Mit Ohropax allein ist es nicht getan
Das Museum für Kommunikation testet mit einem Hörparcours in einer Ausstellung zur Stille die Grenzen des Ausstellbaren.
Das stilvolle Poster fällt sofort auf: Orangefarbene Blockbuchstaben auf schwarzem Grund werben für «Sounds of Silence». Sieht aus wie die Ankündigung eines Popkonzerts aus der Zeit, als die Popmusik noch jung war und Simon & Garfunkel mit ihrem gleichnamigen Song ein Evergreen in die Welt setzten.
Aber nein, hier geht’s nicht um Musik, sondern um eine Sonderausstellung im Berner Museum für Kommunikation. Was hat man sich wohl unter diesen Geräuschen der Stille vorzustellen, und wie kann daraus eine Ausstellung werden? Der Widerspruch im Titel funktioniert – die Neugierde ist geweckt.
Vorsichtshalber schauen wir noch kurz auf der Homepage des Museums nach, was uns erwartet. Dort prangt unter anderem der Hinweis, dass das Museum für Kommunikation mit dem Museumspreis des Europarats für 2019 ausgezeichnet wurde.
In der Jurybegründung liest man, dass es ein «sehr interaktives, multisensorisches, auf Beteiligung angelegtes, zugängliches, spielerisches, offenes und demokratisches Museum» sei. Noch dazu greife es «die zentralen Themen der heutigen Kommunikation auf». Als da sind: «der Wert der Wahrheit, die Macht der Lüge, die Rolle von Privatheit und Überwachung». Und so weiter.
Die müssen sich ganz schön ins Zeug gelegt haben in Bern, denn ein Museum, das offenbar so vieles so gut kann, entsteht nicht aus dem Nichts. Aber regelmässige Museumsgänger wissen es längst: Das Haus beim Helvetiaplatz ist schon seit einiger Zeit mit überraschenden Konzepten unterwegs und hat jüngst seine Dauerausstellung neu eingerichtet. Wir schauen kurz hinein. Sie ist tatsächlich sehr attraktiv und vor allem sehr interaktiv angelegt. Um uns auf all das einzulassen, bräuchten wir eine Extraportion Zeit.
Wir konzentrieren uns auf «Sounds of Silence». Zu Beginn wird uns ein Kopfhörer ausgehändigt. Der normalerweise dazugehörige Audioguide fehlt. Schon sind wir mitten im Thema: Wozu dient der Kopfhörer? Soll er uns Geräusche oder Töne vermitteln oder uns vor diesen schützen? Schliesslich sind Kopfhörer, die die akustische Umwelt ausblenden oder, noch raffinierter, maskieren, unverzichtbar für Baustellenarbeiter, Pendler und Insassen von Grossraumbüros.
Schon auf der Rampe, die zur Ausstellung hinaufführt, wird die Funktion des Kopfhörers klar: Er taucht uns in eine Hörlandschaft, die wir in der nächsten Stunde nicht mehr verlassen werden. Und genau hier beginnt unser Dilemma. Es verhält sich mit einem Bericht über «Sounds of Silence» ein wenig wie mit der Kritik eines Krimis: wer zu viel verrät, ist ein Spielverderber.
Soviel aber sei gesagt: Wer eine Ausstellung von Objekten im klassischen Sinn erwartet, wird eher enttäuscht sein. Dafür landet man in einer Erfahrungs- oder Erlebnislandschaft, einem offenen Raum, der von Designelementen in inselartige Stationen unterteilt wird. Man bewegt sich quasi in einer 3-D-Partitur. Da die Kopfhörer über Funk laufen, steuern die Besucherinnen und Besucher Dauer und Intensität des Hörerlebnisses selber.
Nach und nach werden wir physisch und unmittelbar mit all dem konfrontiert, wofür «Stille» gemeinhin steht. Ganz sicher für die weitverbreitete Sehnsucht nach Ruhe in einer Welt, in der es allenthalben piepst und quietscht, klingelt und jingelt. Aber auch für eine ziemlich perfide Form der Folter.
