Kundgebung zur Pressefreiheit auf dem Münsterhof Zürich am 8. August 1980, fotografiert von Gertrud Vogler.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird zunehmend die Macht der Inserenten über Journalistinnen und Journalisten kritisiert. Bei Fernsehen und Radio hat der Staat ausserdem bis in die 1980er-Jahre ein Monopol, das auch durch den Druck auf der Strasse aufgelöst wird. Kundgebung zur Pressefreiheit auf dem Münsterhof Zürich am 8. August 1980, fotografiert von Gertrud Vogler. Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich

Recht auf freie Presse, Meinungs­äus­se­rung und Kunst

Die Kommunikationsgrundrechte gelten als «unverzichtbarer Sauerstoff für die Demokratie». Seit 1848 ist die Pressefreiheit in der Bundesverfassung enthalten. Das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Kunstfreiheit werden erst im 20. Jahrhundert als Grundrechte anerkannt.

Vanessa Rüegger

Vanessa Rüegger

PD Dr. iur. Vanessa Rüegger ist Privatdozentin an der Universität Basel, Advokatin und Mediatorin.

Die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäusserung waren zentrale Forderungen der Aufklärung. Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 bezeichnet die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen als «eines der kostbarsten Menschenrechte». Die den Kantonen mehrheitlich aufgezwungene Helvetische Verfassung von 1798 orientierte sich an diesem Ideal und gewährleistete die Pressefreiheit erstmals auf dem Gebiet der Schweiz. Die strenge obrigkeitliche Zensur dauerte jedoch in unterschiedlichen Formen an. Erst ab den 1830er-Jahren fand die Pressefreiheit auf kantonaler Ebene sukzessive Eingang in die liberalen Kantonsverfassungen.
In der Bundesverfassung von 1848 ist die Pressefreiheit als «Bundesgrundrecht erster Stunde» enthalten. Ziel war es, die Presse als Forum für den demokratischen Austausch zu schützen und kantonale Zensurmassnahmen einzuschränken. Strafbestimmungen gegen den Missbrauch der Freiheit blieben bestehen. Eingeschränkt wurde die Pressefreiheit während des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Darüber hinaus wirkten sich staatliche Überwachung von Intellektuellen und Kunstschaffenden während des Kalten Krieges und politischer Bewegungen, etwa den Jugendunruhen der 1980er-Jahre, einschränkend auf die Meinungsfreiheit aus.
Die Pressefreiheit ist im Gegensatz zu anderen Grundrechten schon in der Bundesverfassung von 1848 niedergeschrieben und schafft die Zensur ab. Den freiheitlich eingestellten «Gründervätern» ist es wichtig, dass die Bürger sich eine Meinung zum politischen Geschehen bilden können. Zensur-­Lücke, Schweizer Bote, Nr. 44, Aarau, 3. 11. 1825, S. 1
Die Pressefreiheit ist im Gegensatz zu anderen Grundrechten schon in der Bundesverfassung von 1848 niedergeschrieben und schafft die Zensur ab. Den freiheitlich eingestellten «Gründervätern» ist es wichtig, dass die Bürger sich eine Meinung zum politischen Geschehen bilden können. Zensur-­Lücke im Schweizer Boten 1825. Bayerische Staatsbibliothek München
Was genau schützte die Pressefreiheit von Beginn an? Schutz kam nur mechanischen Druckerzeugnissen zu, die Äusserungen «im Dienste der Allgemeinheit» oder Lehrmeinungen veröffentlichten. Meinungsäusserungen, die nicht in diese Kategorie fielen, waren nicht geschützt. Generell anerkannte das Bundesgericht die Meinungsäusserungsfreiheit erst 1961 als ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung. In einem kurz darauffolgenden Urteil unterstellte es auch den Film dem Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit. Die Pressefreiheit diente damit als «Durchbruchspunkt» eines umfassenden Rechts auf freie Meinungsäusserung. Sie ist ein anschauliches Beispiel für die Lebendigkeit der Schweizer Bundesverfassung.
Der Grundrechtekatalog entwickelt sich auch in der Schweiz im Dialog zwischen Zivilgesellschaft, Gerichten und Rechtslehre ständig weiter und vermag damit in der Regel auch technischen und gesellschaftlichen Veränderungen angemessen zu begegnen. Besonders gut lässt sich die Entwicklung der Grundrechte am Beispiel der Kunstfreiheit aufzeigen: Weder die Bundesverfassung von 1848 noch jene von 1874 regelte den Schutz der Kunstfreiheit.
Das Gemälde Die Nacht von Ferdinand Hodler wird 1891 an der Eröffnung einer städtischen Ausstellung in Genf präsentiert. Im Anschluss lässt der Genfer Stadtrat das Bild aus «sittlichen Gründen» wieder aus der Ausstellung entfernen.
Das Gemälde Die Nacht von Ferdinand Hodler wird 1891 an der Eröffnung einer städtischen Ausstellung in Genf präsentiert. Im Anschluss lässt der Genfer Stadtrat das Bild aus «sittlichen Gründen» wieder aus der Ausstellung entfernen. Wikimedia / Kunstmuseum Bern
