
Spion Lucie
Rudolf Rössler war ein introvertierter Literat, der in Luzern einen Verlag leitete. Gleichzeitig versorgte er die Sowjets mit brisanten Informationen aus dem Führerhauptquartier. Die Geschichte des Meisterspions Lucie.



1939 erhält Rudolf Rössler Besuch von zwei jungen deutschen Generalstabs-Offizieren. Sie berichten ihm vom bevorstehenden Überfall auf Polen. Rössler hört ihnen zu, sie vertrauen sich ihm an: «Wir geben dir alle Informationen über militärische Operationen. Wir betrachten dich als unser Gewissen. Tu mit den Informationen, was du willst. Hitler muss den Krieg verlieren», erinnert sich Rössler später. In der Folge ringt er sich dazu durch, als Agent gegen Hitler-Deutschland zu arbeiten – allerdings zunächst nur für den Schweizer Nachrichtendienst (ND). Dieser war zu Beginn des Krieges weder an Spionage noch an Nachrichten interessiert und von seinem Chef, Oberstleutnant Masson, eher stiefmütterlich behandelt, was dazu führte, dass sich ein junger patriotischer Offizier namens Hans Hausamann der militärischen Nachrichtenbeschaffung annahm und teils mit eigenen Mitteln einen Dienst aufbaute, der am Rand der militärischen Hierarchie weit effizienter agieren konnte.


Dora, Rosa, Maud, Eduard und Jim
In Lausanne gehen auch die Aufträge an Lucie ein. Am 9. November 1942 beispielsweise: Wo befinden sich die rückwärtigen Abwehrstellungen der Deutschen auf der Linie südwestlich Stalingrads und entlang des Dons? Am 16. Februar 1943: Sofort durch Lucie erfahren, ob Wjasma und Rschew evakuiert werden. Am 22. Februar 1943: Sofort Pläne des OKW betreffend Kommando Kluge feststellen. Am 9. April 1943: Welche Operationen bereitet das OKW im Frühling und Sommer 1943 vor, wo, mit welchen Zielen und mit welchen Kräften, welche Armeen?

Von «Werther» wie von «Olga», von «Teddy» wie von «Anna» und etwa 200 weiteren [in Deutschland platzierten] Agenten liefen die Fäden zu «Lucie» in Luzern und «Dora» in Genf. Dort wurden die Nachrichten aus dem Deutschen Reich und seinen Stäben gesammelt. «Lucie» und «Dora» wussten en Gros und en Detail mehr über die deutschen Armeen als irgendein einzelner deutscher General.

Dort sollte der nach wie vor unscheinbare Mann auch weiterhin bleiben. Gemeinsam mit seinem Lebensfreund Xaver Schnieper, Linkskatholik und damals noch Mitglied der Partei der Arbeit kundschaftete er im Auftrag des tschechischen Geheimdiensts in den ersten Jahren des Kalten Krieges militärische Geheimnisse in der Bundesrepublik aus. Das ging nicht lange gut. Am 5. November 1953 verurteilte ihn das Bundesstrafgericht zu zwölf, Schnieper zu neun Monaten Gefängnis. In der Urteilsbegründung bescheinigt das Gericht dem deutschen Emigranten Rössler immerhin, dass er der Schweiz wesentliche Dienste erwiesen habe.

TV-Dokumentation über Rudolf Rössler und Xaver Schnieper, 1998. SRF