Jacques Piccard stellt das U-Boot «Mésoscaphe» in den Fabrikhallen der Giovanola Frères in Monthey dem Publikum vor.
Jacques Piccard stellt das U-Boot «Mésoscaphe» in den Fabrikhallen der Giovanola Frères in Monthey dem Publikum vor, 26.8.1963. Verkehrshaus der Schweiz

Das U‑Boot Auguste Piccard «Mésosca­phe»

Während es bei der Erforschung des Universums grosse Fortschritte gibt, schlummert ein Grossteil der Unterwasserwelt noch im Dunkeln. Wichtige Pionierarbeit zur Erforschung der Gewässer hat die Familie Piccard geleistet. Das U-Boot «Mésoscaphe» tauchte in die Tiefen des Genfersees und kam auf den Weltmeeren zum Einsatz. Die Ikone der Ingenieurskunst war eine der Hauptattraktionen an der Landesausstellung 1964 in Lausanne.

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher ist Historiker und Kurator im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern.

Pioniergeist und Abenteuerlust verbinden drei Generationen der Familie Piccard. Am bekanntesten ist wohl Bertrand Piccard, der 1999 als erster Mensch die Erde in einem Ballon ohne Halt umkreiste. Das Engagement für eine nachhaltige Welt unterstrich er 2015/16, indem er den blauen Planeten in einem Solarflugzeug umrundete. Bereits sein Grossvater Auguste Piccard (1884-1962) drang als erster Mensch in die Stratosphäre vor. Am 27. Mai 1931 stellte er an Bord des Ballons «FNRS-1» den Höhenrekord von 15'781 Metern auf. Der Aufstieg diente der Erforschung der Luftschichten über der Atmosphäre. Mit dem Ballonexperiment erbrachte er die Beweise für einen Teil der Relativitätstheorie seines Freundes Albert Einstein (1879-1955). Beide hatten an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich studiert. Auguste Piccard inspirierte den belgischen Comiczeichner Hergé (1907-1983) zur Figur «Professor Bienlein», den er jeweils mit wirrem Haar darstellte. In den 1930er-Jahren wandte sich Auguste Piccard der Tiefseeforschung zu. Er wendete das Prinzip des Stratosphärenballons auf die Tiefen des Ozeans an. Für die Bezeichnung der Tiefseetauchgeräte bediente er sich der griechischen Worte bathos (tief) und scaphos (Schiff) – «Bathyscaph». Am 23. Januar 1960 tauchte sein Sohn Jacques Piccard (1922-2008) mit dem US-amerikanischen Ozeanographen Don Walsh im U-Boot «Trieste» auf die Rekordtiefe von 10'916 Metern an einer Stelle des Marianengrabens.
Auguste (links) und Jacques Piccard posieren vor einem Modell der Tauchkugel Bathyscaphe, Mai 1960.
Auguste (links) und Jacques Piccard posieren vor einem Modell der Tauchkugel Bathyscaphe, Mai 1960. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Zeichnung des «Mésoscaphes» auf Tauchgang.
Zeichnung des «Mésoscaphes» auf Tauchgang. Verkehrshaus der Schweiz
Jacques Piccard begutachtet den Rohbau des Tauchboots, Mai 1963.
Jacques Piccard begutachtet den Rohbau des Tauchboots, Mai 1963. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Jacques Piccard im Cockpit des «Mésoscaphes», April 1964.
Jacques Piccard im Cockpit des «Mésoscaphes», April 1964. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Symbol der Expo 64

