
Von Mönchen und Monstern: Die Schaffhauser Vita Sancti Columbae
In der Stadtbibliothek Schaffhausen befindet sich eine 1300 Jahre alte Handschrift von grösster Bedeutung: Die irisch-schottische Heiligenvita des Columba von Iona gibt Einblick in eine Epoche, aus der wenig bekannt ist. Sie enthält ausserdem den ältesten Bericht von einem Ungeheuer im Loch Ness.
Zunächst aber zu den äusseren Merkmalen des Codex: Er hat mit 29 x 22,5 cm ungefähr A4-Format und wurde auf 71 Pergamentblättern geschrieben, die aus den Häuten von Kälbern (Vellum) produziert wurden. Das Buch wurde zuletzt im Jahr 1941 neu gebunden. Der Kopist, der sich im Kolophon selbst als Dorbbéne nennt, verwendet die irische Halbunziale, eine rundliche Schrift, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts entwickelt wurde. Gleichzeitig sind bereits Elemente der späteren insularen Minuskel erkennbar, nämlich die Verbindungen (Ligaturen) zwischen einzelnen Buchstaben und die für irische Handschriften charakteristische Verwendung von platzsparenden Abkürzungen für Wörter oder Wortteile. Eine weitere Innovation ist die Verwendung von Wortabständen, die um diese Zeit zur besseren Lesbarkeit von den irischen Schreibern eingeführt wurde, da für sie Latein eine Fremdsprache war. Somit ist die Vita ein wichtiger, weil datierbarer Meilenstein in der Entwicklung zur späteren karolingischen Schrift.
Columba kann Stürme vorhersagen und weiss, ob Reisende wohlbehalten ankommen werden – eine nützliche Gabe in der Inselwelt des Nordatlantik, wo das Wetter schnell umschlägt und die kleinen lederbezogenen Curragh-Boote der Mönche leicht von einem Strudel verschlungen werden können. In einer schönen Episode prophezeit er die Ankunft eines erschöpften und ausgehungerten Gastes: Ein Reiher ist über der Irischen See wegen eines Sturmes vom Kurs abgekommen. Der Vogel lässt sich drei Tage lang von den Brüdern hochpäppeln, bevor er wieder in «den lieblichen Teil Irlands» zurückkehrt, aus dem auch Columba stammt.
Besonders bemerkenswert ist seine Begegnung mit einem Wassermonster («aquatilis bestia»): Als der Heilige und seine Gefährten am Ufer des Flusses Ness vorbeikommen, wird gerade ein Mann beerdigt, der kurz zuvor dem Angriff der Bestie zum Opfer gefallen ist. Das Seeungeheuer – «dessen Appetit nicht gestillt, sondern nur angeregt worden war» – taucht wieder auf und will Columba verschlingen. Doch mit dem Zeichen des Kreuzes befiehlt er dem Untier, zurückzuweichen, was dieses zum Erstaunen der anwesenden Pikten auch tut. Somit enthält die Handschrift von Schaffhausen die erste schriftlich erwähnte Sichtung eines Ungeheuers am Loch Ness.
Ungeklärt ist bisher, wie das Buch von den Inneren Hebriden nach Schaffhausen kam. Als Iona im Jahr 795 und dann in den folgenden Jahrzehnten immer wieder von Wikingern überfallen wurde, zogen viele Mönche auf den Kontinent und brachten ihre Manuskripte, ihre Buchmalkunst und ihre lateinische Gelehrsamkeit in den Bodenseeraum, wo schon 200 Jahre zuvor die irischen Wandermönche Gallus und Columban der Jüngere aktiv gewesen waren. Vermutlich gelangte die Vita Sancti Columbae in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in diese Region.
Auf e-codices.unifr.ch können Sie selber im Digitalisat der Vita Sancti Columbae von Schaffhausen blättern.


