Instinkt und Timing
Die Digitalisierung hat die Pressefotografie verändert. Heute werden pro Tag mehrere hundert Millionen Bilder veröffentlicht. Perfekte Pressebilder sind trotzdem rar geblieben.
Vor 100 Jahren kamen die Zeitungen fast ohne Fotos aus. Ab und zu konnten die Leser eine Zeichnung, einen Kupfer- oder einen Holzstich geniessen. Sonst aber mussten sie sich durch eine Bleiwüste kämpfen. Erst ab den 1920er-Jahren wurde vermehrt auf Fotografien gesetzt. Seither hat sich der Fotojournalismus rasant verändert.
Die heutige Welt ist eine visuelle. Tagtäglich wird der Mensch mit einer riesigen Bilderflut konfrontiert. Und das hat nicht nur mit dem Aufstieg der Pressefotografie seit den 1920er- Jahren zu einer eigenen Berufsgattung zu tun. Die grösste Veränderung fand mit der Digitalisierung in den 1990er-Jahren statt. Die neue Technik beschleunigte die Arbeitsprozesse um ein Vielfaches. Was früher Tage dauerte, konnte nun in Stunden bewältigt werden. Die Verbreitung der Bilder wurde vereinfacht und explodierte nach kurzer Zeit. Auf den diversen digitalen Kanälen werden heute weltweit mehrere hundert Millionen Fotos veröffentlicht. Pro Tag! Natürlich sind das nicht nur Pressebilder, sondern vor allem private Fotos. Doch die Grenzen zwischen diesen beiden Kategorien beginnen sich zu verwischen. Medienhäuser setzen seit ein paar Jahren auch auf die Bilder ihres Publikums. Das kostet weniger und erhöht die Zahl der Fotoreporter um ein Vielfaches.
Die Chefredaktoren der Medienhäuser können also auf ein Heer von Augen, Ohren und Handys zählen. Letzteres ist eine weitere Auswirkung der Digitalisierung. Heute produziert jedes Mobiltelefon gestochen scharfe Fotos und übermittelt sie innert Sekundenbruchteilen an Empfänger in Redaktionen, Social-Media-Kanälen und Chats. Wenn irgendwo ein Zug entgleist, tauchen bereits wenige Minuten später Bilder davon auf. Geschwindigkeit ist in Zeiten des Online-Journalismus fast alles. Oft werden «Breaking News» einfach mal ins Netz gestellt, die Bearbeitung des Themas beginnt erst danach, denn in der digitalen Welt kann, anders als in Printprodukten, ständig nachgebessert werden.
All diese technischen Neuerungen haben das Leben der Pressefotografen nicht einfacher gemacht. Im Gegenteil, die Konkurrenz – zum Beispiel durch die erwähnten «Leserreporter» – ist enorm. Aber trotz Zeitdruck, Handykameras und unzähligen Filtern und Effekten, mit welchen man Fotos veredeln kann, wird lange nicht jedes Bild gut. Denn den Instinkt für den richtigen Moment und das Auge für den passenden Bildausschnitt haben nur wenige. Und das kann man weder durch ein Youtube-Video lernen, noch mittels Autofokus kompensieren. Die herausragendsten Schweizer Pressebilder des letzten Jahres zeigt die Ausstellung Swiss Press Photo 17. Es sind Bilder, die nicht einfach geknipst und hochgeladen wurden, sondern hinter denen mehr steckt. Diese Bilder erzählen Geschichten, fangen Emotionen ein und halten ausserordentliche Momente fest. Es sind Bilder, bei denen der Instinkt und das richtige Auge eine massgebende Rolle gespielt haben. Es sind Bilder, die auch in einem schnelllebigen Zeitalter nicht so schnell vergessen werden.
«Swiss Press Photo 17» im Landesmuseum
Noch bis Sonntag, 2. Juli, sind die besten Schweizer Pressebilder des Jahres 2016 im Landesmuseum zu sehen. Eine internationale Jury hat die besten Fotos des letzten Jahres in sechs Kategorien gekürt. Ein Blick lohnt sich auf jeden Fall.