Tambouren der Clique Alti Stainlemer 1933 als «dr helvetisch Hooggegryzzug».
Tambouren der Clique Alti Stainlemer 1933 als «dr helvetisch Hooggegryzzug». © Archiv der Alten Stainlemer

Die Basler Fasnacht und der Nationalsozialismus

An der Basler Fasnacht nimmt man grundsätzlich Jede und Jeden auf die Schippe. Ab 1933 war dies jedoch ein heikles Unterfangen.

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz ist Historikerin an der Universität Basel.

Trotz frühlingshaftem Wetter sind die dunklen Wolken an der Basler Fasnacht 1933 nicht zu übersehen. Vom «Tag der Diktatur» schreibt die lokale National-Zeitung am 6. März, als Cliquen, Einzelmasken und Wagen durch die Strassen ziehen. Am Vortag haben in Deutschland die ersten Wahlen unter Hitlers Kanzlerschaft stattgefunden, eine Woche, nachdem er die Grundrechte ausser Kraft gesetzt hat. Mit dem Nachbarland ist Basel eng verbunden. Tausende deutsche Staatsangehörige leben hier, viele weitere pendeln aus der badischen Umgebung zur Arbeit in die Stadt. Auch die Wirtschaftskrise drückt auf die Stimmung. Der Industriestandort Basel ist besonders stark getroffen. Seit Sommer 1929 hat sich die Zahl der Arbeitslosen versechsfacht. Am Strassenumzug und bei den Schnitzelbänken können die Menschen für einen Moment ihre Sorgen und Ängste vergessen. Doch nicht alle goutieren die mehr oder weniger offene Kritik an Obrigkeiten und Autoritäten, die Bestandteil jeder Fasnacht ist. Die 1932 gegründete Ortsgruppe Basel der NSDAP empört sich derart über die «Ungehörigkeit», mit der ihr Reichskanzler herabgesetzt werde, dass sie das Polizeidepartement unter «schärfstem Protest» zum Handeln auffordert. In einem Land, das sich als neutral bezeichne und «mit Deutschland auch weiter freundschaftliche Beziehungen unterhalten möchte», dürfe so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Sujet der Clique Alti Stainlemer, 1933.
Die Basler Fasnachtssujets von 1933 passten der NSDAP-Ortsgruppe Basel gar nicht. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1045e 2-12-2 2 (Foto Hoffmann, Basel)
Provokanter Auftritt der Alten Stainlemer an der Basler Fasnacht 1933.
Provokanter Auftritt der Alten Stainlemer an der Basler Fasnacht 1933. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1045e 2-12-1 1 (Foto Hoffmann, Basel)
Die Basler Polizei hatte an den Fasnachtstagen seit je viel zu tun. Vor dem Morgenstreich wurden Laternen und Verszettel kontrolliert, Detektive zogen in zivil durch die Restaurants und konfiszierten unsittliche oder ehrverletzende «Helge» (Bilder) der Schnitzelbänkler. Klagen wegen Unzüchtigkeit, Verletzung der Ehre oder religiöser Gefühle beschäftigten die Gerichte teils wochenlang. Meist handelte es sich um innerbaslerische Auseinandersetzungen, ausländische Organisationen oder Regierungen mischten sich kaum ein. Die «öffentliche Beschimpfung eines fremden Volkes oder seines Souveräns oder einer fremden Regierung» war gemäss Bundesstrafrecht zwar seit 1853 strafbar, doch weil die Verfolgung nur auf Verlangen der betreffenden Regierung geschah, kam es selten soweit. Letztmals war dies 1888 der Fall, als die deutsche Regierung einen Fasnachtszettel als so verletzend empfand, dass sie den Verfasser verklagte – und das Basler Gericht ihn verurteilte.
«Gesucht fremdes Unkraut … Hakenkreuzblütler bevorzugt». Ausschnitt aus dem Fasnachtszeedel der Clique Alti Stainlemer von 1933.
«Gesucht fremdes Unkraut … Hakenkreuzblütler bevorzugt». Ausschnitt aus dem Fasnachtszeedel der Clique Alti Stainlemer von 1933. © Archiv der Alten Stainlemer

