Willkommensschild am Ortseingang. 1852 wurde der Ort gegründet. Heute leben über 4000 Menschen in Berne, viele Nachfahren der Schweizer Siedler.
Foto: Benno Gut

Die Schweiz anderswo

Noch vor 150 Jahren war die Schweiz kein Wohlstandsland. Viele haben sich damals aufgemacht, um in der Fremde Landbesitz, Reichtum und Religionsfreiheit zu finden. Einige Auswanderer haben Siedlungen gegründet und diesen Namen der alten Heimat gegeben. Deshalb finden wir heute etwa ein Bern, Zürich oder Fribourg und weitere in aller Welt.

Petra Koci

Petra Koci

Petra Koci ist freie Journalistin und Autorin. In ihrem Buch «Weltatlas der Schweizer Orte» porträtiert sie von Schweizern gegründete Siedlungen auf fünf Kontinenten.

Migration ist ein aktuelles Thema. Viele Menschen suchen ein besseres Leben in Europa, auch in unserem Land. Dabei verlief die Auswanderung im 19. Jahrhundert vor allem in entgegengesetzter Richtung: Aus der überwiegend agrarischen Schweiz hinaus auf andere Kontinente. Einige kantonale Behörden unterstützten den Wegzug, auch weil sie so unerwünschte, verarmte Bewohner loswerden konnten. In anderen Kantonen wiederum war die Auswanderung verboten. Agenturen oder einzelne Werber lockten mit falschen Versprechungen. Nicht selten profitierten sie selbst und stürzten die Auswanderer ins Elend. Die Kolonisten waren aber auch oftmals Spielball der Politik. Manche Regierung versprach sich mit Hilfe der Besiedlung von Europäern die Vertreibung der Urvölker, egal ob Indianer, Indios oder Tataren.

19. Jahrhundert - Jahre der Emigration

Klimakatastrophen, Landwirtschaftskrisen sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen trugen ebenso zur Emigration bei. In der Schweiz war die Industrialisierung im Textilbereich schon früh fortgeschritten. Nach der Aufhebung einer von Frankreich verhängten Wirtschaftsblockade gegen England wurde auch die Schweiz mit billigen Textilien überschwemmt. Arbeitsplätze, vor allem die Heim- und Handarbeit, gingen verloren. Als 1815 in Indonesien der Vulkan Tambora ausbrach, absorbierte die riesige Masse von Asche sogar in Europa einen Teil des Sonnenlichts. 1816 ging als das «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte ein und führte zu Ernteausfällen. Die Folgen waren Teuerung, Massenarmut, Hungersnöte und Auswanderung.

Maler Hans Bachmann thematisierte die Auswanderung in diesem Gemälde von 1911.
Schweizerisches Nationalmuseum

Nova Friburgo in Brasilien

In diese Zeit fiel die Gründung der Schweizer Kolonie Nova Friburgo in Brasilien. Der Deal zwischen der Freiburger Kantonsregierung und dem portugiesischen König in Brasilien wurde am 16. Mai 1818 besiegelt. Über 2000 Menschen, vor allem aus Freiburg, aber auch anderen Kantonen, meldeten sich zur Auswanderung. «Heimatlose» wurden von den Behörden abschoben.

Brasilien war interessiert an Arbeitskräften, da die Abschaffung der Sklaverei in Gange war. Die Schweizer galten als gute Handwerker und Soldaten. Zudem sollte das südamerikanische Land durch die Einwanderer «weisser» werden. Der König selbst wies den Siedlern Land etwa 150 km im Hinterland von Rio de Janeiro zu. Das hügelige Terrain und die klimatischen Bedingungen sollten an die Voralpenheimat erinnern. Die Kolonisten erhielten etwas Land, eine provisorische Behausung und zehn Jahre Steuerbefreiung – zumindest diejenigen, die es bis nach Südamerika schafften. Denn der Gesandte der Freiburger Regierung und Organisator der Auswanderung war ein Profiteur, der das meiste Geld in seinen eigenen Sack steckte. Nicht nur mussten die Aussiedler in Holland wochenlang unter schlechtesten Bedingungen auf die Hochseeschiffe warten. Auch die Strapazen der langen Überfahrt und der beschwerlichen Reise landeinwärts forderten Tribut. Bald stellte sich zudem heraus, dass das steile steinige Gelände in Nova Friburgo ungeeignet war für die Landwirtschaft. Den Siedlern wurde es freigestellt, ob sie bleiben oder fruchtbareres Land etwas weiter entfernt bearbeiten wollten. So gelang es einigen Schweizern nach Jahren tatsächlich, erfolgreich Tabak, Zuckerrohr und Kaffee anzubauen. Nova Friburgo verdiente Geld mit den umliegenden Kaffeeplantagen, später mit der Textilindustrie. Heute gilt Nova Friburgo als Unterwäschehauptstadt Brasiliens.