Denn im schalltoten Raum nehmen zunächst einmal die normalerweise unbeachteten Manifestationen unserer Innereien gespenstische Dimensionen an. Das macht fast jeden zum Hypochonder. Pocht es da nicht zu laut, blubbert es nicht seltsam, rast der Puls nicht zu schnell? Wer sich je in einer Berghütte mit Ohrstöpseln gegen schnarchende Mitmenschen zu schützen versucht hat, kennt den Terror der eigenen Festplatte, der unangenehmer sein kann als eine tropfende Regenrinne.
Gerne besingt die Lyrik die «Stille» der Natur. Über allen Wipfeln ist angeblich Ruh. Doch auch die hat es in sich. Das macht jener Abschnitt von «Sounds of Silence» klar, wo wir mit einem Erfahrungsbericht von einem Aufenthalt auf der «einsamen Insel» konfrontiert werden. Diese gilt als Inbegriff des Idylls. Die Erfahrung der von stressgeplagten Zeitgenossen oft herbeigesehnten Eremitage ist aber, soviel sei verraten, ähnlich wie der Aufenthalt im schalltoten Raum alles andere als erholsam. Was ist das für ein Knacken, und waren da nicht gerade Schritte zu hören? Erstaunt hören wir, dass die einsame Stille sogar zu einer Art körperlicher und seelischer Verwahrlosung führen kann. Denn der Mix aus fehlender menschlicher (An-) Sprache und gleichzeitiger Konzentration auf minimale Geräusche führt zu eigenartigen Fixierungen und einem unangenehmen Orientierungsverlust. Wir lernen: Stille ist ein Abgrund.
Zumindest vordergründig etwas leichtfüssiger kommt die Komposition 4’22 von John Cage in einer ihrer unendlich vielen Varianten daher. Der Clou des Werkes besteht darin, aus der Stille eine (Zufalls-)Komposition zu machen: Die Stille ist nämlich für die Dauer des Werks erfüllt von der Erwartung eines Musikstücks, das man nie zu hören bekommt – oder eben doch. Denn es besteht aus all den zufälligen Geräuschen am Aufführungsort. Das Husten oder Tuscheln der Konzertbesucher, ein Programm, das herunterfällt, der Flug eines Helikopters über den Konzertsaal – eben alles, was wir sonst eher ausblenden, wird vom Komponisten zu Musik erklärt. Was zunächst als recht banaler Gag daherkommt, ist bei längerem Nachdenken ein faszinierender philosophischer Versuch über Musik und Lärm, aber auch Stille und Musik.
Von Cage lässt sich leicht der Bogen zu den Zen-Meditationen des bekannten Jesuitenpaters Niklaus Brantschen schlagen. Im letzten Raum lädt eine Videomeditation mit ihm alle, die sich drauf einlassen wollen, zu einer Erforschung des eigenen Atemrhythmus als Grundlage für die einzige wahre, die innere Stille ein.
Da beginnt man sich unweigerlich zu fragen, ob Stille vor allem Psychologie und geschickte Selbstmanipulation ist und wozu es überhaupt eine Lärmschutzverordnung braucht. Den Link zu dieser findet man auf der interessanten Homepage zur Ausstellung, zusammen mit einer fantastischen literarischen Anthologie zur Stille mit Texten von Homer bis zum Mundartdichter Dominic Oppliger, von denen einige während des Parcours zu hören waren. Aber wer «Sounds of Silence» absolviert hat, dürfte zumindest verstanden haben, dass der Nutzen von Vorschriften wie auch von Ohropax relativ ist. Denn Stille, so die wichtigste Erkenntnis, ist weit mehr als nur eine tiefe Dezibelzahl.
Sounds of Silence
Museum für Kommunikation, Bern bis 7. Juli 2019