Sofareisen ins Museum
Unsere wachsame Museumseule Hibou Pèlerin hat es zwar nicht so sehr mit der Flugscham. Aber in der ungemütlichen Jahreszeit ist ihre Unternehmungs- und Reiselust doch etwas gebremst. Daher hat sie eine Surftour ins Reich der Online-Ausstellungen unternommen.
Während man noch vor wenigen Jahren bei vielen Museen froh sein konnte, wenn die Homepage die wichtigsten Informationen zuverlässig bereitstellte, gibt es inzwischen einen regelrechten Boom an Onlineangeboten zur Vor- und Nachbereitung des Museumsbesuchs. Manche geben sich sogar als Alternative dazu.
Rijksmuseum
Einige haben viel Aufmerksamkeit erregt, wie das Projekt «Rijksstudio» des Rijksmuseum in Amsterdam. Das Museum stellt seit 2015 seine copyrightfreien Sammlungsbestände online. Jede/r kann die Bilddateien zu nichtkommerziellen Zwecken runterladen; sogar die Tools zum Digitalbasteln stellt das Museum zur Verfügung. Aufgrund der Online-Sammlung sind inzwischen etliche virtuelle Touren durchs Museum von Besucherinnen und Besuchern zusammengestellt worden. Auf den Spuren der Tulpen, des Jugendstils oder auch der Farbe Braun – nichts ist unmöglich. Gerade der enorme Anklang, den diese Online-Offensive des Rijksmuseums beim Publikum findet, zeigt jedoch deren Grenzen: Bei knapp 700 000 Kunstwerken und fast einer halben Million individuellen «Studios», die inzwischen zu begutachten sind, stellt sich die Frage, wie man hier die Spreu vom Weizen trennen kann. Am besten schnuppert man mal rein. Damit ist wohl auch das Hauptziel der Aktion erreicht: Man freut sich auf den nächsten Besuch im Rijksmuseum, um die Originale zu sehen.
Online-Sammlungen
Die Sammlung zumindest teilweise online zu stellen, ist allmählich Standard. Federführend sind hier Institutionen wie das British Museum, dessen Online-Datenbank vier Millionen Objekte umfasst. Im Trend sind derzeit «Online-Exhibitions», die entweder autonom, also unabhängig vom Ausstellungsbetrieb, oder ergänzend zu diesem funktionieren. So wartet eine der weltweit führenden Kunstinstitutionen, das Getty in Los Angeles, mit einer virtuellen Bauhaus-Ausstellung «Bauhaus – Building the new artist» auf. Sie existiert nur online, basiert aber auf zugleich im Museum gezeigten Dokumenten. Gelungen ist sie, weil sie die Möglichkeiten des Mediums – einen Mix aus Video, Ton, Animation – voll ausschöpft. Man kann eine Neuinszenierung des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer sehen, und ein Tutorial lädt zum Nachmachen der Gestaltungsübungen von Josef Albers ein. Diese Onlineschau überzeugt, weil sie nicht der Verführung zur digitalen Materialschlacht erliegt, sondern fokussiert bleibt.
Europeana
Ein regelrechtes Schlaraffenland für reine Online-Ausstellungen bietet die beim breiteren Publikum noch vergleichsweise wenig bekannte europäische Digitalplattform Europeana, ein Projekt der europäischen Union. Sie bündelt viele öffentliche Archive aus Europa. Der Schwerpunkt liegt auf Fotografien, Kunst, historischen Dokumenten wie alten Karten oder ethnographischen Musikaufnahmen. Man kann gezielt Sektionen anwählen, Schlagworte eingeben oder die von einem Redaktionsteam erarbeiteten Dokumentationen und Blogs durchstöbern. Dabei trifft man auf Originelles und Überraschendes. Zum Beispiel «Liberation Skirts», nach dem Zweiten Weltkrieg phantasievoll aus Resten selbstgeschneiderte Röcke, oder Aufnahmen historischer Neonreklamen. Zu aktuellen Themen finden sich ebenfalls Beiträge, etwa zur Restaurierungsthematik anlässlich des Brands von Notre-Dame. Das Archiv ist nicht nur ein Pool zahlreicher europäischer Institutionen, sondern noch dazu auf Mitwirkung hin angelegt. So können Bürgerinnen und Bürger derzeit beispielsweise ihre Bilder zum Fall der Berliner Mauer und zum Ende des Eisernen Vorhangs hochladen. Europeana hat nebenbei eine netzpolitische Dimension. Es ist ein Statement für öffentliche, nicht kommerziell orientierte Online-Angebote.
