Sichtlich entzückt präsentiert der General das Geschenk, das der Frauenchor Jegenstorf seinem Ehrenmitglied auf Verte Rive überreichte. Foto bearbeitet durch Klaas Kaat.
Sichtlich entzückt präsentiert der General das Geschenk, das der Frauenchor Jegenstorf seinem Ehrenmitglied auf Verte Rive überreichte. Foto bearbeitet durch Klaas Kaat. Jegischtorfer Singlüt, Foto: Raymond-A. Bech

General Guisan und das «Frauen­korps»

In den letzten Monaten während des Zweiten Weltkriegs diente Schloss Jegenstorf General Henri Guisan als Kommandoposten. Einen willkommenen Ausgleich neben seinen militärischen Pflichten boten ihm die Auftritte des Jegenstorfer Frauenchors.

Murielle Schlup

Murielle Schlup

Freischaffende Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin

«Eine grosse Aufregung herrschte in Jegenstorf. Es sei eine grosse Überraschung im Gange.» Mit diesen Worten beginnt ein auf September 1944 datierter Eintrag im Foto- und Erinnerungsalbum von Rosa Dürig aus Jegenstorf. Sie beschreibt einen «lieben, guten und berühmten Mann», den das Dorf «beherbergen» durfte – «und die ganze Gemeinde darf stolz darauf sein». Für ihn musste denn auch die von den Landfrauenvereinen arrangierte Ausstellung «Aus der Arbeit der Landfrau» im Museum von Schloss Jegenstorf «sofort aus militärischen Gründen geräumt werden». Der besagte Mann war niemand Geringeres als General Henri Guisan (1874–1960), der Schloss Jegenstorf zu seinem Kommandoposten erkoren hat. Wie kam es dazu?

Veränder­te Kriegs­la­ge nach Landung der Alliierten

Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 war die Schweiz umzingelt von den Achsenmächten. Am 25. Juli verkündete General Henri Guisan auf dem Rütli vor sämtlichen höheren Offizieren die Réduit-Strategie, die sich auf die militärische Verteidigung des Schweizer Alpenraums konzentrierte. Um in diesem zu sein, verliess der General seinen Kommandoposten auf Schloss Gümligen und schlug mit seinem persönlichen Stab sein Lager in Interlaken auf – in der Villa Cranz. Infolge der Invasion der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und im August in Südfrankreich veränderte sich die Kriegslage. Mit der Eröffnung der Westfront und dem sich rasch entwickelnden Bewegungskrieg in Frankreich schwand die Möglichkeit eines Rundumangriffs durch die Achsenmächte. Die Réduit-Strategie wurde obsolet. Doch nach wie vor befand sich die Schweiz isoliert inmitten des europäischen Kriegsgeschehens. Um zu verhindern, dass die Kriegführenden ihren jeweiligen Gegner über Schweizer Gebiet zu umfassen versuchten, befahl Guisan starke Kräfte in den Jurabogen.
Operation Overlord: Am 6. Juni 1944, bekannt als «D-Day», landen die alliierten Truppen an der Küste der Normandie und eröffneten im Westen eine zweite Front gegen das Dritte Reich.
Operation Overlord: Am 6. Juni 1944, bekannt als «D-Day», landen die alliierten Truppen an der Küste der Normandie und eröffneten im Westen eine zweite Front gegen das Dritte Reich. Wikimedia
Auch der Kommandoposten des Generals musste entsprechend dislozieren. Die Wahl fiel auf das mittelländische Bauerndorf Jegenstorf. Guisan, der sich häufig aufs Feld zu seinen Soldaten begab, konnte von dort aus die Westgrenze und die Armeeeinheiten im Jurabogen schnell erreichen. Zudem war er wieder näher an der Bundeshauptstadt, dem politischen Zentrum der Schweiz, und zugleich unweit vom zehn Kilometer entfernten Burgdorf, dem neuen Standort der «vorgeschobenen Operationsstaffel».

