
Unpolitisch politischer Empfang
Der Schweizer Bundespräsident lädt jedes Jahr das ausländische diplomatische Corps in Bern zum Neujahrsempfang ein. Dieser rein zeremonielle Anlass wurde gerade im Kalten Krieg für das Übermitteln politischer Botschaften instrumentalisiert.
Doch so konsistent wie der Anlass auf den ersten Blick wirkt, ist er nicht. Noch bis 1952 konnten sich die Missionschefs am Neujahrstag gänzlich dereguliert zu einer beliebigen Zeit im Bundeshaus einfinden, um mit dem Bundespräsidenten Glückwünsche auszutauschen. Nur während des Zweiten Weltkriegs wurden die Diplomaten in «zwei feindliche Gruppen» getrennt, «die eine Begegnung zu vermeiden versuchten», wie die NZZ am 3. Januar 1946 berichtete. Nach dem Krieg zeigte sich dann ein Bedürfnis nach einer geordneten Reihenfolge, um ein Gedränge im Vorzimmer des Bundesratszimmers zu vermeiden. «Eine ordre de présance muss unbedingt eingeführt werden», drängte 1946 Protokollchef Jacques-Albert Cuttat, der für die Organisation des Anlasses als Vorsteher des eidgenössischen Protokolldienstes verantwortlich war. Dies geschah dann sechs Jahre später und die Missionschefs durften sich neu gemäss dem Anciennitätsprinzip beim Bundespräsidenten einfinden.


Der unsichtbare Dienst – Geschichte des diplomatischen Protokolls der Schweiz 1946-1990
Der Neujahrsempfang für das diplomatische Corps ist ein zeremonieller Anlass, der durch den Protokolldienst der Eidgenossenschaft organisiert wird. Über die Geschichte dieses Dienstes, der für die Einhaltung des diplomatischen Protokolls in der Schweiz verantwortlich ist, wurde im Mai 2021 in der Reihe Quaderni di Dodis der Band «Der unsichtbare Dienst» von Jonas Hirschi veröffentlicht. Weitere Informationen und Download unter dodis.ch/q18.
Protokollchef Hansjakob Kaufmann erklärte, dass die Platzierung nicht aus einem Missgeschick resultierte, sondern unter strikter Einhaltung der «ordre de préséance» erfolgte, dennoch versprach er «une solution pratique» zu finden. Wohl ohne Erfolg, blieb doch gemäss Präsenzliste der katarische Botschafter an den drei Empfängen fern. Er nahm erst 1984 wieder am Neujahrsempfang teil, als der neue israelische Vertreter in der Rangfolge nach hinten rutschte und zwischen den Botschaftern aus Zaire und Ecuador Platz nehmen musste, während sich der katarische Missionschef nun zwischen den Diplomaten der DDR und Dänemark einfand.
Gemeinsame Recherche
Der vorliegende Text ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum (SNM) und der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Das SNM recherchiert im Archiv der Actualités Suisses Lausanne (ASL) Bilder zur schweizerischen Aussenpolitik und Dodis kontextualisiert diese Fotografien anhand des amtlichen Quellenmaterials. Die Akten zum Jahr 1991 wurden am 1. Januar 2022 auf der Internetdatenbank Dodis publiziert. Die im Text zitierten Dokumente und Bilder sind online verfügbar: dodis.ch/C1983.


