Bis in die frühe Neuzeit galt die Kokosnuss als Wundermittel. Beispielsweise gegen Gift.
Illustration: Marco Heer

Eine Nuss von Welt

Die Kokosnuss galt bis in die frühe Neuzeit als exotische Rarität aus der neuen Welt. Sie sollte nicht nur vor einer Vergiftung schützen, sondern auch Weltgewandtheit demonstrieren.

Rebecca Sanders

Rebecca Sanders

Rebecca Sanders ist Kuratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Krämpfe, Koliken und innere Blutungen – das sind Symptome einer Arsenvergiftung. Nieren- und Kreislaufversagen führen schliesslich innert weniger Stunden oder Tage zum Tod. Da Arsen geruch- und geschmacklos ist und sich in Flüssigkeiten leicht auflösen lässt, ist es speziell heimtückisch – und für Giftattentate besonders geeignet. Bereits in geringen Mengen wirkt es tödlich.

Wie konnte man sich also im ausgehenden Mittelalter gegen eine Arsenvergiftung schützen? Natürlich mit einer Kokosnuss! Bis in die Neuzeit wurden der Kokosnuss nämlich magische Heilkräfte nachgesagt. Sie sollte krankmachende Bestandteile oder Gifte durch verfärben oder aufschäumen anzeigen. Im besten Fall würde sie das Gift sogar neutralisieren. Somit hatte der Besitzer oder die Besitzerin einer Kokosnuss eine «Hilfe gegen unsichtbare Giftmörder» zur Hand.

Im «Kreuterbuch» von Adam Lonitzer wird die Kokosnuss 1557 als Mittel gegen Blasenleiden, Hüft- und Knieschmerzen, Würmer und Phlegma gerühmt.
ETH Bibliothek, e-rara

Exotische Rarität

Glücklich konnte sich also schätzen, wer eine Kokosnuss sein Eigen nennen durfte. Mit der Entdeckung neuer Seehandelswege nahm der Import dieser exotischen Frucht in unsere Gegenden zu. Nebst Kokosnüssen wurden auch Korallenzweige, Strausseneier, Rhinozeroshörner, Schildkrötenpanzer, Elefantenzähne, Narwalzähne (die als Horn des sagenumwobenen Einhorns galten), Igelfische und Büffelhörner, die man für Greifenklauen hielt, nach Europa gebracht. Diese exotischen Dinge repräsentierten koloniale Errungenschaften für die «zivilisierte» Welt.

In Europa wurden die Kuriositäten mit kostbaren Edelmetallen zu kunsthandwerklichen Kostbarkeiten verarbeitet. Damit schaffte man die perfekte Verbindung von Natur und Kunst: Naturalia, Gottes Schöpfungen, und Artificialia, menschliche Kreationen, wurden in einem Objekt vereint.

Viele dieser Schätze fanden Eingang in die privaten Raritätenkabinette reicher Fürsten. Sie wurden Besucherinnen und Besucher gezeigt um diese zu beeindrucken und vom Reichtum, Wissen und der Weltgewandtheit ihrer Besitzer zu überzeugen. Solche Sammlungen sollten sowohl die Welt en miniature darstellen, als auch die Stellung des Menschen im Universum reflektieren. Die Wunderkammer-Sammler buhlten mit den angehäuften exotischen Gegenständen um die Bewunderung und Ehrerbietung ihrer Gäste.

Kokosnusspokale waren im 15. und 16. Jahrhundert in den europäischen Kunst- und Wunderkammern der Reichen anzutreffen.
Schweizerisches Nationalmuseum

Auch das wohlhabende Bürgertum konnte sich dank neuer Überseehandelswege Exotica leisten und kaufte sich edle, absonderliche und rare Dinge. Dies bezeugen Erbschafts- und Hinterlassenschaftsinventare. Als Elsbeth Burger 1546 heiratete, wurde in ihrer Mitgift nebst 26 verschiedenen Bechern eine als Trinkgefäss gefasste «Muskatnusss», wie Kokosnüsse genannt wurden, aufgelistet. Und auch der angesehene Zürcher Zunftmeister Jakob Sprüngli hinterliess bei seinem Tod 1572 einen repräsentativen Silberschatz, wozu ebenfalls eine gefasste Kokosnuss gehörte. Über ihren Einsatz lässt sich nur spekulieren. Sicher aber dienten sie zur Zierde und als Statussymbol. Ob sie faktisch jemals einen Besitzer vor Giftmordanschlägen zu schützen vermochten, ist leider nie schriftlich festgehalten worden. Aber wir können davon ausgehen, dass bereits der Glaube an das Schutzpotential der Kokosnuss ihren Besitzerinnen und Besitzern zusätzlich ein gutes Gefühl verliehen.

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