Jakob Ziegler-Pellis, gemalt von Hans Conrad Hitz, 1837.
Jakob Ziegler-Pellis, gemalt von Hans Conrad Hitz, 1837. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Depositum der Sturzenegger-Stiftung

Industrie­pio­nier und Selfmademan

Der Winterthurer Jakob Ziegler (1775–1863) zählt zu den bemerkenswerten Industriepionieren der Schweiz und ist für die Industriegeschichte der Region Schaffhausen von grosser kulturhistorischer Bedeutung.

Daniel Grütter

Daniel Grütter

Daniel Grütter ist Historiker und Kurator beim Museum zu Allerheiligen Schaffhausen.

1828 pachtete Jakob Ziegler in Schaffhausen die in finanzielle Schieflage geratene städtische Ziegelhütte und errichtete in der Folge am Schaffhauser und Zürcher Rheinufer Fabrikgebäude sowie Anlagen zur Nutzung der Wasserkraft. Die daraus entstandene Tonwarenfabrik Ziegler AG gehörte bis 1973 zu den bedeutendsten Unternehmen der schweizerischen Keramik- und Tonwarenindustrie. Geboren am 23. Juli 1775 in Winterthur als Sohn des Johann Heinrich Ziegler (1738–1818) und der Verena Biedermann (1734–1801), wuchs Jakob gemeinsam mit zwei Schwestern in einer begüterten und angesehenen Familie der Winterthurer Oberschicht auf. Sein Vater gehörte zu den schillernden Persönlichkeiten der Gesellschaft. Als Universalgelehrter wirkte er unter anderem als Theologe, Arzt, Chemiker und Unternehmer. So zählte er 1778 zu den Mitgründern der ersten chemischen Fabrik der Schweiz, dem Laboratorium in Winterthur-Neuwiesen. Über die Ausbildung Jakob Zieglers ist wenig bekannt, neben dem Besuch der öffentlichen Schule erhielt er Privatunterricht. Erste berufliche Erfahrungen sammelte er in den väterlichen Unternehmungen. In den 1790er-Jahren studierte er vermutlich bei Henri Struve in Lausanne Chemie. Er engagierte sich im Musikleben seiner Heimatstadt, wurde 1801 zum Mitglied der Correspondierenden Gesellschaft Schweizer Ärzte und Wundärzte sowie zum ausserordentlichen Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft Zürich ernannt. Auch in der Schul-, Stadt-, und Gewerbepolitik war er aktiv und ab 1814 Mitglied des Zürcher Kantonsrats. Beruflich widmete sich Jakob, neben der Mitarbeit in den väterlichen Betrieben, seit 1797 der Herstellung und dem Vertrieb von Mineralwasser. Als grosse Herausforderung erwies sich dabei die Bereitstellung von Glasflaschen und Keramikrügen für deren Abfüllung. Der Vertrieb erfolgte sowohl über den lokalen Direktverkauf als auch über Vertretungen. 1801 sind solche Verkaufsstellen in den Städten Aarau, Bern, Burgdorf, Konstanz, Lindau, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Winterthur und Zürich belegt. Jakob Ziegler wagte auch den Sprung ins Ausland: 1824 eröffnete er gemeinsam mit dem französischen Unternehmer Bonjour ein entsprechendes Unternehmen in Paris, welches bis in die 1830er-Jahre florierte. Die von seinem Vater angelegte naturwissenschaftliche Sammlung wuchs durch ihn kontinuierlich an. Jakob liess sein Wohnhaus Oberer Steinberg in Winterthur um ein Stockwerk erhöhen und machte dort ab 1823 die präparierten Vögel, Mineralien, Fossilien und physikalischen Instrumente der Öffentlichkeit unentgeltlich zugänglich. Jakob heiratete dreimal. 1798 schloss er die Ehe mit Elisabeth Hegner (1780–1800), der Tochter des Winterthurer Schultheissen. Nach deren frühen Tod heiratete er 1801 Ludovika Steiner (1780–1836) und nannte sich nun Ziegler-Steiner. In dritter Ehe vermählte er sich 1839 mit Fanny Pellis (1796–1862), sein Familienname lautete nun Ziegler-Pellis.
«Rheinfels. Fabrique de tuyaux de grès près de Schaffhouse», Emanuel Labhardt (1810–1874) zugeschrieben, um 1845.
«Rheinfels. Fabrique de tuyaux de grès près de Schaffhouse», Emanuel Labhardt (1810–1874) zugeschrieben, um 1845. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Depositum der Sturzenegger-Stiftung

