Blick in die Ausstellung «The Porcelain Room – Chinese Export Porcelain».
Blick in die Ausstellung «The Porcelain Room – Chinese Export Porcelain». Foto: Delfino Sisto Legnani. Mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Prada

Der Schweins­kopf im Porzellanladen

Mit dem «Porcelain Room» illustriert die Fondazione Prada in Milano ein besonders aussagekräftiges Kapitel aus der Geschichte der Globalisierung. Es ist auch eine Geschichte des am Geschmack zahlungswilliger Kunden orientierten Designs.

Hibou Pèlerin

Hibou Pèlerin

Seit vielen Jahren fliegt Hibou Pèlerin zu kulturhistorischen Ausstellungen. Für den Blog des Schweizerischen Nationalmuseums greift sich Pèlerin die eine oder andere Perle raus und stellt sie hier vor.

Die kostbare chinesische Ming-Vase mit ihrem üppigen Dekor ist den meisten von uns höchstens noch aus Museen oder altbackenen Witzen vertraut. Auch sind die Zeiten längst vorbei, in denen ein möglichst feines Porzellanservice von einer bekannten Manufaktur zur Aussteuer gehörte. Der edel gedeckte Tisch ist keine Prestigesache mehr, und die Spülmaschine hat dem Goldrand den Garaus gemacht. Dennoch ist Porzellan in unserem Alltag nach wie vor sehr präsent. Die Massenware kommt heute wieder zu einem wachsenden Teil aus China, wo es bekanntlich erfunden wurde. Das entbehrt insofern nicht einer gewissen Ironie, als feinstes chinesisches Porzellan in Europa lange Zeit der Gipfel des Luxus war.
Im «Porcelain Room» zeichnet die Fondazione Prada ein Kapitel dieser Geschichte nach. Zunächst ist das eher überraschend für eine Institution, die in Mailand wie auch in Venedig in den letzten Jahren vor allem mit ambitionierten Kunstausstellungen aufgewartet hat. Aber da die mit der Fondazione verbundene Modefirma Prada gerade in Mailand auch zumindest bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie sehr viel chinesische Kundschaft hatte, darf man dahinter ein gewisses Kalkül vermuten. Titel und Konzept der Präsentation «Porzellanraum» bestätigen dies, indem sie ausdrücklich eine Spezialität aus der verästelten Geschichte des Luxus und der Moden zitieren. «Porzellanräume» waren früher besondere Räume für Porzellan, in denen Fürsten, aber etwa auch arabische Scheichs oder europäische Kaufleute, vor allem in den Niederlanden, ihr zerbrechliches «China» ausstellten. Die mit Porzellan dekorierte Decke im Santos-Palast von Lissabon oder der Porzellanraum im Berliner Schloss Charlottenburg sind bis heute erhaltene Beispiele.
Vase mit portugiesischem Kardinalswappen.
Vase mit portugiesischem Kardinalswappen. Foto: Delfino Sisto Legnani. Mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Prada
Am Anfang stehen die sogenannten «First Orders». So bezeichnet man die ersten europäischen Aufträge an chinesische Porzellanproduzenten, die die Portugiesen unter König Manuel nach ihrer Ankunft in China 1513 erteilten. Da hatten die Chinesen schon viel Know-how angesammelt. Denn Porzellan ist erstmals in der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n.Chr.) nachgewiesen. Schon damals gelangte es auf Handelswegen vor allem in den südostasiatischen Raum, vereinzelt auch schon über die «Seidenstrasse» bis nach Rom. Eine erste Expansionswelle wurde in den Tang- und Yan-Dynastien (618–1361) erreicht. Gegen Ende dieser Zeit reiste Marco Polo in China. Aber so richtig Schwung brachten erst die Portugiesen während der chinesischen Blütezeit der Ming-Dynastie (1368–1644) in den Handel. Von nun an begannen die Chinesen auch, ihr Porzellan-Design den Wünschen ihrer Auftraggeber anzupassen. Genau darauf bezieht sich der Begriff der «ersten Aufträge».
In der Fondazione Prada sieht man die vermutlich grösste jemals gezeigte Auswahl der damals entstandenen Stücke, Raritäten aus diversen Museen und Sammlungen, gleich im ersten Raum der Ausstellung. So beispielsweise Gefässe mit den Wappen von König Manuel, Elementen christlicher Ikonografie, lateinischen oder portugiesischen Inschriften. Sie wurden zunächst einfach zum ursprünglichen chinesischen Dekor hinzugefügt. Dabei zeigen einzelne Objekte, dass die chinesischen Handwerker mit der ihnen völlig unbekannten lateinischen Schrift ihre liebe Mühe hatten. So wurde das königliche Wappen verdreht oder das Zeichen IHS für Jesus und ein «s» verkehrt herum geschrieben. Noch auffälliger wird die Überforderung bei Gefässen oder Tellern, die wenig später für arabische Herrscherhäuser entstanden. Die arabischen Schriftzeichen sind recht ungelenk geschrieben. Mit der Zeit ging man nicht nur beim Dekor, sondern auch in der Formgebung immer mehr auf die Bedürfnisse der Auftraggeber ein. So entstanden Krüge, für die portugiesische Keramiken Modell gestanden hatten. In den wenigen Vitrinen wird ein wichtiges Kapitel aus den Anfängen der Globalisierung skizziert. Die Chinesen lernten schnell: Will man sich neue Märkte erschliessen, ist Anpassung an den Geschmack der Käufer ein guter Schachzug.
