Ernst Schrämli in Uniform und bei der Verhaftung im Januar 1942 in Zivil.
Ernst Schrämli in Uniform und bei der Verhaftung im Januar 1942 in Zivil. Schweizerisches Bundesarchiv

Die Erschies­sung des Ernst S.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der St. Galler Ernst Schrämli wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 10. November 1942 in einem Wäldchen in der Ostschweiz hingerichtet. Schrämli hatte einem deutschen Agenten Kriegsmaterial und Informationen zugespielt.

Ernst Ziegler

Ernst Ziegler

Dr. Ernst Ziegler war von 1971 bis 2003 Stadtarchivar von St. Gallen und lehrte an den Universitäten Zürich und St. Gallen Rechtsgeschichte.

Ernst Schrämli wurde am 8. September 1919 in St. Gallen geboren, war von Beruf Hilfsarbeiter, Ausläufer, Vertreter und wohnte 1942 an der Zeughausgasse 20 in St. Gallen. Im Militär war er Fahrer in einer Feldkanonen-Batterie. 1939 war er zweimal in der Feld-Artillerie-Rekrutenschule in Frauenfeld (TG) und Bière (VD) und leistete danach im November 1939 bis September 1941 mit Unterbrüchen über ein Jahr lang Aktivdienst. Dann wurde er aus dem Militärdienst entlassen.
Porträt von Ernst Schrämli.
Porträt von Ernst Schrämli. Schweizerisches Bundesarchiv
In Kontakt mit dem Nationalsozialismus kam der junge Mann im Stadttheater St. Gallen. Der musikalische Ernst Schrämli sang im Extrachor des Stadttheaters als erster Tenor. Angehörige des Theaterensembles waren eingeschriebene Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, der NSDAP. Ob Schrämli im Stadttheater von «nationalsozialistisch gesinnten Ausländern» infiziert und angeworben wurde, wissen wir nicht. Sicher ist, dass er Kontakt hatte mit dem «deutschen Reichsangehörigen» August Schmid aus Immenstadt, aufgewachsen in St. Gallen und «assimiliert», Abwart des deutschen Konsulats in St. Gallen. August Schmid überredete Schrämli, dem Deutschen Konsulat in St. Gallen «Angaben über alles militärisch Wissenswerte zu verschaffen», was Schrämli tat.
Das Stadttheater St. Gallen um 1930, damals noch an seinem ehemaligen Standort am heutigen Marktplatz.
Das Stadttheater St. Gallen um 1930, damals noch an seinem ehemaligen Standort am heutigen Marktplatz. Sammlung Reto Voneschen
Aus einem unbewachten Munitionsdepot der Armee stahl er vier Granaten und erstellte Skizzen von Artillerie- und Bunkerstellungen. Man vermutet, dass Schrämli nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus einer persönlichen Abhängigkeit von August Schmid gehandelt habe. Möglicherweise habe er im Gegenzug für seine Spionage ein Visum für Deutschland erwartet, wo er eine Karriere als Sänger anstreben wollte. August Schmid war es dann auch, der als Mitangeklagter Schrämlis jenen mit seinen Aussagen während des Prozesses vor allem belastete. Anfang Januar 1942 wurde Ernst Schrämli, gestützt auf Aussagen seines Zimmernachbars, verhaftet und schliesslich angeklagt wegen «Verletzung militärischer Geheimnisse». In der umfangreichen Anklageschrift sind sämtliche Verfehlungen minutiös aufgeführt. Ernst Schrämli war kein Tugendbold, aber ein «miserabler Kerl», wie es in einem Brief seiner Heimatgemeinde Hettlingen (ZH) heisst, war er ebenso wenig. Im August und September 1936 und von Januar bis Juni 1937 war er im freiwilligen Arbeitsdienst auf der Alpe Cadonico (Prato) und in Carona im Tessin. Dort lernte man Schrämli «als fleissigen und willigen Burschen kennen» und war «mit seiner Führung» zufrieden. Der «hübsche Bursch», etwas labil und aus ärmlichen Verhältnissen stammend, war ein «lustiger Schnuderi», der nicht gefördert wurde und oft auch nicht in bester Gesellschaft verkehrte.
Ernst Schrämli auf einem Pferd.
Ernst Schrämli (links) auf einem Pferd. Schweizerisches Bundesarchiv
