Blick auf Aarmühle, später umbennant in Interlaken, in den 1860er-Jahren.
Ein Blick aus den 1860er-Jahren auf den Ort Aarmühle (links der Aare) – besser bekannt als Interlaken. e-pics

Die Erfindung von Interlaken

Der Ort im Berner Oberland hiess Aarmühle. Aber dieser Name hatte keine Ausstrahlung, schon gar nicht auf potentielle Gäste aus aller Welt. Deshalb gab sich Aarmühle 1891 den neuen Namen Interlaken – und wurde damit zur international attraktiven Reisedestination.

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw ist promovierter Historiker, Bühnenpoet und Schriftsteller. Er veröffentlicht regelmässig historische Bücher.

Das Gebiet zwischen Thuner- und Brienzersee war seit jeher ein begehrter Siedlungsort, und man würde eine lange Geschichte von 1000 Jahren und mehr erwarten. Doch der offizielle Name der Gemeinde Interlaken ist gerade mal 133 Jahre alt. Wie kam es denn dazu? Zuerst hiess der Ort Matten. 1837 trennte sich das heutige Interlaken von der Gemeinde Matten ab und wurde unter dem Namen Aarmühle zur selbständigen Gemeinde, benannt nach der früheren Klostermühle an der Aare. Als dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr Gäste in die Gegend strömten, unter anderem um die Jungfrau zu besteigen oder wenigstens zu bestaunen, wollte sich die Einwohnergemeinde Aarmühle umbenennen, zumal die Einheimischen das Wort Aarmühle als «Rameli» auszusprechen pflegten. Statt Aarmühle oder «Rameli» favorisiere man den Namen Interlaken.
Le Höheweg. Chemin d`Aarmühli à Interlachen
Bevor sich der Name Interlaken offiziell durchsetzt, findet man noch keine einheitliche Bezeichnung. Schweizerisches Nationalmuseum
Dieser neue Name war keine Erfindung eines Kurbüros oder einer Werbeagentur, sondern bezog sich auf das mittelalterliche Augustinerpriorat Interlaken, das schon 1133 in der einer Urkunde «inter lacus Madon» genannt wurde. Dazu muss man wissen: Das einstige Kloster wurde im Zuge der Reformation aufgehoben und bestand seit 1528 nicht mehr!

Aus dem «Rameli» wird offiziell Interlaken

So wirkte der Rückgriff auf den Klosternamen etwas zufällig. Aber natürlich, Interlaken war damals auch «gebräuchlich», wie der Einwohnerrat erklärte, weil der Amtsbezirk bereits so hiess. Sogar der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe mit seinem Sinn für wohlklingende Bezeichnungen hatte nach einer Reise 1779 den Ort Interlaken erwähnt, 1816 tat es ihm der Engländer Lord Byron gleich. Zudem klang Interlaken viel weltläufiger, internationaler und damit touristisch attraktiver als Aarmühle. Deshalb reichte die Gemeinde Aarmühle nach Zustimmung der Einwohnerversammlung das offizielle Gesuch beim Kanton Bern am 4. März 1891 ein, sich in Interlaken umbenennen zu dürfen.
Porträt von Johann Wolfgang Goethe um 1800.
Sowohl Johann Wolfgang Goethe... Schweizerisches Nationalmuseum
Portrait von George Gordon Byron aus dem Jahr 1813.
... als auch Lord Byron haben zu Lebzeiten Interlaken besucht. Wikimedia
Daraufhin bat die Regierung des Kantons Bern ihren Regierungsstatthalter Jakob Ritschard von Unterseen um eine Stellungnahme. Doch dieser liess sich Zeit – oder er konnte sich nicht entscheiden. Auf jeden Fall wurde er am 13. Oktober ermahnt, worauf der Statthalter sein Gutachten «in nächster Zeit» in Aussicht stellte, er müsse sich eingehend mit der Geschichte befassen und weitere Meinungen einholen. Doch der Regierungsrat wollte nicht länger warten und verlangte das Gutachten innert acht Tagen. Darauf rang sich der Statthalter doch noch zu einer Stellungnahme durch: Er beantragte eine Ablehnung der Namensänderung, weil diese mit den Nachbargemeinden Matten und Unterseen nicht abgesprochen sei. Aber der Regierungsrat liess sich davon nicht beeindrucken und stimmte am 5. Dezember 1891 der Umbenennung zu.
Eine Mitteilung in der NZZ vom 13. Dezember 1891 informiert über die Namensänderung.
Eine Mitteilung in der NZZ vom 13. Dezember 1891 informiert über die Namensänderung. e-newspaperarchives

Endlich ist Interla­ken zu seinem Recht gekommen. […] ‹Es sei der Gemeinde Aarmühle zu gestatten, ihren politi­schen Ortsnamen in den allgemein gebräuch­li­chen Interla­ken umzuändern.›

NZZ vom 13. Dezember 1891
Der Regierungsrat betonte: «Von dieser Namensänderung haben namentlich auch die Führer der öffentlichen Bücher Notiz zu nehmen und in Zukunft den neuen Namen Interlaken zu gebrauchen». Seither heisst das einstige Aarmühle wohlklingend Interlaken. Und der Ort trat in der Folge aus dem Schatten des benachbarten Unterseen und entwickelte sich zur führenden Tourismusdestination der Region.
Mit dem florierenden Tourismus steigt die Anzahl verschickter Grusskarten. Hier ein Exemplar des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Mit dem florierenden Tourismus steigt die Anzahl verschickter Grusskarten. Hier ein Exemplar des ausgehenden 19. Jahrhunderts. e-pics
Die Hauptstrasse von Interlaken zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Hauptstrasse von Interlaken zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Schweizerisches Nationalmuseum
In Interlaken hat man die Namensänderung nicht bereut, weil man damit mehr als einen Gemeindenamen kreiert hat, nämlich eine eigentliche Marke. Im Jahre 2016 feierte man «125 Jahre Gemeindename Interlaken», dabei meinte Festredner Peter Hollinger, ehemaliges Mitglied des Grossen Gemeinderates Interlaken und Parlamentspräsident: «Im nationalen und internationalen Wettbewerb hat Aarmühle seinerzeit die richtigen Schlüsse aus dieser Entwicklung gezogen, denn der Erwerb eines solchen Exklusivrechtes an der Marke Interlaken zeugt zweifellos von Weitblick.»

Neuer Name, neuer Glanz?

Übrigens war Aarmühle nicht der einzige Ort in der Schweiz, der vornehmlich aus touristischen Gründen eine Umbenennung vornahm. Vor allem die Schweizer Bäderorte wollten schon im Namen ihre Qualitäten benannt haben, weshalb aus Ragaz im Jahre 1937 Bad Ragaz wurde, aus Birrenlauf 1938 Schinznach-Bad und aus Zurzach im Jahre 2006 Bad Zurzach. Im Tessin wurde 1929 aus dem Luganeser Vorort Calprino das wohlklingende Paradiso. Aber das spektakulärste Beispiel einer Umbenennung stammt aus dem Jahre 1890, also einem Jahr vor den Berner Oberländern mit Interlaken: Den Ort Schweiningen nannten die Bündner fortan ausschliesslich Savognin, die präferierten die rätoromanische Namensvariante – was in der Tat bedeutend anmächeliger für die Gäste aus dem Unterland tönte!
Brief an Johann Anton von Peterelli in Schweiningen, um 1850.
Brief an Johann Anton von Peterelli in Schweiningen, um 1850. Staatsarchiv Graubünden, StAGR A Sp III / 15w 3.12

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