Meisterstück am Matterhorn
Es gab eine Zeit vor dem Handy, eine Zeit, in der Pressefotografen die Augen einer ganzen Nation waren. Viele ihrer Bilder sind heute in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel das entrückte Foto von Walter Bonatti nach seiner Solo-Wintererstdurchsteigung der Matterhorn-Nordwand.
Es ist, als ob sie ihren Augen nicht trauen würden. Ist er es? Ist Walter Bonatti wirklich hier, zurück im Tal? Prüfende Blicke rücken ihn in den Mittelpunkt. Eine Farbfotografie würde seine Mütze rot wiedergeben, die Skibrille gelb, die Jacke – sein Markenzeichen – blau. Das Schwarz-Weiss-Bild aber zeigt eine helle Erscheinung inmitten von Dunkelgekleideten. Links und rechts fallen gewellte Haare auf, Pelzkragen, eine Krawatte. Im Hintergrund dominiert das Bergmassiv mit den beiden Hütten, das Sonnenlicht befindet sich – oben rechts gerade noch eingefangen – auf dem Rückzug.
Der Mann im Fokus hat soeben Geschichte geschrieben. Nicht zum ersten Mal. Der begabte und erfolgreiche italienische Bergsteiger wurde durch zahlreiche Erstbesteigungen und Neurouten bekannt. 1954 war Walter Bonatti bei der K2-Erstbesteigung mit dabei, dem Hauptereignis des italienischen Alpinismus. Ein Skandal im Expeditions-Team brachte ihn um den Gipfelerfolg. Tief enttäuscht entschied er sich daraufhin des Öfteren, alleine unterwegs zu sein. Das war auch das Besondere an seinem neuesten Coup: 100 Jahre nach der Erstbesteigung des Matterhorns durch eine siebenköpfige Seilschaft rund um den Engländer Edward Whymper bezwang er dessen Nordwand 1965 auf einer neuen Route – wohlgemerkt im Winter und eben: alleine.
Zumindest für den Bruchteil des fotografischen Moments entsteht dann auch der Eindruck, als wäre Bonatti die Einsamkeit der Bergwelt angenehmer gewesen als das Bad in der Menge. Seine Arme sind leicht eingezogen, meiden den Kontakt. Ausdruck und Haltung kontrastieren den eigentlich dynamischen Bildaufbau des nach vorne, direkt auf die Betrachtenden zustrebenden Helden. Aus diesem Widerspruch zwischen Dynamik und Zurückhaltung entsteht eine fesselnde Entrücktheit. Schaut man das Bild lange an, könnte man für einen Moment sogar meinen, Bonatti laufe rückwärts. Wie bei einem Film, den man rückwärts spult.
Vielleicht liess Bonatti in diesem Moment nicht nur den mehrtägigen Aufstieg zur Matterhorn-Spitze Revue passieren, sondern seine gesamte Karriere. Denn die Rückkehr vom Schweizer Wahrzeichen war gleichbedeutend mit seinem Rücktritt vom Sport. Zumindest vom extremen Bergsteigen. Danach übernahm er das Metier desjenigen, dem er sich hier scheinbar nur zögernd nähert: er wurde Fotoreporter. Und Buchautor. In seiner zweiten Karriere ging es ihm darum, seine Erfahrungen und Emotionen zu teilen: Die Konfrontation mit der Natur – dem Berg – war ihm gleichbedeutend mit der Schulung des Charakters. Dieser übrigens wurde von seinen Zeitgenossen stets hervorgehoben: Gütig sei Walter Bonatti gewesen, ruhig und mutig.
Die Pressebildagentur ASL
Actualités Suisses Lausanne (ASL) wurde 1954 von Roland Schlaefli gegründet und galt bis zur Schliessung 1999 als wichtigste Westschweizer Pressebildagentur. 1973 übernahm Schlaefli zudem das Archiv der 1937 gegründeten Agentur Presse Diffusion Lausanne (PDL). Die Bestände der beiden Agenturen umfassen ungefähr sechs Millionen Bilder (Negative, Abzüge, Diapositive). Im breiten Themenspektrum lassen sich die Schwerpunkte Bundespolitik, Sport und Westschweiz ausmachen. Den Schritt ins digitale Zeitalter machte die Agentur nicht mehr mit. Seit 2007 befinden sich die Archive von ASL und PDL im Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums. Der Blog präsentiert in einer losen Abfolge Bilder und Bildserien, die bei der Aufarbeitung der Bestände besonders aufgefallen sind.