Am 18. Oktober 1942 reichte Schrämlis amtlicher Verteidiger bei der Bundesversammlung in Bern ein Gesuch um Begnadigung ein. Betreffend Spionage schrieb er über den Beschuldigten: «Dass er den Deutschen Organen sofort als geeignetes Werkzeug für ihre Spionagedienste erkennbar war, ist ebenso verständlich. Ein Blick rund in unserm Land herum zeigt uns zur Genüge, unter welchen Elementen die Deutschen ihre Söldlinge (lies Quislinge) suchen und auch finden: unter krankhaft geltungsbedürftigen Intellektuellen, unter Akademikern, welche Geld notwendig haben, und unter Elementen von der Art des Verurteilten.» Aufgrund seiner Ausführungen plädierte der Verteidiger für eine «Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliches Zuchthaus», weil «die Todesstrafe unter den im Falle S. obwaltenden Umständen eine zu harte Sühne» darstelle. Nachdem das Begnadigungsgesuch im Oktober 1942 von der Bundesversammlung mit 176 zu 36 Stimmen abgelehnt worden war, wurde Ernst Schrämli zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung fand am 10. November 1942 gegen Mitternacht in einem Wäldchen mit dem Namen Flurhof, «in der Nähe von Punkt 6633» zwischen Oberuzwil und Jonschwil, statt.
Schreiben des Divisionsgerichts an den Bundesrat vom 20. Oktober 1942 betreffend die Rechtsgültigkeit des Todesurteils gegen Ernst Schrämli.
Schreiben des Divisionsgerichts an den Bundesrat vom 20. Oktober 1942 betreffend die Rechtsgültigkeit des Todesurteils gegen Ernst Schrämli. Schweizerisches Bundesarchiv
Um 23.25 Uhr war alles bei der militärisch abgesperrten Hinrichtungsstätte versammelt. Wörtlich hält das Protokoll des 11. Novembers 1942 fest: «Auf dem Richtplatz verliest der Grossrichter das Urteilsdispositiv und erteilt die Ermächtigung, den Verurteilten durch Erschiessen vom Leben zum Tode zu bringen. Daraufhin gibt der Vollzugsbeauftragte dem das Verfahren leitenden Offizier, Hauptmann Egloff, den Befehl, den Verurteilten durch die hiezu kommandierte Abteilung von 20 Mann des Stabes Feld-Artillerie-Regiment 7 erschiessen zu lassen. Der Feldprediger, Herr Hauptmann Geiger, spricht dem Verurteilten mit wenigen Sätzen zu. Die Exekutionsmannschaft, in zwei Gliedern aufgestellt mit sechs Schritt Abstand zum Verurteilten, wird zum Schuss kommandiert. Die anwesenden Sanitäts-Offiziere, Hauptmann Notter und Oberleutnant Jovanovits, stellen die Wirkung der Schussabgabe fest. Hauptmann Egloff wird zur Abgabe eines zweiten tödlichen Schusses kommandiert. Es wird der Tod festgestellt. Ende der Exekution: 23.35 Uhr. Das Verhalten des Verurteilten auf der Fahrt zur Hinrichtungsstätte und bei der Erschiessung war ein völlig ruhiges und gefasstes.» Über die Beerdigung des Hingerichteten gibt es verschiedene Beschreibungen. Nach amtlichen Schriftstücken musste der Feldprediger «die Angehörigen unmittelbar nach der Exekution zur schicklichen Tageszeit benachrichtigen». – Der Tote wurde in einem Sarg ins Kantonsspital St. Gallen überführt, wo eine «Leichensektion» vollzogen wurde. Die Bestattung erfolgte später «nach Anordnung des Feldpredigers». Die Nichte von Ernst erzählte mir, weil für einen «Landesverräter» weder ein Kreuz noch ein Grabstein zulässig war, habe man Ernst schliesslich auf dem Friedhof Feldli in einem namenlosen Grab beerdigt. Die Meinungen über die Todesstrafe für Ernst Schrämli waren schon kurz nach der Vollstreckung des Todesurteils geteilt: Aus Angst vor den Deutschen, aus Hass auf die Nazis und ihre Mitläufer in der Schweiz, aus Furcht vor Hitler sagten die einen: «Ganz recht, der Ernst ist ein Landesverräter, der hat’s verdient, so einer gehört an die Wand.» Andere waren überzeugt, man habe an Schrämli «ein Exempel» statuieren wollen. August Schmid, der deutsche Agent, kam nach langjähriger Haft in der Schweiz mit dem Leben davon. Als Ausländer konnte Schmid nicht zum Tod verurteilt werden.
Trailer zum Film LANDESVERRÄTER (CH, 2024) © Ascot Elite Entertainment

LANDES­VER­RÄ­TER

Ab dem 24. Oktober 2024 ist das historische Drama LANDESVERRÄTER in den Schweizer Kinos zu sehen. Der Film basiert auf den Ereignissen um Ernst Schrämli, der erste von 17 Landesverrätern in der Schweizer Geschichte, dessen Hinrichtung vollstreckt wurde.

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