Schloss Jegenstorf wird Kommandoposten

Als Kommandoposten (K.P.) des Generals wurde Schloss Jegenstorf ausgewählt. Seit 1934 nicht mehr bewohnt, doch von 1936 an als Museum öffentlich zugänglich, musste es für militärische Zwecke funktional ausgestattet werden. Dazu gehörten neben einer Kanzlei mit Telefonisten und Sekretären auch Räume mit technischen Anlagen für Funker und Telegraphen. Die Gemeinde besorgte Gebrauchsgegenstände vom Taburett bis zur Waschanlage, vom Garderobenständer bis zum Gewehrrechen, wobei Tische «in den Gasthöfen oder im Schulhaus requiriert» werden konnten, wie in einem Sitzungsprotokoll zu lesen ist.
Drei Mitarbeiter des Kurierdienstes im blauen Salon von Schloss Jegenstorf.
Mitarbeiter des Kurierdienstes im blauen Salon von Schloss Jegenstorf. Privatarchiv Mario Marguth, Foto: Hans von Allmen
Im Grossen Salon: General Guisan mit den Offizieren seines persönlichen Stabs, darunter Stabschef Bernard Barbey (vorne links) und Guisans persönlicher Adjutant Mario Marguth (hinten links).
Im Grossen Salon: General Guisan mit den Offizieren seines persönlichen Stabs, darunter Stabschef Bernard Barbey (vorne links) und Guisans persönlicher Adjutant Mario Marguth (hinten links). Privatarchiv Mario Marguth, Foto: Hans von Allmen
Die Kantine wurde in der Orangerie eingerichtet. Die damals im Parterre des Schlosses noch vorhandene Küche aus der Zeit des letzten grossen Umbaus 1915/1916 konnte, mit dem nötigen Equipment ausgestattet, reaktiviert werden. Als Esszimmer für den General und seine engsten Mitarbeitenden diente der sogenannten Marmorsaal. Der direkt angrenzende grosse Salon bot tagsüber Raum für Audienzen und diente abends zum Verweilen. Für die wohnliche Ausstattung lieferten Berner Familien Möbel.
Mit Karten, Zigaretten und Pernod: General Guisan und drei Mitarbeiter seines persönlichen Stabs am Spieltisch im Grossen Salon.
Mit Karten, Zigaretten und Pernod: General Guisan und drei Mitarbeiter seines persönlichen Stabs am Spieltisch im Grossen Salon. Privatarchiv Mario Marguth, Foto: Cinéac Genève
Seit dem letzten Umbau verfügte das Schloss über Elektrizität, fliessendes Wasser und eine Zentralheizung, die – zusätzlich zu den zahlreichen Kachelöfen und Cheminées – Wärme spendeten. «Es ist eine Wohltat, in diesen Spätherbsttagen in Jegenstorf, wenn die Kachelöfen in unseren getäferten Zimmern knistern, zu arbeiten», hielt Guisans persönlicher Stabschef Bernard Barbey in seinem Tagebuch fest. Vorhanden waren auch ein älteres Badezimmer und – im ehemaligen Dienstentrakt – ergänzende Toiletten, doch mussten zusätzlich Latrinen über dem westlich des Schlosses entlang fliessenden Dorfbach errichtet werden. In der Schlossscheune und dem nahegelegenen Schulhaus kamen Offiziere und Soldaten unter, in der Turnhalle die Generalswache in der Grösse einer Kompanie. Das Schloss wurde streng bewacht, nachts patrouillierten Soldaten mit Schutzhunden.
