Charles als Skifahrer 1994. YouTube

Prinz im Unglück

Der weltbekannte Prinz Charles von England geriet 1988 in Klosters in eine Lawine. Er kam mit dem Schreck und einem Schock davon, doch sein befreundeter Begleiter starb dabei. Das Unglück hatte einschneidende Folgen.

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw ist promovierter Historiker, Bühnenpoet und Schriftsteller. Er veröffentlicht regelmässig historische Bücher.

Die Netflix-Serie «The Crown» stellt es als eine Schlüsselszene im Leben des Prinzen von Wales dar, in Episode 9 in der Season 4 mit dem Titel «Avalanche – Lawine». Dabei erinnert heute in Klosters, am Ort des Geschehens, nichts mehr an das Unglück. 10. März 1988. Nach vier Tagen bedecktem Himmel und 50 Zentimeter Neuschnee scheint endlich wieder die Sonne. Tags zuvor hat in Klosters die königliche Familie aus England rund 80 Fotografen aus England, Deutschland, Frankreich und der Schweiz auf der Skipiste empfangen – für gerade mal drei Minuten! Prinz Charles posiert im mausgrauen, einteiligen Skianzug, seine damalige Gattin Diana in Schwarz mit schmalen roten und grünen Streifen und seine Schwägerin Sarah Ferguson in Lila. Das royale Trio legt beim Salfranga-Skilift ein paar Schwünge hin, die Fotografen klicken so schnell und so oft sie können. Als dann Diana kurz hinplumpst, hat sich das stundenlange Warten für die Paparazzi gelohnt. Das Foto der im Schnee sitzenden Diana geht um die Welt.
Die königliche Familie in den Skiferien in Klosters. YouTube

Der ganze Berg stürzt ins Tal

Doch dann, am nächsten Tag, passiert es. Prinz Charles fährt mit einer Gruppe von fünf Leuten im Gebiet Gotschnagrat Ski. Um 14.50 Uhr nimmt die Sechsergruppe zum dritten Mal den «offenen Gotschnawang» unter die Bretter. Die Engländer frönen dem sogenannten Variantenskifahren, geniessen also den frischen Tiefschnee ausserhalb der markierten Pisten, obwohl das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung vor «erheblicher Schneebrettgefahr» gewarnt hat. Ein grösseres Schneebrett geht ab, Prinz Charles sagt später dazu: «Der ganze Berg schien neben uns ins Tal zu stürzen.» Die Lawine erfasst zwei Personen der royalen Gruppe und reisst sie rund 450 Meter in die Tiefe. Bruno Sprecher, ehemaliger Skirennfahrer und Bergführer, der die Engländer begleitet hat, handelt sofort. Er alarmiert die Polizei, ordert einen Rettungshelikopter, fährt zum Lawinenkegel, um mit einem Suchgerät die Verschütteten zu orten und zu graben. Sprecher findet eine schwerverletzte Frau, beatmet sie Mund-zu-Mund und reicht dem Prinz die Schaufel, der die Frau weiter freizulegen versucht. Um sie nicht zu verletzen, gräbt Charles mit blossen Händen. Die verschüttete Patty Palmer-Tomkinson überlebt dank der Soforthilfe von Sprecher und Charles. Knapp 100 Meter hangaufwärts finden die Rettungskräfte in der Lawine Hugh Lindsay, doch sie können den 34-jährigen Major nur noch tot bergen. Lindsay hatte früher als Stallmeister bei Queen Elizabeth II. gearbeitet und als Soldat in Nordirland, Deutschland und im Oman gedient. Prinz Charles bezeichnet ihn als «engen Freund». Er hinterlässt eine schwangere Frau. Als der Rettungshelikopter im Lawinengebiet landet, soll der Prinz geschluchzt und gezittert haben, berichten Augenzeugen.
Bild des Unfallgeländes vom 10. März 1988.
Bild des Unfallgeländes vom 10. März 1988. SLF Davos

