Der Erfinder und der Augenmensch
Die erstaunliche Geschichte der Kulturzeitschrift «du» hat auch viel mit ihren Chefredaktoren zu tun. Den beiden ersten kommt eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur durch die Anzahl Hefte, die sie geschaffen haben.
Arnold Kübler, der Erfinder
Nicht nur, weil er der Begründer des du war, gebührt dem 1890 geborenen Arnold Kübler in dieser Reihe der Ehrenplatz- vor allem, wenn man sich bewusst wird, dass diese Gründung mitten im zweiten Weltkrieg, nämlich 1941, erfolgte.
Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, was eine solche Zeitschrift in diesen Kriegsjahren bedeutete: sie brachte optisch und inhaltlich die Welt in die Deutschschweizer Haushalte. Im Unterschied zu den Illustrierten der Zwanziger- und Dreissigerjahre fiel das du von Anfang für seine hohe Druckqualität und Sorgfalt in der Gestaltung aus dem Rahmen. Das hatte damit zu tun, dass der Zürcher Verleger Conzett & Huber mit dem du für seine hervorragende Druckerzeugnisse werben wollte und entsprechende Defizite in Kauf nahm.
Kübler wollte seine Leserschaft auf Augenhöhe zum Mitdenken, zum Dialog, zum Hinhören und Hinschauen einladen – mit interessanten und in einer zugänglichen, nicht abgehobenen Weise präsentierten Themen. Damit erklärt sich übrigens der seltsame Titel du...
Kübler war kein Modernist, aber wenn es ihm wichtig war, dann stellte er sich gegen den allgemeinen Geschmack, am deutlichsten mit dem Heft zu Paul Klee von Oktober 1948, mit dem er sich böse Leserbriefe und Abbestellungen des Abonnements einhandelte. Eine grosse Bedeutung hatte bei ihm die Fotografie. Hier konnte er vor allem mit Emil Schulthess und dem jungen Werner Bischof Massstäbe und Akzente setzen: wo sonst gab es, ausser hier beim du, lange vor GEO, Mehrfachnummern zu Nordamerika (fünf Hefte 1954/55) oder Afrika (vier Hefte 1957)?
Manuel Gasser, der erste Nachfolger
Kübler hatte 17 Jahrgänge und somit 204 Hefte als Chefredaktor betreut, als er 1957 vom Verleger Conzett & Huber fallen gelassen wurde. An seine Stelle trat der um 19 Jahre jüngere Manuel Gasser, bisher Feuilletonchef und Auslandkorrespondent der Weltwoche, die er mitbegründet hatte. Ihm, dem Augenmenschen, war bei der Weltwoche nicht möglich gewesen, was er jetzt beim du endlich mit grosser Hingabe verwirklichen konnte: die Gleichwertigkeit von Bild und Text, oder sogar die Dominanz des Bildes gegenüber dem Wort, am extremsten umgesetzt im sensationellen du «New York, East 100st Street» mit Fotografien von Bruce Davidson (März 1969). Das von Kübler etablierte Profil führte er weiter, allerdings mit einer stärkeren Gewichtung von bildender Kunst und künstlerischer Fotografie gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen.
Bei Kübler hatten diese angesichts der Dramatik des Zeitgeschehens immer wieder ihren Platz. Das war, als Gasser anfing, anders: die späten Fünfzigerjahre sind Jahre, in denen man vorwärts schaute, Zeiten des wachsenden Wohlstandes und wachsenden (im Verhältnis zu heute allerdings äusserst moderaten) Tourismus. So ist es kein Zufall, dass zu den Glanzlichtern der Ära Gasser diverse Städtehefte gehören (Urbino, Parma, Cambridge, Milano, Palermo, Neapel, der Vatikan, usw.). Oder Hefte über die Gauchos, über Japan, über Chicago und über die Insel Koh Samui in Zeiten, als diese noch völlig unentdeckt war. Für jedes Heft bestellte er einen Fotografen, für die eben genannten heuerte er den jungen René Burri an, für die Städtehefte Berühmtheiten wie Henri Cartier-Bresson, Herbert List, Enzo Sellerio, Leonard von Matt, Horst Munzig, die den Auftrag hatten, ihre persönliche Sicht auf die jeweilige Stadt einzubringen. Sonderhefte über Künstler, am bedeutendsten sicher diejenigen über Pablo Picasso, dem Kübler schon zwei Beiträge gewidmet hatte, Cocteau, Mirò, Alberto Giacometti, Varlin, gehören ebenfalls zu den Highlights der Gasser-Zeit. Sie haben eine ganze Generation von du-Lesern und –Leserinnen geprägt und ihnen die Reichtümer und Schönheiten der Welt, der Kunst und Natur erschlossen; in einer «das Wort» betitelten Beilage übrigens auch die Perlen der Literatur. Einige Hefte sind wegen der umwerfenden Reportagen und der unwiederbringlichen Qualität des Druckes auch bei den Jungen von heute Kult bzw. gesuchte Hefte auf dem antiquarischen Buchmarkt.
Natürlich verantwortete kein Chefredaktor diese Hefte immer selber: jeder hatte sein Team um sich, deren Fähigkeiten zum Gelingen beitrugen. Gasser liebte das Reisen, war deshalb immer wieder längere Zeit unterwegs, oft im Hinblick auf eines der geplanten Hefte. Dann kamen seine jeweiligen Mitarbeiter zum Zug und hatten die Verantwortung für ganze du-Nummern, allen voran der Journalist und Schriftsteller Hugo Loetscher oder der Kunsthistoriker Willy Rotzler.
Auch Gassers Ära umfasste schliesslich 17 Jahrgänge und 204 Hefte. Sein Abgang war aber keine Kündigung, sondern in erster Linie das Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren. Dazu kam eine gewisse Ermüdung – sie wird in den Heften der letzten Jahre sichtbar. Nicht nur die Druckqualität hatte inzwischen durch die Umstellung von Tiefdruck auf Offset nachgelassen, sondern auch die Dringlichkeit der Inhalte. Auch fehlte ihm am Schluss ein Team, wie er es vorher mit Loetscher und Rotzler zur Verfügung hatte.
Veränderte Rahmenbedingungen
Dennoch: an der Messlatte, die Kübler und Gasser gesetzt hatten, wurden alle ihre Nachfolger gemessen. Dass ihre Rolle immer schwieriger geworden war, ist klar. Denn die Veränderungen im Medienbereich stellten die Vormachtstellung des du in Frage. Man denke an den Siegeszug des Fernsehens und die jährlich wachsende Flut von reich illustrierten Büchern und Magazinen im Bereich Reisen und Kunst. Nochmals erschwert wurde die Position eines Monatsheftes wie dem du in den letzten 20 Jahren durch das Internet, welches die Verfügbarkeit von Informationen und Abbildungen vollkommen revolutioniert und allgemein verfügbar gemacht hat. Fast erstaunlich, dass es das du heute noch gibt...