1892 wurde die erste Volksinitiative der Schweiz eingereicht. Seither hat die Bevölkerung die Möglichkeit eine Abstimmung zu erwirken. Illustration: Marco Heer

Die erste Volksinitiative

Es gibt für alles ein erstes Mal. In dieser Serie tauchen wir in die schweizerische Premierenwelt ein. Heute: Die erste Volksinitiative der Schweiz.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Die erste Volksinitiative der damals noch jungen Schweiz wurde im Mai 1892 lanciert und im September des gleichen Jahres eingereicht. Fast 90'000 Bürger – Frauen durften zu dieser Zeit weder abstimmen, noch eine Initiative unterschrieben – forderten ein Verbot des Schlachtens von Tieren ohne vorherige Betäubung. Damit war das Schächten von Tieren gemeint. Rund 80 Prozent der Unterschriften stammten aus den Kantonen Zürich, Aargau und Bern. Das verwundert nur auf den ersten Blick, sind doch diese Kantone besonders bevölkerungsreich. Der Vorstoss war jedoch nicht nur ein Anliegen von Tierschützern, sondern hatte auch einen antisemitischen Unterton.
Mit fast 90'000 eingereichten und gut 83'000 gültigen Unterschriften kam die erste Volksinitiative der Schweiz zustande.
Mit fast 90'000 eingereichten und gut 83'000 gültigen Unterschriften kam die erste Volksinitiative der Schweiz zustande.
Mit fast 90'000 eingereichten und gut 83'000 gültigen Unterschriften kam die erste Volksinitiative der Schweiz zustande. Schweizerisches Bundesarchiv
Bis das Stimmvolk des jungen Bundesstaates allerdings die Initiative ergreifen konnte, dauerte es eine Weile. Grundsätzlich war diese «Einmischung» nämlich weder im Gesetz, noch in der Vorstellung der Mächtigen im Parlament vorgesehen. Zwar konnte das Volk eine Totalrevision der Verfassung erwirken. Einzelne Teile davon waren aber unveränderbar. Erst mit der Unterstützung der Katholisch-Konservativen hatte das «Projekt Volksinitiative» eine echte Chance. Die konservativen Kreise waren verunsichert und suchten einen Weg, um sich in dieser liberalen Zeit behaupten zu können. Und Volksinitiativen, das hatten diverse Begehren auf Kantonsebene bewiesen, waren ein probates Mittel. 1884 reichten die drei katholisch-konservativen Nationalräte Joseph Zemp, Johann Joseph Keel und Martino Pedrazzini deshalb eine Motion ein. Sie verlangte die Schaffung einer Initiative für Teilrevisionen der Bundesverfassung. Die Freisinnigen, stärkste Kraft im Land, sind zwar nur mässig von dieser Idee begeistert, können jedoch sich als Fortschrittsgruppierung jedoch nicht öffentlich dagegen aussprechen. Und so ist die logische Folge die Einführung von Volksinitiativen.
Porträt von Joseph Zemp.
Porträt von Joseph Zemp. Schweizerisches Nationalmuseum
Und dann kam eben die bereits erwähnte erste Volksinitiative. 1893 wird das Begehren mit über 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Es sollte für lange Zeit die einzige bleiben, die angenommen wird. Erst das Absinthverbot wurde 1908 wieder gutgeheissen. Das Schächten von Tieren ist in der Schweiz bis heute verboten und sorgt auch im 21. Jahrhundert regelmässig für hitzige Diskussionen mit mittlerweile auch antiislamischen Untertönen. Als der Bundesrat die Bestimmung 2001 lockern wollte, wurde mit einem weiteren volkspolitischen Mittel gedroht, dem Referendum. Schliesslich verzichtete die Regierung auf eine Änderung.
Unterschriftensammlung für Volksinitiative «Straflosigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung», 1971.
Unterschriftensammlung für Volksinitiative «Straflosigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung», 1971. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Von 1893 bis heute wurden über 480 Volksinitiativen eingereicht. Viele von ihnen wurden abgelehnt oder zurückgezogen. Eine Wirkung hatten sie aber meist trotzdem, denn des Volkes Stimme konnte und kann nicht ignoriert werden.

Das erste Mal…

Es gibt immer ein erstes Mal. In dieser Serie werden historische Schweizer Premieren beleuchtet. Die Themen sind vielfältig: vom ersten Zebrastreifen bis zur allerersten Volksinitiative. Die Beiträge sind in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Bundesarchiv entstanden.

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