Das Gemälde Die Nacht von Ferdinand Hodler wird 1891 an der Eröffnung einer städtischen Ausstellung in Genf präsentiert. Im Anschluss lässt der Genfer Stadtrat das Bild aus «sittlichen Gründen» wieder aus der Ausstellung entfernen. Für einen Franken kann man sich das Bild anderswo ansehen. Ferdinand Hodler, Le Tableau La Nuit, Genf, 1891, Papier auf Karton | Ca 1121
Gemäss dem Plakat ist das aus der Ausstellung entfernte Gemälde Hodlers für einen Franken anderswo zu sehen. Bibliothèque de Genève
Gerichte entwickelten jedoch seit dem 19. Jahrhundert in ihrer Rechtsprechung einen eigenen Umgang mit Kunst. Sie zeigen bereits früh eine Bereitschaft, die Ausnahmestellung der Kunst in der Gesellschaft und ihren Beitrag zur kulturellen Vielfalt und zum demokratischen Diskurs zu berücksichtigen. Im 20. Jahrhundert verdichtete das Bundesgericht diese Rechtsprechung in Auseinandersetzung mit der rigiden Filmzensur der Kantone, was sinngemäss zur Anerkennung der Kunstfreiheit als eigenständiges Grundrecht führte.
Das Kino ist in den Kantonen teilweise bis in die 1970er-Jahre strengen Zensurmassnahmen unterworfen. Auf die Anzeige einer Person hin, die nur eine Beschreibung des Filmes gelesen hatte, wird das Vorführen des Films Pink Flamingos 1974 im Kanton Zürich verboten. Plakat zum Film Pink Flamingos von John Waters, 1972.
Das Kino ist in den Kantonen teilweise bis in die 1970er-Jahre strengen Zensurmassnahmen unterworfen. Auf die Anzeige einer Person hin, die nur eine Beschreibung des Filmes gelesen hatte, wird das Vorführen des Films Pink Flamingos 1974 im Kanton Zürich verboten. Plakat zum Film Pink Flamingos von John Waters, 1972. Keystone
Massgebend für die inhaltliche Entwicklung der Kunstfreiheit als Grundrecht in der Schweiz war die im Anschluss an die verheerende Kunstpolitik des Nationalsozialismus erfolgte Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Bedeutsam war auch der Schutz des Menschenrechts in den internationalen Menschenrechtsverträgen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Das EGMR-Urteil in Sachen «Müller gegen die Schweiz» von 1988 ist bis heute das entscheidende Leiturteil zur Kunstfreiheit. In der Sache ging es um das 1981 in Freiburg ausgestellte Triptychon Drei Nächte – drei Bilder des Künstlers Josef Müller mit der offenen Darstellung sexueller Handlungen. Das Gericht in Strassburg bestätigte mit seinem Urteil, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auch künstlerische Äusserungen schützt.
Neben explizitem Sex wird an diesem Bild eine moralisch verwerfliche Kreuzabnahme Jesu als Blasphemie beklagt. Die Freiburger Regierung beschlagnahmt 1981 alle drei Bilder dieser Serie von Josef Felix Müller. Für deren Rückgabe zieht der Künstler bis vor den Europäischen Gerichtshof. Kurz vor der Urteilsverkündung werden die Bilder freigegeben. Die Schweiz entgeht so knapp einer Verurteilung.
Neben explizitem Sex wird an diesem Bild eine moralisch verwerfliche Kreuzabnahme Jesu als Blasphemie beklagt. Die Freiburger Regierung beschlagnahmt 1981 alle drei Bilder dieser Serie von Josef Felix Müller. Für deren Rückgabe zieht der Künstler bis vor den Europäischen Gerichtshof. Kurz vor der Urteilsverkündung werden die Bilder freigegeben. Die Schweiz entgeht so knapp einer Verurteilung. Josef Felix Müller
Die heute geltende Bundesverfassung gewährleistet verschiedene Kommunikationsgrundrechte. Die Meinungsfreiheit (Artikel 16) bringt den allgemeinen Gedanken der freien Kommunikation zum Ausdruck. Die spezifischen Kommunikationsgrundrechte konkretisieren diesen Schutz für bestimmte Lebensbereiche, wie etwa die Medienfreiheit (Artikel 17), die Wissenschaftsfreiheit (Artikel 20), oder die Kunstfreiheit (Artikel 21).
Die Meinungsfreiheit gilt als Fundament der demokratischen Verfassungsordnung. Sie schützt die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und am öffentlichen Austausch über politische, soziale und kulturelle Anliegen teilzunehmen. Das Grundrecht gibt damit dem menschlichen Bedürfnis nach Austausch mit anderen Menschen Raum, was immer auch der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit dient. Der freie und öffentlich geführte Austausch von Ideen und Meinungen ermöglicht eine vielfältige und lebendige Gesellschaft. Grundlegend ist dabei, dass in einer Demokratie auch Meinungen geschützt sind, die als falsch oder verstörend wahrgenommen werden. Dies gründet auf der Annahme, dass sich absolute Wahrheiten dem menschlichen Erkenntnisvermögen entziehen und sich der Erkenntnisstand einer Gesellschaft ständig weiterentwickelt. Ein offener Diskurs über verschiedene Positionen sowie Toleranz gegenüber Andersdenkenden und öffentlicher Kritik gilt als Voraussetzung dafür, dass sich Menschen frei entfalten und politische Gemeinschaften weiterentwickeln können. Die Kommunikationsgrundrechte gelten deshalb auch als «unverzichtbarer Sauerstoff für die Demokratie».

Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehin­dert zu äussern und zu verbreiten.

Bundesverfassung von 1999, Artikel 16, Absatz 2
Die Meinungsfreiheit schützt den gesamten Kommunikationsprozess, von der Herstellung über die Verbreitung bis hin zum Empfang von Äusserungen. Geschützt sind sämtliche Ausdrucksformen wie etwa Gespräche, Publikationen, Kunst, Demonstrationen oder symbolische Handlungen. Der Schutz der freien Meinungsäusserung schliesst auch ein Verbot von Zensur ein. Das Zensurverbot basiert auf dem Misstrauen gegenüber jeder staatlich oder anderweitig autoritär verordneten Meinung und stützt sich auf die Annahme, dass weniger überzeugende Positionen im öffentlichen Diskurs relativiert werden. Das Bundesgericht erkannte bereits 1893 in einem Urteil den Grundsatz an, dass im Vertrauen auf die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger nicht nur die als wahr anerkannten, sondern auch die als falsch geltenden Lehrmeinungen grundrechtlich geschützt sind. Ebenfalls früh gewährte das Bundesgericht der Kritik an der öffentlichen Verwaltung und bei politischen Kundgebungen einen besonders starken Schutz. Grundsätzlich gilt, dass niemand vom Staat daran gehindert werden darf, seine Meinung zu äussern. Dennoch gilt das Recht nicht absolut. Grenzen bestehen mitunter dort, wo andere Rechtsgüter wie etwa Leib, Leben oder die Persönlichkeitsrechte Dritter massiv verletzt werden. Zum Schutz der Menschenwürde ist beispielsweise die Verbreitung rassistischer Äusserungen verboten.
Der Staat ist nicht nur verpflichtet, die freie Kommunikation zu achten und zu schützen, er muss auch mittels konkreter Massnahmen wie Förderung, Bildung oder Rechtsetzung die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Menschen ihre Freiheit auch tatsächlich ausüben können. Diese Gewährleistungspflicht ist praktisch von grosser Bedeutung, wie etwa die Förderung von Kunst und Medien zeigt. Die staatliche Förderung der Medien gewährleistet eine vielfältige Medienlandschaft als Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie. Finanzielle Unterstützung der Kunst ermöglicht ein freies künstlerisches Arbeiten, bei dem unabhängig vom Geschmack des Kunstmarkts neue Ideen ausprobiert und in die öffentliche Diskussion eingebracht werden können. Dabei darf der Staat keinen Einfluss auf den Inhalt der geförderten Kunst nehmen. Die während des Zweiten Weltkriegs institutionalisierte Kulturpolitik der Geistigen Landesverteidigung dürfte sich in dieser Hinsicht weitreichender auf die Kunstfreiheit ausgewirkt haben, als bis anhin angenommen. Dies zeigt sich beispielsweise in der staatlichen Überwachung von Kunstschaffenden, wie etwa die von der Bundespolizei erstellte Fiche Max Frischs zeigt. Erst die Demokratisierung der Kulturpolitik ab den 1970er-Jahren verhalf der Kunstfreiheit auch in der Kunstförderung zum Durchbruch. Übersteuernde Tendenzen bleiben in der Kunstpolitik aber teilweise bis in die Gegenwart präsent. Dies zeigte sich prominent in der sogenannten Hirschhorn-Affäre, bei der die Bundesversammlung der Pro Helvetia wegen einer Ausstellung des Künstlers Thomas Hirschhorn das Budget um eine Million Schweizerfranken kürzte.
Tagesschau Hauptausgabe vom 16.12.2004 zur Budgetkürzung von Pro Helvetia aufgrund der Hirschhorn-Affäre. SRF
Besonders anspruchsvoll ist der Schutz der Meinungsfreiheit gegenwärtig im Netz. Diesen zu gewährleisten, erweist sich als herausfordernd, da die Meinungen in der Regel auf mächtigen privaten Plattformen wie Facebook oder Twitter geäussert werden, deren Inhaber nicht an die Grundrechte gebunden sind. Es liegt in der Verantwortung der Staaten, passende Schutzmassnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig sind die Inhaber sozialer Medien angehalten, auch provozierende oder schockierende Äusserungen auf ihren Plattformen zu tolerieren und nur im Ausnahmefall, etwa bei Aufforderungen zu Hass und Gewalt, Massnahmen zu ergreifen.

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