Eiche im Galmwald (FR).
Eiche im Galmwald (FR). Kanton Freiburg

Eine Gemeinde ohne Einwoh­ne­rIn­nen – dafür mit Eichen

Das Ende der Helvetischen Republik war eine Zeit der Neuordnung. Es entstand damals auch ein Schweizer Unikum: Eine Gemeinde ohne Einwohnerinnen und Einwohner – aber mit Eichen aus der Geburtsstunde der Nachhaltigkeit.

Guido Balmer

Guido Balmer

Guido Balmer ist Kommunikationsbeauftragter der Direktion für Raumentwicklung, Infrastruktur, Mobilität und Umwelt des Kantons Freiburg und freischaffender Kommunikationsprofi.

Die 257 Hektaren Wald südöstlich von Murten sind unbewohnt. Die Besonderheit dieses Waldes: Er ist eine eigene geografische Gemeinde, direkt dem Staat Freiburg zugeteilt. Offizieller Name der Gemeinde: Staatswald Galm. Sie hat auch ein eigenes Wappen: Eine Eiche, unter der drei Eicheln liegen. Hinter dem Baum windet sich ein blaues Band. Es steht für die Quelle, die im Wald entspringt.
Wappen des Staatswalds Galm (FR).
Wappen des Staatswalds Galm (FR). Das Wappen wurde 2013 geschaffen und zeigt eine Eiche über drei Eicheln. Das blaue Band steht für die Quelle im Wald. Wikimedia
Entstanden ist dieses Unikum am Ende der Helvetischen Republik, im Zuge der territorialen Neuordnung der Schweiz. Der Galmwald wurde Freiburg zugeschlagen und dann aufgeteilt. Die Gemeinden Jeuss, Salvenach, Lurtigen, Ulmiz und Liebistorf erhielten ein an ihr Gebiet angrenzendes Waldstück. Das Kernstück ging in direkten Kantonsbesitz über. Daran änderte sich bei allen folgenden Entwicklungen nichts. Der Wald ist bis heute unter direkter Verwaltung des Staates Freiburg.
Lage des Staatswaldes Galm zwischen den Gemeinden Murten, Gurmels und Ulmitz.
Lage des Staatswaldes Galm zwischen den Gemeinden Murten, Gurmels und Ulmitz. Wikimedia / Tschubby

Mehr als nur adminis­tra­ti­ver Sonderfall

Der Staatswald Galm ist aber mehr als nur ein administrativer Sonderfall. Auch aus forst- und waldgeschichtlicher Sicht ist er etwas Besonderes. Das liegt an den Eichen, von denen eine im Gemeindewappen steht. Eichen prägen teilweise das Erscheinungsbild des Waldes. Das ist bemerkenswert, weil in solch dichten Wäldern von Natur aus Buchen dominieren. Sie ertragen Schatten nämlich besser als Eichen, die viel Licht brauchen und deshalb oft auf freiem Feld stehen. Da muss also jemand nachgeholfen haben. Es waren die Obrigkeiten von Bern und Freiburg. Sie erteilten 1713 dem Schultheissen von Murten den Befehl, zwei grosse Waldflächen zu roden und dort Eichen zu pflanzen. In den beiden Bereichen des Galmwalds, die auf der Landkarte als Unter- und Obereichelried bezeichnet sind, entstand so ein ursprünglich rund 100 Hektar grosser Eichenwald. Noch heute stehen dort einzelne Eichen, die aus der Saat von damals hervorgegangen sind. Über die Gründe und den Zweck des Befehls von 1713 findet man in der überschaubaren Literatur zum Thema nichts Abschliessendes. Unbestritten ist, dass Wald bis in die Frühneuzeit die zentrale Ressource war. Er bot Nahrung, Heiz- und Baumaterial – das ist uns heute noch bewusst, weil es ja immer noch ein bisschen so ist. Weniger bekannt ist, dass Wald lange Zeit auch Weide war. So durften zum Bespiel die Bauern rund um den Galmwald ihre Schweine zur Mast in den Wald treiben und dort weiden lassen. Das entsprechende Recht, das die gnädigen Herren gewährten, hiess «Acherum». Andernorts gab es eigens angelegte Weidewälder, so etwa auf dem Gut von Schloss Wildenstein im Baselbiet. Dort ist der «Wytwald» aus freistehenden, zum Teil 500-jährigen Eichen heute noch zu sehen.
Im Galmwald.
Im Galmwald. CC BY-SA, Toni Kaiser, Tourenplaner Schweiz

Wandel der Waldwirtschaft

Die Nutzung des Waldes war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit also vielfältig und intensiv. Entsprechend reich sind noch heute die Belege in den Staatsarchiven für die damaligen Nutzungsregelungen und für Rechtsfälle zu Nutzungskonflikten. Auch dem Befehl, einen Teil des Galmwaldes zu Eichenwald zu machen, gingen solche Konflikte voran. Umstritten ist, ob es damals wegen Übernutzung eine Holznot und damit einem Mangel gab – oder lediglich die Angst davor. Klar ist jedoch, dass die Besitzer des Waldes vor allem Interesse hatten an Bauholz von hoher Qualität, wie es Eichen eben bieten. Klar ist weiter auch, dass es in Frankreich ein paar Jahrzehnte zuvor ausgedehnte Eichenpflanzungen gegeben hatte. Mit diesen wollte Jean-Baptiste Colbert, Minister unter Sonnenkönig Ludwig XIV., die Holzversorgung für die Seestreitkräfte sicherstellen. Und schliesslich wird in der forstgeschichtlichen Literatur festgehalten, dass es damals im Zuge neuer ökonomischer Theorien in ganz Europa einen Wandel in der Waldwirtschaft gab: Sie wurde vermehrt auf eine rationelle, gezielte Holzproduktion ausgerichtet. Dazu passt, dass 1713 – also im Jahr des Eichenpflanzbefehls an den Schultheissen von Murten – das weltweit erste Buch erschien, das ausschliesslich der Forstwirtschaft gewidmet war: «Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht» von Hannß Carl von Carlowitz (1645–1714).
Waldwirtschaft im 18. Jahrhundert. Illustration aus dem Buch von Hannß Carl von Carlowitz.
Waldwirtschaft im 18. Jahrhundert. Illustration aus dem Buch von Hannß Carl von Carlowitz. Bayerische Staatsbibliothek

Geburts­stun­de der «Nachhal­tig­keit»

Carlowitz wird heute da und dort als Erfinder der Nachhaltigkeit bezeichnet. Allerdings trifft das die Sache nicht ganz. Denn Carlowitz schildert in seinem Werk eine ganze Reihe von Beispielen, in denen bei der Waldbewirtschaftung bereits im Sinne der Nachhaltigkeit gehandelt wird. Es gab das also schon. Richtig ist jedoch, dass Carlowitz dieses Prinzip entschieden propagierte und dabei in seinem Werk von 1713 als erster das Adjektiv «nachhaltend» und das Substantiv «sustentation» verwendet hat. 1713 kann also als Geburtsstunde der Begriffe «Nachhaltigkeit» und «sustainability» betrachtet werden, die heute im deutschen und im englischen Sprachraum die Diskussion über den Umgang mit Ressourcen prägen. Und aus ebendieser Geburtsstunde stammen die Eichen, die den Staatswald Galm und sein Wappen prägen.

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