Der Prinz nimmt die Schuld auf sich

Nach und nach kommen mehr Details des Unglücks ans Tageslicht. Zuerst hiess es, ein Bergführer habe die Gruppe geleitet und in den Lawinenhang geführt. Später kommt die Korrektur: Bergführer Bruno Sprecher sei nur als privater Gast der Gruppe mitgefahren. Charles sagt über den Bündner Bergführer: «Er machte seinem noblen Beruf alle Ehre. Wir werden ihm immer dankbar sein.» Das englische Königshaus will wohl den einheimischen Bergführer schützen, schliesslich geniesst Charles diplomatische Immunität und kann in der Schweiz einem allfälligen Urteil entgehen. Wohl deshalb nimmt der Prinz vor den Medien die Schuld höchstpersönlich auf sich. «Offenbar war es der Prinz gewesen, der die sechsköpfige Gruppe trotz massiver Warnungen vor lokaler Schneebrettgefahr auf den steilen Hang geführt hatte», heisst es in der Meldung der Presseagentur «spk.», die in vielen Zeitungen Verbreitung findet. Die britischen Medien nehmen Charles ins Visier und schiessen scharf: Sie rügen den Prince of Wales für seine Neigung zu gefährlichen Sportarten und fordern ihn auf, künftig auf solchen sinnlosen und gefährlichen Zeitvertreib zu verzichten. Doch Charles muss auch kurz ins Spital Davos und steht unter Schock. Er will seinen Skiurlaub fortsetzen. Davon hält ihn Diana, die an diesem Nachmittag auf das Skifahren verzichtet hat, ab. Sie drängt Charles dazu, die Ferien sofort abzubrechen und pietätshalber mit dem Sarg von Hugh Lindsay nach London zurückzufliegen. Der Prince of Wales will in London eine Pressekonferenz abhalten, doch Diana und die Medienstelle der Royals überzeugen ihn, lediglich eine Mitteilung in seinem Namen zu publizieren.
Prinzessin Diana und Prinz Charles beim Skifahren in Klosters am 9. März 1988.
Prinzessin Diana und Prinz Charles beim Skifahren in Klosters am 9. März 1988. Keystone / Str

Folgen für die Ehe von Charles und Diana

Die Katastrophe im Schnee zeitigt fatale Folgen im Eheleben von Charles und Diana. Der königliche Biograf James Whitaker schreibt dazu: «Der Tag, an dem die Lawine in Klosters niederging, war der Tag, an dem sich Dianas Herz gegenüber ihrem Ehemann verhärtete.» Nach der Landung des Flugzeuges in England trennt sich das Ehepaar sofort. Charles verkriecht sich in der privaten Residenz Highgrove House; Diana hingegen geht in den Kensington Palace, um Lindsays schwangere Witwe zu trösten. Der Stoff ist so dramatisch, dass er darum Eingang gefunden hat in die Netflix-Serie «The Crown». Doch auch im Kanton Graubünden hat das Unglück Folgen. Die Staatsanwaltschaft nimmt offizielle Ermittlungen auf. Ist der Prinz am Unglück schuld, wie er selber sagte? Ist der Bergführer schuld, der den Lawinenhang hätte kennen müssen? Vier Monate dauern die Ermittlungen, bei denen auch der englische Prinz mitwirkt. Aber am 27. Juni 1988 stellt die Bündner Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Sie argumentiert damit, dass der Bergführer nicht in offizieller Funktion, sondern als privater Bekannter die Gruppe begleitet habe. Und weil niemand die Gruppe eindeutig in den Lawinenhang hineingeführt habe, handle es sich um eine «Gefahrengemeinschaft», und niemand trägt die Schuld.
Prinz Charles 1963 in Scuol-Tarasp: Hier lernt er das Skifahren, das seine Leidenschaft werden wird.
Prinz Charles 1963 in Scuol-Tarasp: Hier lernt er das Skifahren, das seine Leidenschaft werden wird. ETH-Bibliothek Zürich
Prinz Charles in Klosters am 5. Januar 1999.
Prinz Charles in Klosters am 5. Januar 1999. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
An das tragische Unglück erinnert heute nichts mehr. Die Bergbahnen von Klosters ehrten Prinz Charles, der schon während 40 Jahren den Skiort besucht, mit einer Kabine der Gotschna-Bahn, die fortan «Prince of Wales» hiess und dementsprechend beschriftet wurde. Doch mittlerweile besteht auch diese nicht mehr, der Platz für den Schriftzug ging an eine Finanzfirma, die nun dort für ihre Vermögensverwaltung wirbt. Und der Lawinenhang ist noch heute ungesichert, aber als Wildschutzzone ausgeschieden, sodass nichts mehr passieren sollte.

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