Aussenansicht von Schloss Jegenstorf in den 1940er-Jahren – «une vraie résidence», wie der General seinen letzten Kommandoposten bezeichnete.
Aussenansicht von Schloss Jegenstorf in den 1940er-Jahren – «une vraie résidence», wie der General seinen letzten Kommandoposten bezeichnete. Bernisches Historisches Museum, Foto: K. Buri
Guisan und die Offiziere seines persönlichen Stabs vor der Südfassade von Schloss Jegenstorf.
Guisan und die Offiziere seines persönlichen Stabs vor der Südfassade von Schloss Jegenstorf. Privatarchiv Mario Marguth, Foto: Hans von Allmen
Am 6. Oktober 1944 notierte Barbey in seinem Tagebuch: «Die Herbststürme schütteln die noch belaubten Bäume, führen zum ersten Blätterfall und kräuseln die Wasserfläche. […] wir [gehen] von Zimmer zu Zimmer und nehmen die endgültige Verteilung vor.» Drei Tage später konnte Guisan Einzug halten. Am 12. Oktober hiessen der Schlossverein und der Gemeinderat ihn mit einem Frühschoppen willkommen. Der General bezog sein nussbaumgetäfertes, direkt neben seinem Schlafzimmer gelegenes Arbeitszimmer in der Beletage mit Blick auf den grossen Schlossteich. Die Filmwochenschau «Ein Tag im K.P. des Generals» gibt einen detaillierten, wenn auch inszenierten Einblick in den Arbeitsalltag des Generals und seines persönlichen Stabs. Die Szenen zeigen Guisan beim Empfang seiner Mitarbeitenden zwecks Informationsaustauschs und Beratung, beim Unterzeichnen wichtiger Dokumente und Korrespondenzen sowie bei Truppenbesuchen im Feld. Nicht zu sehen sind jedoch verschiedene Treffen: Während der Monate bis zum Ende des Aktivdienstes gaben sich ausländische Militärattachés und Offiziere, alliierte Generäle und Wirtschaftsdelegationen sowie Schweizer und Berner Behörden- und Pressevertreter im Schloss Jegenstorf die Klinke in die Hand.
«Ein Tag im K.P. des Generals», Filmwochenschau vom 6. Juli 1945. SRF, Cinémathèque Suisse
Wenn der General sich eine kurze Auszeit gönnte, ritt er mit seinem Pferd «Nobs» aus. Gelegentlich hielt er im Dorf einen kurzen Schwatz mit den Bauern, für deren Arbeit und Befinden er sich interessierte. Guisan, Sohn eines Landarztes, absolvierte nach der Matura eine Ausbildung zum Landwirt. Nach seiner Heirat mit Mary Doelker konnte er sich als «Gentleman-Farmer» auf dem vom Schwiegervater übernommenen Landsitz Verte Rive in Pully niederlassen und kümmerte sich um das grosszügige Anwesen mit Gestüt.
Schnappschuss im Schlosshof: Guisan reitet mit seinem Lieblingspferd «Nobs» aus.
Schnappschuss im Schlosshof: Guisan reitet mit seinem Lieblingspferd «Nobs» aus. Privatarchiv Mario Marguth, Fotograf unbekannt

