Die Schweizer Fussballnationalmannschaft der Frauen kämpft teilweise bis heute um Akzeptanz und Publikum.
Die Schweizer Fussballnationalmannschaft der Frauen kämpft teilweise bis heute um Akzeptanz und Publikum. Wikimedia

Die Geschich­te der Frauennati

Seit 1970 entwickelte sich das Nationalteam der Frauen enorm. Der Fussball ist physischer, dynamischer und taktisch ausgefeilter geworden. Um die Akzeptanz musste die Nati allerdings lange kämpfen.

Michael Jucker

Michael Jucker

Michael Jucker ist Sporthistoriker, Leiter von Swiss Sports History und Co-Leiter des FCZ-Museums.

Das Fussball-Nationalteam der Frauen besteht seit 1970. Im selben Jahr wird eine Liga gegründet. Die Anfänge sind hart und steinig. Die Spielerinnen kämpfen gegen Vorurteile und Widerstände. Viele Männer, auch im Verband, sind anfänglich kritisch eingestellt, andere hingegen fördern sie. Das erste inoffizielle Spiel der Schweizerinnen findet 1970 auf der «Breite» in Schaffhausen gegen Österreich statt. Immerhin ein Stadion, in dem auch schon Nationalliga-A-Spiele gespielt worden sind. Allerdings ist es nicht mehr im besten Zustand. Das Nationalteam gewinnt deutlich vor zahlreichem Publikum mit 9:0 gegen ein zusammengewürfeltes Team aus Österreich. Das erste von der FIFA und dem Schweizer Fussballverband anerkannte Länderspiel wird jedoch erst 1972 in Basel gegen Frankreich ausgetragen und endet 2:2. Es herrscht eine anfänglich grosse mediale Aufmerksamkeit, der Frauenfussball ist neu und eine Sensation: Das Fernsehen und die Zeitungen berichten mit häufig misogynen Kommentaren und Geringschätzung. Entsprechend nimmt die Begeisterung rasch wieder ab.
Bericht über das erste Länderspiel der Frauennati in Schaffhausen. YouTube
Fotos von Zusammenzügen des Nationalteams sind damals noch keine öffentlich verbreiteten Pressefotografien. Aufnahmen, die bis heute überliefert sind und mehrheitlich im Archiv des FCZ Museums gelagert sind, stammen aus dem privaten Besitz von Spielerinnen. Das Zusammensein macht den Spielerinnen sichtlich Spass. Damals wie heute kommen sie aus der ganzen Schweiz. Beim Zusammenzug 1975 in Basel trifft man auf die FCB-Legende Karli Odermatt. Leider bringt er den Schweizerinnen kein Glück – sie verlieren gegen das Geburtsland des Fussballs England mit 1:3.
Die Schweizer Frauennati traf 1975 Karl Odermatt, zu dieser Zeit einer der besten Fussballer des Landes.
Die Schweizer Frauennati traf 1975 Karl Odermatt, zu dieser Zeit einer der besten Fussballer des Landes. FCZ Museum
Fotografien geben immer auch Hinweise auf den Wandel der Sportkleidung und der Mode. Die Trainingsanzüge und die Trikots sind mal mit breitem Kragen, mal eng, mal weit geschnitten. Beim Match gegen Österreich in Schaffhausen werden die Frauen mit verwaschenen Trikots von Junioren ausgerüstet, was die Spielerinnen zu Recht als beschämend empfinden. Zur Zeit der Gründung der Liga 1970 überlegen sich die Verbandsfunktionäre Eisen-BHs einzuführen, weil die Abnahme der Bälle mit der Brust angeblich Brustkrebs auslösen würde. Glücklicherweise bleibt dieses Vorhaben Makulatur. Die Sportkleidung bleibt lange männlich dominiert. Bis vor kurzem gab es für Frauen keine spezifischen Fussballschuhe und -hosen — sie mussten einfach Herren- oder Kindergrössen tragen. Mittlerweile hat sich das zum Glück geändert: Die Trikots und Hosen sind auf Frauen zugeschnitten. Auch beim Schuhwerk machen die Sportartikelhersteller seit rund fünf Jahren langsame Fortschritte in die richtige Richtung.
