Der Regenschirm
Während es im Winter in den Bergen schneit, besteht der Niederschlag im Flachland meist aus Tropfen. Deshalb ist es ratsam, in den ersten Monaten des Jahres mit einem Regenschirm aus dem Haus zu gehen.
Anzug, Weste, Krawatte, Hut und Regenschirm. Bei jedem Wetter. Anders kann man sich Robert Walser gar nicht vorstellen. Der Regenschirm jenseits der durch seinen Namen bezeichneten Funktion, der Regenschirm als Teil der Person, fast schon als Körperteil. So malt ihn Varlin 1964 in Öl. Sein Gemälde «Regenschirm» wirkt nicht als Abbild eines Gegenstandes, sondern wie ein Personenporträt. Er lebt. Er lacht.
1727 taucht der Regenschirm im Kanton Zürich auf. Über Louis Philippe, 1830-1848 französischer König, wird er zum Symbol einer ganzen Epoche. Ein guter Schirm und ein Filzhut, so der «Bürgerkönig», seien zu jeder Zeit nützlicher als Krone und Zepter. Zum unverzichtbaren Begleiter des Schweizer Alltags wird er, nunmehr aus einem Drahtgestell und Baumwollstoff gefertigt, von den 1850er-Jahren an. Wer das Haus ohne Schirm verlässt, lebt im Gefühl, etwas ganz Wichtiges vergessen zu haben. Daran ändern auch der 1934 patentierte «Knirps» und dessen Ausstattung mit Öffnungsautomatik im Jahr 1965 nichts. Im Gegenteil. Erst in den 1980er-Jahren büsst der Regenschirm seine psychologische Unverzichtbarkeit ein. Nicht zuletzt deshalb, weil er, sogar als «Knirps», für den von Hektik und Mobilität geprägten Alltag zu sperrig ist.
Allerdings sollte man sich das trotz Platzmangel in der S-Bahn und Schirmdieben im Tram noch einmal gründlich überlegen. Lieber eine «sperrige» Anfahrt auf sich nehmen, als danach tropfnass in einem Meeting sitzen und am Tag danach krank im Bett liegen. Oder?