General Guisans 70. Geburtstag

Am 21. Oktober 1944, schon bald nach seinem Einzug in Jegenstorf, feierte Guisan seinen 70. Geburtstag. Wie sich die Popularität des volksnahen Generals an diesem Tag verdeutlichte, schilderte Barbey in seinem Tagebuch: «70. Geburtstag des Generals! Eine Lawine von Briefen, Telegrammen, Artikeln, Geschenken. Die Salons des Erdgeschosses verwandeln sich in eine Künstlerloge am Abend einer grossen Première. [...].»
Die ikonische Fotografie entstand anlässlich des 70. Geburtstags des Generals.
Die ikonische Fotografie entstand anlässlich des 70. Geburtstags des Generals. Stiftung Schloss Jegenstorf, Foto: Hans von Allmen

«Wachsam­keit bleibt die Parole»

Die Niederlage der deutschen Truppen, die sich an allen Fronten auf dem Rückzug befanden, war im Frühjahr 1945 nur noch eine Frage der Zeit. Doch der Krieg war nicht vorbei. Nach wie vor galt es, die Moral der Truppen zu stärken und der Zivilbevölkerung Mut zuzusprechen. Mit seiner natürlichen Autorität und seiner Menschlichkeit verkörperte Guisan den Schweizer Widerstandswillen, den er durch geschickte Informations- und Überzeugungsarbeit im Volk und in der Armee lebendig hielt. In einer Ansprache wandte er sich am 6. April 1945 mit folgenden Worten an die Öffentlichkeit: «Jetzt, da der Krieg seinem Höhepunkt zutreibt, möchte ich euch ermahnen: Damit unsere steten Anstrengungen von Erfolg gekrönt seien, darf es kein Nachlassen geben […]. Ich will, dass jeder von nah oder fern es weiss: Bis dass der letzte Schuss in Europa gefallen ist, bleibt der Geist von 1940, bleibt Wachsamkeit die Parole.»
Wenige Wochen vor Kriegsende: General Guisan richtete mahnende Worte an die Bevölkerung. SRF, Cinémathèque Suisse

Das europäi­sche Kriegsende

Am 8. Mai 1945 ging mit der Kapitulation Deutschlands der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Barbey hielt in seinem Tagebuch fest: «Heute ist der eigentliche Waffenstillstandstag. Der General besammelt im Schlosshof das Personal seines Stabs und richtet einige Worte an es». Im Tagesbefehl verlautete Guisan: «Übergebt der kommenden Generation eure Tapferkeit, eure Treue und euer Pflichtbewusstsein.»
Im Hof von Schloss Jegenstorf am 8. Mai 1945: Guisan verkündet das europäische Kriegsende.
Im Hof von Schloss Jegenstorf am 8. Mai 1945: Guisan verkündet das europäische Kriegsende. Jegischtorfer Singlüt
Am Abend nach den Siegesfeiern pflanzten Guisans Wachtsoldaten zur Erinnerung an den denkwürdigen Tag einen «Friedensbaum». Die Blutbuche steht heute noch an der Bernstrasse nahe des Dorfzentrums. Am 20. Juni 1945 stimmte die vereinigte Bundesversammlung dem Antrag zu, General Guisan vom Kommando der Armee zu entlassen. Nationalratspräsident Pierre Aeby dankte Guisan für seinen Dienst am Land. In kurzen, prägnanten Worten antwortete der General: «Ich habe nur meine Pflicht getan. Meine Pflicht als Soldat. Meine Mission ist vorbei. Ich stehe meinem Land weiterhin zur Verfügung.»

Guisan und der Frauen­chor Jegenstorf

Zurück zur anfangs zitierten Rosa Dürig. Ihre Aufregung über die nahende Ankunft des Generals in ihrem Dorf hatte sich in den folgenden Wochen und Monaten kaum gelegt, im Gegenteil. Die junge Frau war ein Mitglied des Jegenstorfer Frauen- und Töchterchors, dessen Auftritte bei Guisan grossen Anklang fanden. «Immer ist irgendein Ereignis im Dorf, seit unser General bei uns ist. Der Frauenchor ist bald berühmt im Schloss», so Dürig. Auch nach dem Krieg fanden Auftritte im Schloss statt. Am 30. Juni 1945 «hat der ganze Frauenchor in der Tracht zu erscheinen. Es werden hohe Gäste erwartet». Den ausländischen Militärs wurde unter anderem «Des Finken Frühlingslied» vorgetragen.
Für die Damen gab es Schinkenbrote und «feine Stückli», dazu Portwein, während der Waadtländer Guisan Weisswein den Vorzug gab.
Für die Damen gab es Schinkenbrote und «feine Stückli», dazu Portwein, während der Waadtländer Guisan Weisswein den Vorzug gab. Jegischtorfer Singlüt
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Ein amüsierter General mit drei strahlenden Chordamen.
Ein amüsierter General mit drei strahlenden Chordamen. Jegischtorfer Singlüt
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Guisan posiert gut gelaunt inmitten des Jegenstorfer Frauen- und Töchterchors.
Guisan posiert gut gelaunt inmitten des Jegenstorfer Frauen- und Töchterchors. Jegischtorfer Singlüt
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Aus nächster Nähe geniesst der General den Gesangsvortrag.
Aus nächster Nähe geniesst der General den Gesangsvortrag. Jegischtorfer Singlüt
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Abschieds­ze­re­mo­nie auf dem Bundesplatz