In der Ausstellung sind prachtvolle Skurrilitäten aus diversen Museen und Sammlungen zu sehen.
In der Ausstellung sind prachtvolle Skurrilitäten aus diversen Museen und Sammlungen zu sehen. Foto: Delfino Sisto Legnani. Mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Prada
Der zweite Raum, optisch der Höhepunkt der Schau, lebt von den prachtvollen Skurrilitäten, die so vor allem zu Beginn der Qing-Dynastie (1644–1912) entstanden. Porzellan hatte sich in Europa als begehrtes Luxusgut etabliert und seinen Siegeszug auf die Tische europäischer Herrscher begonnen. Die unter dem Kaiser Kangxi (1662–1722) wieder angeworfenen, bis heute existierenden berühmten Porzellanöfen von Jingdezhen spuckten fortan aus, was die Europäer beglückte. Zum Beispiel liebevoll gestaltete, üppig dekorierte Tafelaufsätze in Form aller möglicher Tiere und Früchte. Das Defilé von Enten- oder Wildschweinkopf-Suppenterrinen, die damals in Mode kamen, ruft ein Kapitel aus dem berühmten «Prozess der Zivilisation» des Soziologen Norbert Elias in Erinnerung. Dem zufolge verfeinerten sich ausgehend vom Adel die Tischsitten immer mehr. Statt dem ganzen Schwein am Spiess servierte man nun das zerlegte Tier in einer Terrine, deren Gestaltung den Ursprung des Ragouts verriet. Der Wert der künstlerischen Stücke als Anknüpfungspunkt für das gepflegte Tischgespräch ist nicht zu unterschätzen. Jedenfalls dürfte dem Besitzer der fein ausgeführten Krabbenschüsseln, der Karpfen-, Granatapfel- oder Mangoterrine, aber auch der dekorierten Kerzenhalter und Schöpfkellen aus Porzellan die Bewunderung seiner Gäste sicher gewesen sein.
Statt dem echten Schweinskopf servierte man an der gepflegten Tafel das Tier in einem Gefäss, deren Gestaltung den Ursprung des Ragouts verriet.
Statt dem echten Schweinskopf servierte man an der gepflegten Tafel das Tier in einem Gefäss, deren Gestaltung den Ursprung des Ragouts verriet. Foto: Delfino Sisto Legnani. Mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Prada
Vom Höhepunkt der chinesischen Export-Produktion kündet der dritte Raum, dessen Wände wie ein historischer Porzellanraum über und über mit Einzelstücken, darunter auch Schiffe oder Figuren aus Porzellan, sowie vielteiligen, eigens für privilegierte Auftraggeberinnen wie etwa Madame de Pompadour produzierten Tafelservices bedeckt sind. Die gehobene Tischkultur treibt immer wildere Blüten. So gehören nun etwa Salzschälchen, Buttertöpfchen oder Weinkühler dazu, wie das erlesene Service für die begüterte portugiesische Familie Sampaio e Melo illustriert. Bis zu 500-teilige Aufträge werden in den Archiven eines der Hauptimporteure, der holländischen East India Company, verzeichnet. Die Dekors, die Chinoiserien und westliches Bildmaterial miteinander verschränken, füllen ganze Musterbücher. Dieser Höhepunkt wird überschritten, nachdem in Europa, zuerst in Meissen, das Produktionsgeheimnis für das «weisse Gold» entschlüsselt wurde und bald darauf jedes Königshaus, das etwas auf sich hielt, seine eigene Manufaktur gründete. Das Bürgertum eifert dem Adel bei den Tischsitten nach, die europäische Porzellanindustrie floriert. Dieser Prozess fällt zusammen mit dem Niedergang der Qing-Dynastie und der darauf folgenden Unterjochung Chinas durch den Westen, schliesslich mit dem Niedergang der Luxusproduktion aus politischen Gründen im 20. Jahrhundert. Erst in jüngerer Zeit gibt es in der alten Porzellanstadt Jingdezhen wieder eine hochstehende Geschirrproduktion.
In der Fondazione Prada wird dieses jüngste Kapitel nicht mehr erzählt. Dennoch erschliesst sich die Pointe mühelos: Heute sind ausgerechnet die reicheren Chinesen, die durch die Globalisierung viel Geld verdient haben, wichtige Kunden für westliche Luxuswaren, auch wenn es weniger Porzellan als Mode ist. Sie wollen umworben sein. Wer im Handel erfolgreich sein will, passt sein Design mit Vorteil dem Geschmack der zahlenden Kundschaft an. So kann einem die Porzellan-Ausstellung die Augen dafür öffnen, die Modekollektionen und die Werbung im Epizentrum der italienischen Mode, der nur ein paar Metrostationen entfernten Via Montenapoleone, mal unter diesem Gesichtspunkt anzuschauen. Die jüngst etwas ins Stottern gekommene Globalisierung ist, soviel wird einmal mehr klar, keine Einbahnstrasse.

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