Kinetischer Fingerring in Kegelform mit Kugel. Dorotheum / YouTube

Schmuck in Bewegung

Schmuck muss nicht statisch sein. Dieser Ansicht war auch der Schmuckkünstler Friedrich Becker und schuf faszinierende Schmuckstücke mit beweglichen Teilen. Einige davon fanden den Weg in die Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums.

Beatriz Chadour-Sampson

Beatriz Chadour-Sampson

International anerkannte Schmuckhistorikerin aus England. Ihre Publikationen reichen von der Antike bis in die Gegenwart, wie beispielsweise 2000 Fingerringe der Alice und Louis Koch Sammlung, Schweiz (1994), für die sie als Beraterin des Schweizerischen Nationalmuseums tätig ist.

Friedrich Becker (1922–1997) war Goldschmid, Juwelier, Bildhauer und Ingenieur: kurz, ein künstlerisches Genie und bekannt als Erfinder des kinetischen (sich bewegenden) Schmucks. Er begann seine Laufbahn mit einer Lehre als Maschinenschlosser und einem anschliessenden Studium in der Luftfahrtechnik. Nach einer schweren Verwundung im Zweiten Weltkrieg kehrte er 1945 nach Hause zurück und arbeitete kurz in einem Dentallabor, bevor er seinem Wunsch folgte, mit Gold zu arbeiten. Becker arbeitete sich vom Lehrling bis zum Absolventen der Werkkunstschule Düsseldorf (der heutigen Fachhochschule für Gestaltung) hoch, wo er später von 1964 bis 1982 als Professor lehrte. Beckers «Zweiwegering» aus dem Jahr 1956 aus Gold mit einem prächtigen Mondstein gehört in seine Cabochon-Zeit, in der er sich von den herkömmlichen Steinschliffen und Fassungen ab- und polierten, aber unfacettierten Steinen zuwandte. Da er sich unschlüssig war, wie er den Stein setzen sollte, führte er diesen Ring so aus, dass die Trägerin ihn in beide Richtungen tragen konnte. Es ist denn auch das erste in einer Reihe von variablen Schmuckstücken, die er in den 1960er- und 1970er-Jahren fertigte. Das Scharniersystem, das er zu dieser Zeit entwickelte, ermöglichte es, ein Schmuckstück in zahllosen Formvariationen zu tragen.
«Zweiwegering» von Friedrich Becker, 1956.
«Zweiwegering» von Friedrich Becker, 1956. Schweizerisches Nationalmuseum / Sammlung Alice und Louis Koch
In den 1950er- und 1960er-Jahren entwarf Becker Schmuck, für den er die unkonventionell und einzigartig geformten Schmucksteine in Anlehnung an mit anderen Materialien gemachten Modellen schliff und einfasste. Seine Fassungen verblüfften. Um die Aufmerksamkeit auf den Schmuckstein zu lenken, sind die Fassungen fast unsichtbar und der Stein scheint zu schweben, wie beim Ring mit einem knochenförmigen Aquamarin aus dem Jahr 1966, der einzig von zwei kleinen Krallen gehalten wird.
Fingerring aus Gold mit einem Aquamarin als Ringkopf, 1966.
Fingerring aus Gold mit einem Aquamarin als Ringkopf, 1966. Schweizerisches Nationalmuseum / Sammlung Alice und Louis Koch
1959 erregte Becker Aufsehen und erntete Kopfschütteln, als er für seinen Kugelspannring von 1957 den Bayerischen Staatspreis gewann. Der Ring und die Fassung sind aus einer einzigen gebogenen Schlaufe geformt, die sich um den Finger windet und in zwei Krallen endet, die den kugelförmigen Schmuckstein halten. Mit einem Druck auf den unteren Teil des Rings öffnen sich die Krallen und die Trägerin kann den Stein mit einem anderen ersetzen, der zum Kleid oder zur Gelegenheit passt. Um diese Federspannung zu erhalten, muss das Gold kalt geschmiedet und darf nicht weichgeglüht werden. Eine Technik, die Becker damals geheim hielt. Auf die Frage, warum die Kugel in seinem Werk ein wiederkehrendes Objekt ist, erklärte er: «Die Kugel ist die absolut perfekte Form.»
Kugelspannring mit Rauchquartz, 1957.
Kugelspannring mit Rauchquartz, 1957. RSV Collection
Beckers Experimente mit variablem Schmuck führten 1964 zu seinem ersten kinetischen Ansteckschmuck, der an seiner Einzelausstellung in der Goldsmiths’ Hall in London im Jahr 1966 zum ersten Mal gezeigt wurde. 1966 machte er seinen ersten kinetischen Ring und 1971 entwarf er eine Reihe von hochpolierten kinetischen Weissgoldringen. Beckers kinetische Grundsätze beruhten auf der Bewegung des Körpers oder der Hand der Trägerin, welche die Elemente in Bewegung setzen, sowie auf der Verwendung von winzigen verborgenen Kugellagern. Hier scheint sich ein Ball um den Kegel zu drehen: In Wirklichkeit sind die beiden Teile fest miteinander verbunden und die im Konus verborgenen Mikro-Kugellager erzeugen den Täuschungseffekt. Diese optischen Täuschungen wurden mit Kugeln, Halbkugeln und verschiedenen geometrischen Formen geschaffen und als Schmuck oder monumentale Skulpturen ausgestaltet. Beckers Fantasie kannte keine Grenzen und die Mechanismen blieben für die Betrachtenden ein Mysterium.
