 ursprünglich als Richtstrahl-Hub konzipierte Ulmizberg-Turm, als «schützenswert» ein. Das Inventar hält fest: «Der Turm ist eines der wenigen technischen Bauwerke der Schweiz, welches die Idee der Megastrukturen um 1970 aufnimmt. Ölplattformen und Raketenabschussrampen bilden das Pendant dazu.» Auch der Heimatschutz ist auf einzelne Bauten aufmerksam geworden. Im 2013 erschienen Büchlein «Die schönsten Bauten 1960-75» ist das Ensemble von Sendeanlage, Seilbahn-Bergstation, Restaurant und Aussichtsterrasse auf dem Säntis beschrieben. Ein Rückbau der markanten Sendeanlagen würde viele Anwohner wohl zumindest irritieren. Auch wenn für ein Baudenkmal in erster Linie die eigentliche architektonische Qualität des Baus zählt, die Skylines vom Mont Pèlerin, Bantiger, Chasseral, Säntis, Uetliberg & Co. wären ohne Turm kaum wiederzuerkennen.
Begleitung von Post-Hausmeister Heinrich Spitz, beim Fensterputzen am Fernsehturm St. Chrischona, 1988. SRF Karusell vom 19.05.1988

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