Nervosi­tät im Polizeidepartement

Ironie oder gar Spott ertragen der «Führer» und seine Adlaten nicht. Der Polizeidirektor will Spannungen an der Fasnacht vermeiden und zieht für 1934 gar eine Absage in Betracht. Als Grund gibt er die grassierende Wirtschaftskrise an. Das Fasnachts-Comité lässt sich über den wahren Grund nicht täuschen und wehrt sich mit Erfolg. Es verspricht dafür zu sorgen, dass Beleidigungen «anderer Staaten, deren Regierungsform oder deren regierender Persönlichkeiten» ausbleiben. «Mir däte gärn vom Hitler singe», trällert der Schnitzelbank d’Alchimischte dazu, «doch kämt gly d’Schuggerei goh springe!» Halbherzig hält man sich in den folgenden Jahren an die Vereinbarung. Ins Visier von Fasnächtlern gerät hingegen die Neue Basler Zeitung, das einzige deutschfreundliche Basler Presseerzeugnis. Ihre Klage wegen Ehrverletzung führt 1936 zur Beschlagnahmung des Wagens der JB-Clique – und zu Protesten in Fasnachtskreisen und der übrigen Presse. 1938 erscheinen Vertreter des deutschen und des italienischen Konsulats im Polizeidepartement. Neben mehreren Versen und Bildern sorgt ein Tambourmajor, der seiner Clique nicht wie üblich in Übergrösse, sondern als «Mussolini en miniature» voranschreitet, für rote Köpfe. Das Polizeidepartement will vermitteln, die Fasnächtler zeigen sich uneinsichtig. Statt die beanstandeten Stellen zu verdecken, verhängt eine Clique ihre Laterne mit einem Trauerflor, andere schmieren schnell etwas Farbe auf die Bilder. Der kleine Mussolini führt seinen Zug weiter an, bis seine Larve auf der Strasse beschlagnahmt wird.
Detail der Laterne der Rätz-Clique, 1934.
Ab 1934 sind «Beleidigungen» der Nationalsozialisten verboten. Die Rätz-Clique ironisiert diese Vorgabe mit einem «Genehmigt Polizeimister»-Stempel auf der Laterne … © Archiv Rätz-Clique
Auftritt der Rätz-Clique 1934 an der Basler Fasnacht.
… auf der Strasse ist dieser übermalt, auf wessen Befehl ist nicht bekannt. Die Hinweise auf Nazi-Deutschland bleiben subtil, der gerupfte Reichsadler hat Hakenkreuzfüsse, die Pfeifer sind «arische Gretchen» mit Pickelhauben. © Archiv Rätz-Clique
Der Polizeiinspektor greift vehement durch. Er hat genug von den «zwischenstaatlichen Verunglimpfungen» und verweist auf den Bundesratsbeschluss von 1934, der die Kantone ermächtigt, Druckschriften zu konfiszieren, welche die guten Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten gefährden. Sämtliche Ausgaben des Versbüchleins der Schnitzelbangg Gesellschaft und mehrere Bilder werden eingezogen. Ausserdem hagelt es Bussen und Vorladungen vor Gericht für Cliquen, die – wie jedes Jahr und entgegen der Vorschrift – nach zehn Uhr abends noch trommeln. Als die Polizei erklärt, die «Unbotmässigkeit» der Cliquen, die glaubten, sich über Verordnungen hinwegsetzen zu können, müsse durch «exemplarische Strafen» gestoppt werden, kochen in der Presse die Emotionen hoch. Seit Mitte März der «Anschluss» Österreichs ans Deutsche Reich vollzogen wurde, ist die Schweiz ausser von Frankreich durchweg von Diktaturen umgeben. Umso heftiger wird die Bedrohung der Pressefreiheit und mit ihr der «Fasnachtsfreiheit» empfunden. «Wir wollen unsere Fasnacht vor Polizeischikanen schützen!», schreibt die Basler Woche im April 1938. «Es geht nicht mehr um die Schnitzelbänke oder um das Trommelverbot: Hier handelt es sich um eine Gesinnung!»
Polizeidirektor Fritz Brechbühl gerät in die Defensive. Der Sozialdemokrat will Vorwürfe wie «Gesinnungsschnüffelei» und «Zensur» nicht auf sich sitzen lassen, sein Eingreifen versteht er als «diplomatische Klugheit». Da die Polizei von sich aus nichts unternommen habe, sondern erst nach der Intervention der Konsulate, könne von «Gesinnungsschnüffelei» keine Rede sein, pflichtet die Arbeiter-Zeitung bei. Ob sie bei einem Polizeidirektor mit bürgerlichem Parteibuch ebenso verständnisvoll reagiert hätte?
Karte der Hitlerjugend, Standort Basek, 1933-45.
Die Ortsgruppen im Ausland, beispielsweise in Basel, sollten ein unzerreissbares Band zu den «Volksgenossen» in der Heimat knüpfen. ©Historisches Museum Basel, Natascha Jansen
Basler Schnitzelbank-Zeedel von 1939.
1939 spottete man in Basel über die deutschen Dienstmädchen, die massenweise zurück ins Reich reisten. Schnitzelbank-Comité
An der letzten Vorkriegsfasnacht stehen deutsche Dienstmädchen im Fokus der Schnitzelbänkler. Anfangs 1939 in ihre Heimat «zurückgerufen», verlassen fast alle die Stadt. Der Anteil der Deutschen, der noch 1920 über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausgemacht hat, fällt auf unter 5 Prozent. Das enge Verhältnis der Grenzstadt zum badischen Umland gehört der Vergangenheit an. Ebenso die Furcht vor diplomatischen Verstimmungen wegen der Fasnacht. Als nach sechs Jahren kriegsbedingten Unterbruchs am 11. März 1946 wieder Cliquen durch die Strassen ziehen und «an Buntheit, Derbheit und Witz» alles Bisherige in den Schatten stellen, ist das deutsche Konsulat geschlossen. Erst 1951 nimmt der Bundesrat offizielle diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf.

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