Nova Friburgo liegt rund 150 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt im Hinterland von Brasilien.
Foto: Benno Gut

Nova Friburgo gilt als Unterwäsche-Hauptstadt von Brasilien. Die Textilindustrie hat in der Region rund 20'000 Arbeitsplätze geschaffen.
Foto: Benno Gut

Zürichtal auf der Krim

Die Gründung der Siedlung Zürichtal auf der Krim geschah entgegen den Willen der Zürcher Behörden. Ende des 18. Jahrhunderts unterstand die Landbevölkerung der Herrschaft der «gnädigen Herrn» in Zürich. Auswanderung war verboten. Doch nach einigen blühenden Jahren lag die Textil- und Webereiindustrie am Boden. Viele Weber, Spinner, Bauern und Handwerker wollten der Armut entfliehen. Damals wurde für die Ansiedlung in «Neurussland» geworben, 1783 war die Halbinsel vom russischen Imperium annektiert worden. Der Zar versprach Land, Steuererlass und Armeebefreiung.

So machten sich im Jahr 1803 etwa 60 Auswanderfamilien heimlich auf und reisten unter Leitung von Major Hans Caspar Escher, dem Grossvater von Alfred Escher, auf der Donau Richtung Schwarzes Meer. Nach einer langen, entbehrungsreichen Reise durch den Winter erreichten sie mit letzter Kraft die südliche Krim und siedelten sich in einem verlassenen Tatarendorf an. Sie nannten es Zürichtal, bauten Bauernhäuser, kultivierten Ackerland und Rebberge. Später kamen deutsche Aussiedler hinzu. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde aus dem Dorf eine Sowchose. Um 1930 begannen Repressionen gegen die Krimdeutschen und Krimschweizer. Sie mussten Ernten, Häuser wie auch Geld abgeben und wurden nach Sibirien deportiert. 1945 wurde Zürichtal in «Zolotoe Pole» unbenannt – das goldene Feld. Heute leben hier Krimtataren, Russen, Ukrainer. Nur noch ein paar Bauernhöfe sowie Grabsteine, die nicht für den Bau von Gartenmauern verwendet wurden, erinnern an die Schweizer Gründer.

Zürichtal wurde 1945 in Zolotoe Pole, das goldene Feld, unbenannt.
Foto: Benno Gut

Heute ist von der ehemaligen Schweizer Kolonie nicht mehr viel übrig. Das «goldene Feld» dient vor allem als Weidefläche für die Kühe der Wenigen, die noch hier leben.
Foto: Benno Gut

Mennoniten und Amish in den USA

Im mittleren Westen der USA hingegen, im Städtchen Berne, ist das Schweizer Erbe immer noch deutlich sichtbar: Der Muensterberg Clocktower ist eine exakte Replik des Zytgloggeturms. Die «First Bank of Berne» ist im Chaletstil erbaut. Zahlreiche Schweizer Nachnamen prangen auf Plakaten und Geschäftsschildern.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Suche nach Religionsfreiheit und Militärdienstbefreiung zur Gründung von Berne geführt. Die religiöse Gemeinschaft der Mennoniten lebte in der Schweiz zurückgezogen auf isolierten Höfen, praktizierte die Erwachsenentaufe und verweigerte den Armeedienst. Zwar wurde sie offiziell nicht mehr verfolgt. Dennoch machten sich 1852 etwa 70 Schweizer Mennoniten aus Moutier im Berner Jura auf nach Amerika. Im Bundesstaat Indiana fanden sie günstiges Land. Vieles war Wildnis und Sumpfland. Die Emigranten rodeten, kämpften gegen Bären, Wölfe und Krankheiten. Als später die Eisenbahnlinie gebaut wurde, erhielt die Siedlung Anschluss. 1871 wurde sie offiziell als Berne eingetragen. Die Siedler kultivierten das Land und arbeiteten als Handwerker. Berne wurde zur Möbelkapitale von Indiana.

Rundherum haben sich Familien der Amish angesiedelt. Diese strenge Religionsgemeinschaft – der Name geht auf den Schweizer Jacob Ammann zurück – lebt nach dem alten Testament, nutzt keine Motoren, Elektrizität, kein Internet. Ab und zu sieht man sie mit der Pferdekutsche durch den Ort fahren. Den Kontakt mit ihren Nachbarn, den Nachfahren der mennonitischen Gründungsväter, vermeiden sie weitgehend. Obwohl beide auf die Täuferbewegung zurückgehen. Und Schweizer Wurzeln haben.

Ein Stückchen Heimat im fernen Amerika: der Muensterberg Clocktower, der nach dem Vorbild des Berner Zytgloggen-Turms gebaut wurde.
Foto: Benno Gut

Ein typisches Bild auf den Strassen von Berne: Die Amish benutzen die typischen schwarzen «Buggys» ohne Gummireifen.
Foto: Benno Gut

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