Am 19. August 1945 fand auf dem Bundesplatz die Feier zum Ende des Aktivdienstes statt, die zugleich die offizielle Verabschiedung des Generals war. Eine aufwendige militärische Zeremonie mit Fahnenehrung bot ein festliches Spektakel. 20'000 Menschen bevölkerten die Berner Innenstadt. 1000 offizielle Gäste waren geladen, darunter alle amtierenden und ehemaligen Bundesräte sowie die Präsidenten sämtlicher Kantonsregierungen. An diesem Tag verabschiedete sich Henri Guisan mit einer Rede vor dem Bundeshaus.
Am 19. August 1945 fand die Feier zum Ende des Aktivdienstes auf dem Bundesplatz statt. SRF, Cinémathèque Suisse

Letzter Armeerap­port

Nach der Abschiedszeremonie auf dem Bundeplatz besammelte der General die Stabsoffiziere und aktiven Truppenkommandanten vom Regiment an aufwärts auf seinem Kommandoposten in Jegenstorf zu einem letzten Armeerapport, der von Marschmusikvorträgen der Berner Bereitermusik umrahmt wurde. Rund 400 Offiziere standen – ähnlich wie fünf Jahre zuvor auf dem Rütli – im Halbrund nach Armeekorps geordnet auf der Schlosswiese. In Gegenwart des Vorstehers des Militärdepartements, Bundesrat Karl Kobelt, und der Chefs der Hauptabteilung des Armeestabs verabschiedete sich der General in einer längeren Rede, die er mit folgendem Sätzen schloss: «Je reste votre camarade, votre aîné, celui à qui I’on peut venir confier un sujet de préoccupation, celui qui, toujours, volontiers, vous accueillera, vous donnera un conseil… Je vous confie le sort de notre Armée future: c’est là, pour moi, la meilleure manière de vous marquer ma reconnaissance. Messieurs, j’ai pris congé de vous. Mes vœux vous accompagnent.» («Ich bleibe euer Kamerad, euer Vorgesetzter, derjenige, dem man ein Anliegen anvertrauen kann, der euch immer gerne empfängt und einen Rat gibt… Ich vertraue euch das Schicksal unserer künftigen Armee an: Das ist für mich die beste Art, euch meine Dankbarkeit zu zeigen. Meine Herren, ich habe mich von euch verabschiedet. Meine besten Wünsche begleiten euch.»)
General Guisan neben Bunderats Karl Kobelt vor der Südfassade von Schloss Jegenstorf am 19. August 1945.
General Guisan neben Bunderats Karl Kobelt vor der Südfassade von Schloss Jegenstorf am 19. August 1945. Privatarchiv Mario Marguth, Foto: Hans von Allmen