Der Sprung nach Schaffhausen

Die unternehmerische Expansion nach Schaffhausen war von Ziegler wohl überlegt. So lässt sich sein erstes industrielles Engagement in der Munotstadt weit in die Zeit vor der Pacht der Ziegelhütte zurückverfolgen. Bereits 1818 hatte er der hiesigen mechanischen Baumwollspinnerei ein Darlehen gewährt und Geschäftsbeziehungen zum Vorpächter der Ziegelhütte aufgenommen. Mit Interesse verfolgte Ziegler dessen Experimente zur Herstellung von hydraulischem Kalk, tönernen Leitungsrohren, chemischen Gefässen und Kochgeschirr. Die topografischen und baulichen Verhältnisse im Industriequartier Mühlenen setzten den unternehmerischen Plänen des Firmengründers Ziegler enge Grenzen. 1831 expandierte er ans gegenüberliegende zürcherische Rheinufer und erstellte auf Flurlinger Boden einen Gebäudekomplex mit eigenem Wasserkanal und Kraftwerk. Eine Fährverbindung stellte den Waren- und Personenverkehr zwischen beiden Fabrikationsstätten sicher, 1860 liess er diese dann durch einen Holzsteg miteinander verbinden.
«Tonwarenfabrik Ziegler Pellis», Aquarell von Emanuel Labhardt, 1861.
«Tonwarenfabrik Ziegler Pellis», Aquarell von Emanuel Labhardt, 1861. Schweizerische Eidgenossenschaft / Gottfried Keller-Stiftung
Besonderes Augenmerk schenkte Jakob Ziegler der Entwicklung, Produktion und Vermarktung von maschinell gepressten und hartgebrannten Leitungsrohren. Begünstigt durch die Einführung einer modernen Wasserversorgung und Kanalisation verdrängten die Tonrohre langsam die alten, hölzernen Teuchelleitungen.
Tonröhren aus Terrakotta.
Tonröhren aus Terrakotta. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Ziegler fügte seinem Betrieb die verschiedensten Geschäftszweige hinzu. So ist die Herstellung von Bleistiften, der Betrieb einer Furniersäge, einer Ölmühle, einer Torfpresse, einer Getreidemühle, einer Pulvermühle sowie eines Kalkbrennofens samt Kalkmühle zur Herstellung von Kreide überliefert. 1836 betrieb er gar für drei Jahre eine Baumwollspinnerei mit 50 Webstühlen. Um 1838 begann Zieglers Kooperation mit dem Schaffhauser Bildhauer Johann Jakob Oechslin (1802–1873), der für ihn herausragende Arbeiten in Terrakotta schuf. Für einen achteckigen, mehr als einen Meter hohen prunkvollen Taufstein in neugotischem Stil erhielt die Firma 1851 an der ersten Weltausstellung in London bewundernde Anerkennung. Auch Jakob Ziegler-Pellis selbst liess sich von ihm in Ton verewigen.
Taufstein aus der Produktion der Ziegler’schen Tonwarenfabrik, Reproduktion aus dem Katalog der Londoner Weltausstellung von 1851.
Taufstein aus der Produktion der Ziegler’schen Tonwarenfabrik, Reproduktion aus dem Katalog der Londoner Weltausstellung von 1851. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Medaillon aus Terrakotta mit Porträtbüste des Firmengründers Jakob Ziegler, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1846.
Medaillon aus Terrakotta mit Porträtbüste des Firmengründers Jakob Ziegler, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1846. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Oechslin gestaltete Medaillons, Porträtbüsten und Skulpturen berühmter in- und ausländischer Persönlichkeiten. Neben Themen der alten Schweizergeschichte, etwa einem grossformatigen Rütlischwur, erscheinen vor allem Vertreter des liberalen Gedankenguts aus Kultur und Politik. Mit der Motivwahl seiner Keramiken trug Zieglers Tonwarenfabrik zur Heroisierung der eidgenössischen Vergangenheit und zur Herausbildung einer nationalen Identität bei.
Rütlischwur aus Terrakotta, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1846.
Rütlischwur aus Terrakotta, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1846. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
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Büste aus Gips und Goldbronze von General Guillaume-Henri Dufour, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1848.
Büste aus Gips und Goldbronze von General Guillaume-Henri Dufour, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, 1848. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
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Briefbeschwerer aus Terrakotta mit der Figur des gefallenen Winkelried, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, um 1848.
Briefbeschwerer aus Terrakotta mit der Figur des gefallenen Winkelried, geschaffen von Johann Jakob Oechslin, um 1848. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
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Spekta­ku­lä­rer Gerichtsfall

