Der Bernhardiner hat sich in den letzten 200 Jahren stark verÀndert. Er ist grösser uns schwerer geworden.
Schweizerisches Nationalmuseum

Barry, der Bernhardiner

Er ist der Schweizer Nationalhund schlechthin: Barry, der Bernhardiner. Seine Geschichte ist jedoch mehr Mythos denn Wahrheit.

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer ist Historiker und Autor.

Der Wind peitschte den Schnee ĂŒber die Felsen, das Pferd bĂ€umte sich dramatisch wiehernd auf, aber Napoleon Bonaparte sass felsenfest im Sattel und wies ungerĂŒhrt in Richtung Passhöhe. So jedenfalls stellte sich Jacques-Louis David Napoleons Überquerung des Grossen St. Bernhard im Jahr 1800 vor. Und das ikonische Motiv gefiel ihm so gut, dass er das Bild gleich in fĂŒnffacher AusfĂŒhrung malte.

Auf dem Pass angekommen, liess sich der Feldherr von Augustiner-Mönchen bewirten. Diese betrieben dort – auf einer Höhe, die den Gipfeln von Niesen, Pilatus oder dem Brienzer Rothorn entspricht – seit 750 Jahren eine Herberge. Und zwar im Sommer wie im Winter. Um besser durch den Schnee zu kommen, setzten die Mönche und ihre BergfĂŒhrer seit Mitte des 17. Jahrhunderts Hunde ein, und einer dieser Hunde war Barry. Barry war 1800 geboren worden. Ob er Napoleon begegnet ist – wer weiss. Auf jeden Fall aber war der Welpe etwas Besonderes.

Druckgrafik von Napoleons Armee auf dem St. Bernhard. Das Werk entstand 1820.
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Barry tobte durch den Schnee, schnĂŒffelte an Blumen, an Murmeltier- oder GĂ€msdung und ĂŒberhaupt an allem, was ihm die BergfĂŒhrer zu fressen vorsetzten. Mit ihnen schritt er die Wege ab und schnĂŒffelte nach Vermissten. Eine gefĂ€hrliche Arbeit, immer wieder gab es StĂŒrme und Lawinen und der am Pass gelegene Mont Mort trĂ€gt seinen Namen nicht von ungefĂ€hr. Barry könnte an der Rettung von bis zu 40 Personen beteiligt gewesen sein, auf jeden Fall galt er schon zu Lebzeiten als aussergewöhnlicher Hund. Nach zwölf Jahren auf dem Pass kam er 1812 nach Bern, wo er zwei Jahre spĂ€ter starb. Und damit begann seine wirkliche Karriere.

Das Tier wurde konserviert, ausgestellt und zum Gegenstand von GerĂŒchten. Barry habe ein Kind auf dem RĂŒcken getragen. Er habe VerschĂŒtteten zu essen und zu trinken gebracht. Ein von ihm geretteter napoleonischer Soldat habe ihn fĂŒr einen Wolf gehalten und mit dem Bajonett erstochen. Ein erfundener Heldentod fĂŒr den Heldenhund. 1884 wurde der Bernhardiner zum «Schweizer Nationalhund» erkoren. Auf dem Pariser CimetiĂšre des Chiens wurde ein Barry-Denkmal errichtet.

Der Mythos Barry wurde so gross, dass sich die RealitĂ€t anpassen musste. 1923 erhielt das ausgestopfte Tier lĂ€ngere Beine, einen grösseren Kopf, eine stolzere Haltung sowie irgendwann ein Schnapsfass (das er mit Sicherheit nie trug). Auch die Bernhardiner an sich verĂ€nderten sich, oder besser gesagt: sie wechselten ins Showbiz. Sie bekamen ein schöneres Fell, wurden mehr als doppelt so schwer wie der alte Barry und kĂ€mpften plötzlich mit gesundheitlichen Problemen. Heute dienen die Tiere vor allem als PlĂŒschtiervorlage und Fotosujet. Die Arbeit im Schnee haben andere ĂŒbernommen. Dank neuen Rettungsmethoden braucht es keine Spurhunde mehr, die den Weg bahnen, und damit man in der Lawine gefunden wird, gibt es ein technisches GerĂ€t – das Barryvox.

Handzeichnung von zwei Bernhardinern.
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Ein Mönch und ein Bernhardiner auf der Suche nach VerschĂŒtteten. Druckgrafik, um 1825.
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