Das Dorf verabschie­det sich vom General

Der Aktivdienst ging am 20. August 1945 offiziell zu Ende. Mit einem letzten Tagesbefehl verabschiedete sich der General in Jegenstorf von seiner Truppe. Am 22. August war der Gemeinderat von Guisan zu einem Abendschoppen ins Schloss eingeladen. Um sich zu revanchieren, veranstaltete die Gemeinde tags darauf eine Abschiedsfeier im Gasthof Kreuz. Einmal mehr hatte der Frauenchor seinen Auftritt: Bei der Ankunft des Generals stand er «in der schmucken Bernertracht» Spalier, danach war er «als Dekoration an 2 Tischen verteilt», so Dürig. Gemeinderatspräsident Jakob Iseli verdankte dem General «die Verdienste für unsere Armee und die Anteilnahme an Freud und Leid unserer Bevölkerung». Die einzelnen Gänge wurden mit Gesangsvorträgen des Frauenchors abgerundet. Im Repertoire standen unter anderem «Das Schönste in der Schweiz», «Heimweh», «Ich kenn ein wunderschönes Land» und «Die Dämm'rung sinkt aufs Schweizerland». Beim Einschenken der Weingläser nach seiner Präferenz gefragt, soll Guisan scherzhaft verlautet haben: «Einen Waadtländer fragt man nicht, das ist ganz selbstverständlich, dass ich weissen Wein trinke!».
Fest im Griff hält Guisan eine auserwählte Dame beim Abschiedstanz im Gasthof Kreuz.
Fest im Griff hält Guisan eine auserwählte Dame beim Abschiedstanz im Gasthof Kreuz. Jegischtorfer Singlüt
Im «gemütlichen zweiten Teil» des Abends «waren alle Anwesenden wie eine Familie um die grosse Tafel versammelt», hielt Dürig fest. Guisan wurde zum Ehrenmitglied des Frauenchors Jegenstorf ernannt. Er verdankte diese Geste sowie «die schönen und künstlerisch wertvollen Vorträge» in den Tagen darauf in einem Brief an den Dirigenten in «Erinnerung daran, dass der Oberbefehlshaber der Armee an den prächtigen Leistungen und Trachten Ihrer Chöre immer wieder Freude hatte». Nach einer anschliessenden Tanzrunde «nahm unser General Abschied. Alle Anwesenden […] waren von diesem schönen Abend sehr befriedigt und werden die schönen Stunden nie vergessen.» Vor seiner Abreise zurück ins Waadtland bedankte sich Guisan in einem Brief bei der Gemeinde und brachte darin seine Wertschätzung gegenüber dem Dorf zum Ausdruck: «[…] als ehemaliger Landwirt, stets mit der Erde verwachsen, fühlte ich mich in dieser Gegend wohl und durfte immer wieder die grosse Anhänglichkeit und Freundschaft der Bevölkerung wahrnehmen. […] Auch mir werden Sie alle, die vertrauten Häuser, das schöne Schloss, die Wälder und Wiesen unvergesslich bleiben. Möge immer ein guter Stern über Ihnen und Ihrer Gemeinde walten!».

Das «Trachten­korps» zu Besuch beim General

Über die – für einen General doch eher ungewöhnliche – Ehrenmitgliedschaft im Frauenchor Jegenstorf, den er gelegentlich scherzhaft als «Frauenkorps» oder «Trachtenkorps» bezeichnete, muss Guisan erfreut gewesen sein. Jedenfalls bedankte er sich mit einer Einladung zu sich nach Pully am Genfersee, der am 22. September 1945 43 Mitglieder folgten. Als Gastgeschenk erhielt er eine Buntglasscheibe mit der Inschrift: «UNSEREM EHRENMITGLIED HERRN GENERAL GUISAN GEWIDMET VOM FRAUEN- UND TÖCHTERCHOR JEGENSTORF 1945»
General Guisans Arbeitszimmer in der Villa Verte Rive. In der Mitte der linken Fensterseite...
General Guisans Arbeitszimmer in der Villa Verte Rive. In der Mitte der linken Fensterseite... Murielle Schlup
Besucht man die inzwischen als Museum zugängliche Villa Verte Rive – heute im Besitz des Bundes – und betritt sein ehemaliges Arbeitszimmer, ist man überrascht, diese Scheibe an prominenter Stelle fest in eine Fensterscheibe eingelassen zu entdecken: direkt auf Kopfhöhe hinter seinem Arbeitstisch.

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