Fingerring mit Ringkopf in Kegelform, mit verborgenem Mikro-Kugellager beweglich befestigt, 1972 / 1999.
Fingerring mit Ringkopf in Kegelform, mit verborgenem Mikro-Kugellager beweglich befestigt, 1972 / 1999. Schweizerisches Nationalmuseum / Sammlung Alice und Louis Koch
In einem Interview erwähnte Becker 1994, dass er – ohne die Varianten zu zählen – über 500 Ringe entworfen habe. Seinen ersten Ring fertigte er 1938 aus 116 Bestandteilen an, bevor er den Juwelierberuf erlernte. Er war der Überzeugung, dass ein Goldschmid nie auf den Zufall vertrauen dürfe, denn wer nahe am Schmelzpunkt mit Metallen arbeite, habe keinen Platz für Fehler. Mit seinem Ingenieurhintergrund war Präzision immer sein oberstes Ziel. Vor 1940, als er bei Rheinmetall Borsing als Werkzeugmacher und Maschinenschlosser arbeitete, experimentierte er mit einer Reihe von Spantechniken wie Bohren, Feilen und Meisseln und fertigte einen Siegelring aus einem Edelstahlblock. Diese Erfahrung mit Nichtedelmetallen beeinflusste seinen späteren Schmuck aus Edelstahl, das er 1964 zum ersten Mal verwendete und in den 1980er-Jahren einen dominierenden Einfluss auf sein Werk hatte. Für Becker bildete matt glänzender Edelstahl einen zeitgenössischen Kontrast zum blankpolierten Weissgold.
Friedrich Becker in seinem kinetischen Raum.
Friedrich Becker in seinem kinetischen Raum. RSV Collection
Becker erforschte auch die Kombination von Edelstahl mit synthetischen Steinen. In den frühen 1960er-Jahren lernte er in der Schweiz einen Physik- und Chemieprofessor kennen, der für die industrielle Nutzung synthetische Steine produzierte und über Beckers Idee, diese für Schmuck zu verwenden, staunte. 1966 kreierte Becker eine Edelstahlbrosche mit einer runden Scheibe und einer vertikalen Falte, in die er horizontal einen 7,4 cm langen Rubinstab des Professors setzte. Später wurden die Steine nach Beckers Muster auch mit Facettenschliff zu Würfeln, Zylindern, Stäben, Prismen, Kegeln geschliffen, die sich durch ihre Grösse und die natürlich kristalline Struktur von allen in der Natur gefundenen Steinen unterschieden. Denn für Becker sollte es auch für Laien ersichtlich sein, dass es ein synthetischer Stein ist. Ein Edelstahlring mit einem synthetischen Saphir aus dem Jahr 1993 weist zwei kinetische Elemente auf: sowohl die Scheibe als auch der unsichtbar gefasste Stein kreisen. Von aussen unsichtbar befindet sich unter der Scheibe ein kleines Gewicht, das ein winziges Kugellager auslöst. In Unkenntnis des Mechanismus glauben die Betrachtenden, dass der Stab von der Scheibe fliegen wird. Die rechteckig geformte Ringschiene ist nicht nur bequem zu tragen, sondern mit ihren schwereren unteren Ecken auch ein perfektes Gegengewicht zu den kinetischen Elementen.
Kinetischer Fingerring mit quadratischer Schiene aus Edelstahl und synthetischem Saphir, 1993.
Kinetischer Fingerring mit quadratischer Schiene aus Edelstahl und synthetischem Saphir, 1993. Schweizerisches Nationalmuseum / Sammlung Alice und Louis Koch
Beckers kinetisches Werk wurde zu seinem Markenzeichen. Er verfügte über einen Schauraum für kinetische Stücke in Düsseldorf, wo die Besuchenden Schmuck, Skulpturen und Gegenstände betrachten konnten, die unter einer Platte mit seinen Worten ständig in Bewegung waren: «Das einzig Stabile ist die Bewegung.» Ein erfindungsreicher, bunter und futuristischer Helm aus dem Jahr 1987 charakterisierte seine Philosophie: «Der Mensch ist zum Spielen geboren.»
Friedrich Beckers Schmuck in Bewegung. Dorotheum / YouTube

Die Sammlung

Die Ausstellung zeigt über 7000 Exponate aus der eigenen Sammlung und beleuchtet das handwerkliche und kunsthandwerkliche Schaffen der Schweiz über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren. Die Ausstellungsräume sind ebenfalls wichtige Zeitzeugen und verbinden sich mit den Objekten zu einer historisch dichten Atmosphäre, die ein tiefes Eintauchen in die Vergangenheit erlaubt.

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