Skifahren im Berner Oberland, 1990.
Seit den 1940er-Jahren gibt es in der Schweiz Jugendskilager. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Von der Abhärtung zum Fun

Seit 1940 gibt es in der Schweiz Jugendskilager. Der Ursprung geht auf den Zweiten Weltkrieg zurück und hat durchaus ernste Gründe: Die Jugend sollte für einen Winterfeldzug gerüstet sein.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Das Jugendskilager gehört zur Schweizer Kindheit wie Hausaufgaben und Noten. Zugegeben, Hausaufgaben werden nicht mehr so konsequent eingefordert und auch an den Noten scheiden sich neuerdings die Geister. Immerhin, das Jugendskilager gibt es noch, schliesslich sind wir eine Skination. Die Anfänge der winterlichen Lager gehen in die 1940er-Jahre zurück und haben vor allem wirtschaftliche und politische Gründe, nicht etwa sportliche. Während der Zweite Weltkrieg Europa in Atem hielt, überlegte man sich in der Schweiz, wie die fehlenden ausländischen Wintertouristen ersetzt werden könnten. Die Antwort war einfach: Mit Einheimischen.

Bundes­rät­li­cher Ferienappell

Neben wirtschaftlichen spielten auch patriotische Überlegungen eine Rolle. Mit dem Wintersport sollte die Abwehrkraft des Landes gestärkt werden, so die Hoffnung der Verantwortlichen. Das erste Skilager mit 500 Jungen fand 1940/41 in Pontresina statt. In den Bergen sollten die Buben ihre Widerstandskraft trainieren und kameradschaftliche Banden knüpfen. Den Anfang der «Bergoffensive» hatte Bundesrat Enrico Celio bereits im Juli 1940 gemacht. Der Verkehrsminister rief die Bevölkerung auf, Ferien zu machen. Sein Appell «Macht Ferien! Schafft Arbeit!» sollte einerseits die heimische Tourismusindustrie stärken, andererseits die Schweizerinnen und Schweizer für eine schwierige Zukunft rüsten. Ausserdem waren Rohstoffe wie Benzin und Kohle knapp und viele Betriebe konnten nicht mit 100-prozentiger Leistung produzieren. Da kamen Ferien für Teile der Belegschaft gerade recht.
Enrico Celio 1942 auf dem Flughafen Dübendorf.
Bundesrat Enrico Celio rief die Bevölkerung auf, Ferien zu machen. ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Der skiver­rück­te General

Doch es brauchte nicht nur einen bundesrätlichen «Ferienpolitiker», sondern vor allem einen «skiverrückten» General. Für Henri Guisan waren das Skifahren und der Wintersport Sinnbild für den eidgenössischen Widerstand. Der General erklärte den Schneesport zur idealen Tätigkeit, um physische und moralische Kräfte für die Landesverteidigung zu tanken. Der Skisport passte ausserdem perfekt zur Réduit-Taktik der Schweizer Armee und wurde sehr schnell Teil der Geistigen Landesverteidigung. Guisan rechnete mit einem «Winterkrieg» wie ihn Finnland zwischen November 1939 und März 1940 gegen die Sowjetunion geführt hatte. Die Finnen leisteten in diesen Monaten erbitterten Widerstand gegen den übermächtigen Feind aus dem Osten und waren für die Eidgenossen ein leuchtendes Vorbild. Mit Skiern und Rentieren hielten sie die sowjetischen Panzer lange im Schach. Oberst Franz Nager war von der Schweizer Armee als Beobachter in den Norden geschickt worden und konnte sich den Winterkrieg aus nächster Nähe anschauen. Die Schweizer interessierten sich vor allem für Taktik und Ausrüstung der Finnen.
Tour im Schnee während dem ersten Jugendskilager in Pontresina, 1941.
Tour im Schnee während dem ersten Jugendskilager in Pontresina, 1941. Keystone/Photopress-Archiv/Fred Eberhard
Porträt von Henri Guisan.
Porträt von Henri Guisan, aufgenommen in den 1930er-Jahren. Schweizerisches Nationalmuseum
Der Schulterschluss von Armee und Tourismus gipfelte in einer riesigen Propaganda-Welle für den Wintersport. Und diese Werbung hatte Erfolg. Schweizerinnen und Schweizer begannen sich immer stärker für Winterferien zu interessieren und machten die fehlenden ausländischen Touristen fast wett. Diese Zeit ist die eigentliche Geburtsstunde der Skination Schweiz. Doch vom heutigen «Fun» im Schnee war man in den 1940er-Jahren noch weit entfernt. Die Lager hatten durchaus etwas Ernsthaftes und waren mehr Abhärtungstraining denn Pistenspass. Für General Guisan waren sie ein Teil der Vorbereitungen für einen allfälligen Winterfeldzug.
Skikurs von Schweizer Soldaten im Gebiet der Diavolezza, 1940. Schweizer Armee
Der Spass kam erst in den 1950er- und 60er-Jahren auf die Pisten. Im Gleichschritt mit der «Entmilitarisierung» des Skifahrens und steigenden Einkommen der Nachkriegsgenerationen. Geblieben sind die Jugendskilager, die auch im 21. Jahrhundert noch durchgeführt werden. Und natürlich die «Skisoldaten», die bis heute ihren Dienst in den Gebirgstruppen der Schweizer Armee absolvieren.
Wachsoldaten im Einsatz, 1944.
Wachsoldaten im Einsatz, 1944. Schweizer Armee
Jugendskilager in der Lenk, 1966. SRF

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