
Die Nelkenrevolution
Im April 1974 brach in Portugal eine der ältesten Diktaturen Europas zusammen. In der Schweiz machte man sich Sorgen um die Zukunft Portugals. Auch wegen des fragilen politischen Gleichgewichts in Südeuropa.
Am 25. April ging die MFA in Lissabon auf die Strasse, um die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Ihr folgten schnell die Zivilisten, die friedlich demonstrieren. Der Estado Novo brach innerhalb weniger Stunden zusammen. «Es dauerte nur 15 Stunden, bis ein Regime, das kurz vor seinem halben Jahrhundert stand, zusammenbrach, ohne dass ein Schuss gefallen war», berichtete der Schweizer Botschafter in Lissabon, Jean-Louis Pahud.
In der Menge beschloss die Kellnerin eines Restaurants, die Gewehre der Militärs mit roten Nelken zu schmücken, und gab der Revolution damit unwissentlich ihren Namen. Spínola, der kurzzeitige Präsident wurde, liess die politischen Gefangenen frei. Dabei handelte es sich grösstenteils um linke Aktivisten, die von António de Oliveira Salazar inhaftiert worden waren. Diese trugen dazu bei, dass die MFA vom Protest gegen den Krieg zu einer echten sozialen Revolution überging.
TV-Doku über die Nelkenrevolution in Portugal. YouTube
Pulverfass Südeuropa
Es sei daran erinnert, dass Italien 1974 das einzige dieser Länder war, das nicht von einer autoritären Regierung geführt wurde, obwohl es von den schweren Spannungen der «bleiernen Jahre» geprägt war. In Spanien war das Franco-Regime trotz Francos besorgniserregendem Gesundheitszustand und den daraus resultierenden Fragen über den Fortbestand des Regimes noch immer im Amt. In Griechenland hielt die Diktatur der Obersten noch einige Monate lang die Macht in ihren Händen. Im Sommer 1974 beendeten die Zypernkrise, die türkische Invasion im Norden der Insel und die barbarische Unterdrückung friedlicher Demonstranten durch das griechische Regime schliesslich die Junta. Insgesamt bestand also die Gefahr, dass ganz Südeuropa in Bürgerkriege verwickelt wurde.
 Angst vor linkem Regime
Der Schweizer Botschafter in Lissabon berichtete in einem heute oft surreal anmutenden Stil über alle – tatsächlichen oder vermeintlichen – Untaten und Machenschaften linker Organisationen und zeichnet sie stets mit den schlimmsten Absichten bewaffnet. Als General Spínola aus dem Amt gedrängt wurde und in die Schweiz flüchtete, wurde er beschuldigt, dort Waffen kaufen zu wollen. Der Schweizer Botschafter verkündete zunächst aus Lissabon, dass es sich wahrscheinlich um einen Coup der kommunistischen Presse handele, um die Armee zu diskreditieren. Doch einige Tage später deckte der deutsche Stern die Sache auf: Der General hatte tatsächlich Kontakt zu einer vermeintlich rechtsradikalen bewaffneten Gruppe aufgenommen, um Waffen und Munition zu kaufen.
 Gemeinsame Recherche

Der vorliegende Text ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum (SNM) und dem Forschungszentrum für diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Der 50. Jahrestag der Nelkenrevolution war Anlass für mehrere Veröffentlichungen und historische Ereignisse, die zu diesem Text inspiriert haben. Die auf Dodis zugänglichen Dokumente sind online verfügbar.
 