Nach seinem erfolgreichen Tauchgang befasste sich Jacques Piccard im Vorfeld der Expo 64 in Lausanne mit dem Bau des «Mésoscaphes», einem U-Boot für mittlere Tiefen. Im Februar 1963 begannen die Arbeiten in den Fabrikationshallen der Giovanola Frères in Monthey. Um die Einwasserung des U-Boots zu üben, wurde testweise eine alte Dampflokomotive über eine Schiene ins Wasser geführt. Am 27. Februar 1964 erfolgte die offizielle Einwasserung des 165 Tonnen schweren Kolosses in Le Bouveret unter den Augen der Medien und vor dem zahlreich herbeigeströmten Publikum. Ankerplatz des weltweit grössten touristischen U-Boots war der Hafen des Expogeländes in Lausanne. Neben dem nach seinem Ideengeber benannten «Auguste Piccard PX-8» unterstrich ein Tragflügelboot der Firma Supramar die Innovationskraft der Schweiz im Bereich der Wasserfahrzeuge. Das mit einem Elektromotor angetriebene «Mésoscaphe» führte von Juli bis Ende Oktober 1964 ungefähr 33'000 Passagieren während rund eintausend Tauchfahrten die Unterwasserwelt des Genfersees vor Augen. Neben den auf Monitoren gezeigten Bildern kommentierte jeweils eine Stewardess den Tauchgang. Trotz getrübter Unterwassersicht war es ein überwältigendes Gesamterlebnis. Bekanntheiten wie Walt Disney, eine der prägendsten Persönlichkeiten der Filmbranche im 20. Jahrhundert, liessen sich eine Fahrt in diesem einzigartigen Tauchgefährt nicht entgehen. Weitere aussergewöhnliche Gäste waren Gaukler des Nationalzirkus Knie, welche zwei Schimpansen mit an Bord nahmen. Der 28,5 Meter lange und 6,8 Meter breite Bootskörper bot ausserdem genügend Platz für die Durchführung einer Modeshow von «Madame TV», einem von 1962 bis 1971 ausgestrahlten Gesellschaftsmagazin der Television Suisse Romande (TSR). Ungeachtet des «Mésoscaphe»-Erfolgs hatte sich die Expoleitung mit dem Ideengeber Jacques Piccard im Vorfeld der Ausstellungseröffnung wegen seinem fehlenden Ingenieurspatent und Sicherheitsfragen entzweit. Infolgedessen wurde Piccard nicht einmal an die offizielle Eröffnungsfeier eingeladen. Für seinen Ausstellungsbesuch zu einem späteren Zeitpunkt bezahlte er ein gewöhnliches Eintrittsticket.
Das «Mésoscaphe» am Landesteg vor dem Expogelände.
Das «Mésoscaphe» am Landesteg vor dem Expogelände. Verkehrshaus der Schweiz
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Einwasserungstest mit einer Lokomotive Eb 3/5, deshalb auch «Locoscaphe» genannt.
Einwasserungstest mit einer Lokomotive Eb 3/5, deshalb auch «Locoscaphe» genannt. Die von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur hergestellte Eb 3/5 war auch unter dem Übernamen «Habersack» bekannt. SBB Historic
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Einwasserung des «Mésoscaphes» in Le Bouveret am Genfersee im Februar 1964, im Hintergrund das Dampfschiff «Montreux».
Einwasserung des «Mésoscaphes» in Le Bouveret am Genfersee im Februar 1964, im Hintergrund das Dampfschiff «Montreux». Verkehrshaus der Schweiz
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Artistinnen und Artisten des Nationalzirkus Knie betreten das aussergewöhnliche Wasserfahrzeug.
Artistinnen und Artisten des Nationalzirkus Knie betreten das aussergewöhnliche Wasserfahrzeug. Verkehrshaus der Schweiz
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Das «Mésoscaphe» auf Tauchgang im Genfersee, 8.7.1964.
Das «Mésoscaphe» auf Tauchgang im Genfersee, 8.7.1964. ETH-Bibliothek
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Der Innenraum des U-Boots mit den Fauteuils und den Bildschirmen.
Der Innenraum des U-Boots mit den Fauteuils und den Bildschirmen. Bertrand Piccard
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Das «Mésoscaphe» im Hafen an der Expo 64 in Lausanne.
Das «Mésoscaphe» im Hafen an der Expo 64 in Lausanne. Wikimedia / Anidaat
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Das «Mésoscaphe» ist die Besucherattraktion der Expo 64. SRF

Abenteuer und Schatz­su­che in Amerika

Nach der Expo 64 blieb lange ungewiss, was mit dem «Mésoscaphe» geschehen sollte. 1966 wurde es nach Marseille transportiert, wo es vorübergehend touristischen Zwecken diente. 1969 kaufte es die «Horton Maritime Explorations» in Chicago und funktionierte es zu einem Forschungsboot um. Das Aussehen und die Funktionsweisen des U-Boots veränderten sich mehrmals in den 1970er- und 1980er-Jahren: Es wurde mit einem neuen Kiosk und zwei Dieselmotoren ausgestattet, rot bemalt, von einem Hurrikan beschädigt, repariert und an verschiedenen Orten zwischen den USA und Kolumbien eingesetzt. Weil im Kontext des Kalten Krieges in den USA nur militärische U-Boote zugelassen waren, musste es 1978 von San Diego nach Vancouver an der Wasseroberfläche fahren und mit einem Windsegel ausgestattet werden. Die skurrilste Aufgabe wartete 1981 auf das weltweit grösste nicht-militärische U-Boot: Eine Expeditionsfirma mietete es in Kolumbien, um nach dem Wrack der 1708 von einer englischen Flotte versenkten spanischen Galeone «San José» zu suchen. Die Galeone transportierte damals Reichtümer für die spanische Krone – ein Schatz, der auf einen Wert von 5 bis 17 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Seit das U-Boot 1982 das Schiffswrack gefunden hatte, entbrannten wegen der erhobenen Besitzansprüche juristische Streitigkeiten zwischen den Parteien. Der Schatz verbleibt bis heute auf dem Meeresgrund.
Ölgemälde von Samuel Scott (1702–1772), das die Explosion der «San José» darstellt.
Ölgemälde von Samuel Scott (1702–1772), das die Explosion der «San José» darstellt. National Maritime Museum
Das von Zeit und Witterungseinflüssen gezeichnete «Mésoscaphe» 1983 in Galveston/Texas.
Das von Zeit und Witterungseinflüssen gezeichnete «Mésoscaphe» 1983 in Galveston/Texas. Horace Horton

Augenblick und Ewigkeit

Eine 1995 gebildete Vereinigung setzte sich für die Erhaltung des legendären U-Boots ein. Vier Jahre später wurde der 165 Tonnen schwere Stahlkoloss an Bord eines Containerschiffs nach Europa überführt und gelangte via Rhone zurück in die Schweiz. An der Expo.02 tauchte das von Rost zerfressene U-Boot in Murten erneut auf, wo es auf dem Arteplage «Augenblick und Ewigkeit» zum Symbol für die Vergänglichkeit wurde. 2005 erfolgte der Transport ins Verkehrshaus der Schweiz in Luzern. Nach neun Jahren Restaurierungsarbeiten wurde es dort der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und bleibt hoffentlich für die Ewigkeit erhalten.
Das U-Boot auf dem Arteplage in Murten gegenüber dem Monolithen von Jean Nouvel.
Das U-Boot auf dem Arteplage in Murten gegenüber dem Monolithen von Jean Nouvel. Verkehrshaus der Schweiz. Foto: Claudia Hermann
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Das «Mésoscaphe» im Kleid der Expo 64 im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern anlässlich der Vernissage im Jahr 2014.
Das «Mésoscaphe» im Kleid der Expo 64 im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern anlässlich der Vernissage im Jahr 2014. Verkehrshaus der Schweiz
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