Smithsonian Institution
Beim Surfen wird rasch klar, dass grosse, finanziell gut ausgestattete Museen im Netz üppiger anrichten können. Besonders in den Vereinigten Staaten wird man hier fündig, etwa bei der altehrwürdigen Smithsonian Institution in Washington, die mehrere natur- und kulturhistorische Museen vereinigt. Ähnlich wie Europeana bietet das Smithsonian eine Fülle von thematischen Online-Ausstellungen an, ebenfalls mit Themen, die Neugierde wecken. So spürt etwa «Skateboards and invention» dem besonderen Erfindergeist in der Skateboardkultur anhand von kommentierten Beispielen aus den verschiedenen Sammlungsabteilungen des Smithsonian nach. Eine andere Story beleuchtet die Rolle des Akkordeons als typischem Instrument von Migranten.
MET und MOMA
Eine weitere Fundgrube ist die Website des Metropolitan Museum New York. Es bietet nicht nur über tausend Online-Stories an, sondern darüber hinaus eine ganze Palette spezifischer Online-Angebote, wie #MetKids für Kinder. Die in Fachkreisen inzwischen berühmte «Digital Timeline» erschliesst die kompletten Museumsbestände in chronologischer Ordnung.
Sogar die eigene Museumsgeschichte wird da und dort zum Thema. Hier brilliert das soeben neu eingerichtete Museum of Modern Art in New York, das inzwischen Fotografien und Dokumente zu den gut 5000 Ausstellungen seit seiner Eröffnung 1929 ins Netz gestellt hat. Natürlich unterstreicht das Museum damit zugleich seinen nicht nur unproblematischen Anspruch auf Deutungshoheit im Kunst- und Designbereich.
LEMO
Die letztgenannten Angebote gibt es zudem nur auf Englisch. Wer neben der erwähnten Europeana attraktive deutschsprachige Online-Präsentationen sucht, wird beim «Lebendigen Museum der Moderne» fündig. Das übersichtlich strukturierte und inzwischen meistbesuchte deutschsprachige Geschichtsportal besteht seit 20 Jahren und findet sich auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums Berlin. Es bietet sachkundige, mit Sammlungsbeständen aus dem Museum, dem Bundesarchiv und dem Bonner Haus der Geschichte illustrierte Texte ebenso wie passende Videos und Tondokumente. Auch hier werden Zeitzeugen-Berichte gesammelt und online gestellt. Entsprechend dem Bildungsauftrag werden neuerdings aktuelle Themen von gesellschaftlicher Bedeutung aufgegriffen. Den Anfang macht «Demokratie und Diktatur».
Es gibt weitere Beispiele, die sich relativ leicht finden lassen – und von denen einige zeigen, dass sich hier offenbar ein neues Geschäftsmodell entwickelt. In diesen Kontext gehört das globale, nicht ganz unumstrittene Google-Kulturprojekt. Instagram ist dagegen immer noch eher die Experimentierecke für Bilderblogs aller Art, etwa auch von Künstlerinnen wie Cindy Sherman (@cindysherman) oder Fotografen wie Martin Parr (@martinparrstudio) und Stephen Shore (@stephen.shore). Aber hier verlassen wir das eigentliche Museumsterrain und landen zuletzt bei der Gretchenfrage für Museumsleute: Wie bringt man die nachkommende Generation der «digital natives», die permanent an den «Devices» hängt, künftig ins Museum? Klar ist mittlerweile: Ohne gut gemachte digitale Inhalte geht das wohl kaum. Und gut gemacht heisst: Sie (ver)führen schliesslich dazu, dass man früher oder später doch wieder die Begegnung mit den realen Objekten im Museumsraum sucht.
PS: Besonders gefreut hat uns, dass wir bei unserer Surftour Bekanntschaft mit den langjährigen Museumseulen des Smithsonian gemacht haben. Sie tragen die Namen «Increase» and «Diffusion», getreu dem Auftrag des Stifters der Institution, der «Zugewinn» und «Ausbreitung» des Wissens vorsah. We couldn’t agree more.