Im August 1862 füllte die Berichterstattung über einen Prozess gegen den 87-jährigen Jakob Ziegler-Pellis die deutschsprachigen Zeitungsblätter. Bei der Pulverherstellung in der Küche seines Winterthurer Wohnhauses ereignete sich am 17. Juli 1862 ein Explosionsunglück, bei dem die Magd Salomea Grübler aus Veltheim ums Leben kam. Er wurde daraufhin wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe und 250 Franken Busse verurteilt. Bereits 1857 war in seinem Flurlinger Betrieb bei einem seiner Pulverfabrikationsversuchen ein Arbeiter verstorben und der Erfinder mit einem Produktionsverbot belegt worden – an welches er sich offensichtlich nicht gehalten hatte. Noch vor dem Strafantritt starb Ziegler am 18. Januar 1863.
In der Beilage «Unterhaltendes und Belehrendes» des Münchner Volksfreunds wurde ausführlich über die unrühmliche Verurteilung des Gründers der Ziegler'schen Tonwarenfabrik berichtet.
In der Beilage «Unterhaltendes und Belehrendes» des Münchner Volksfreunds wurde ausführlich über die unrühmliche Verurteilung des Gründers der Ziegler'schen Tonwarenfabrik berichtet. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
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Inhalt des Zeitungsartikels als Audiodatei. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen

De mortuis nil nisi bene

Dem Grundsatz «Berichte nichts als Gutes von den Toten» folgend, informierte die Neue Zürcher Zeitung am 21. Januar 1863 über den Tod von Ziegler-Pellis. Das Explosionsunglück und der anschliessende Prozess hatten seine letzten Lebensmonate und sein Ansehen überschattet. Doch diese unrühmliche Episode vermochte seine unternehmerischen Leistungen nicht zu schmälern. So war seinem Wunsch «aus einer gewöhnlichen Ziegelhütte eine Thonwaarenfabrik herzustellen, welche dem Vaterland im Allgemeinen und dem Canton Schaffhausen im Besondern zur Ehre gereichen würde» nachhaltiger Erfolg beschieden. Ihm und seinen Nachkommen gelang es, über fünf Generationen hinweg am Standort Schaffhausen qualitativ hochstehende Keramiken, vornehmlich aus Steingut, zu produzieren. Das zwischen 1828 und 1973 von der Tonwarenfabrik Ziegler angebotene Warensortiment veranschaulicht eindrücklich die technologischen und formalen Entwicklungen innerhalb der europäischen Keramikproduktion.
Jakob Ziegler-Pellis mit seinen Enkelkindern (von links): Anna Ziegler, Gertrud Hasler, Henry Ziegler und Leonie Ernst, um 1861.
Jakob Ziegler-Pellis mit seinen Enkelkindern (von links): Anna Ziegler, Gertrud Hasler, Henry Ziegler und Leonie Ernst, um 1861. Winterthurer Bibliotheken, Sammlung Winterthur

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