Die Schweizer Fussballerinnen mussten lange Zeit mit Trikot von Junioren vorliebnehmen. Wie hier beim ersten Länderspiel 1970 in Schaffhausen.
Die Schweizer Fussballerinnen mussten lange Zeit mit Trikot von Junioren vorliebnehmen. Wie hier beim ersten Länderspiel 1970 in Schaffhausen. Keystone / STR
Sportlich verlief die Entwicklung nicht immer wie gewünscht. Während man in den 1970ern mit anderen Nationen noch einigermassen mithalten kann, wandelt sich dies danach stark. In den 1980er- und 1990er-Jahren herrschen klare sportliche Kräfteverhältnisse. Den meisten Gegnerinnen sind die Schweizerinnen unterlegen. Die Schweiz bestreitet beispielsweise 1988 in Binningen (BL) ein EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland und verliert gleich mit 0:10. Auch im Mai 1993 verlieren die Schweizerinnen gegen die Deutschen, damals eines der stärksten Teams in Europa. Der Match findet — wie so viele Spiele der Frauen — nicht in grossen Städten, sondern in der Provinz, beispielsweise in Wädenswil (ZH), statt.
Die Spiele der Schweizer Fussballfrauennationalmannschaft, hier mit Helen Barmettler, fanden lange in der Provinz statt.
Die Spiele der Schweizer Fussballfrauennationalmannschaft, hier mit Helen Barmettler, fanden lange in der Provinz statt. FCZ Museum
Das Nationalteam, in dem Helen Barmettler zwischen 1972 und 1984 spielte, bleibt lange unterer Durchschnitt. Qualifikationen für internationale Turniere bleiben über Jahrzehnte aus. Dies ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass der Verband lange kein Geld in die Nachwuchsförderung steckt. Um Erfolg zu haben, braucht es jedoch stets neue Spielerinnen, die nachkommen. In einem kleinen Land wie der Schweiz ist das ohnehin keine Selbstverständlichkeit. Es dauert lange, bis der Verband dies erkennt. Die Nachwuchsarbeit wird erst ab der Jahrtausendwende verstärkt. 2004 werden im Verband das Ressort «Mädchen- und Frauenfussball» sowie ein Ausbildungszentrum für Mädchen geschaffen. In den letzten Jahren nimmt die Zahl der fussballspielenden Mädchen und Frauen erfreulicherweise rasant zu. Auch im Generalsekretariat und im Direktorium des Schweizerischen Fussballverbands (SFV) sind seit 2020 Frauen vertreten. Die Nachwuchsarbeit ist für das A-Team enorm wichtig. Somit kommen immer besser ausgebildete Spielerinnen zum Einsatz. Und mittlerweile ist die Schweiz als Exportnation für junge Spielerinnen bekannt.
Die Schweizer Nationalspielerin Noelle Maritz im Dress von Arsenal. Mittlerweile spielt sie für Aston Villa.
Die Schweizer Nationalspielerin Noelle Maritz im Dress von Arsenal. Mittlerweile spielt sie für Aston Villa. Wikimedia
Seit rund 15 Jahren trägt die Förderung auch Früchte. Die Schweiz spielt zunehmend international eine wichtige Rolle. Die erstmalige Teilnahme an einer Weltmeisterschaft 2015 ist ein bedeutender Meilenstein in der Entwicklung des Frauenteams. Die Anerkennung in der Gesellschaft, die Berichterstattung in den Medien und die Publikumszahlen steigen nun deutlich an.  Förderlich dabei sind medial gut verwertbare Geschichten: So erzielte die FCZ-Spielerin Fabienne Humm an der WM 2015 in Kanada gegen Ecuador den schnellsten Hattrick aller Zeiten. Mit der Qualifikation für die EM 2017 sind die Schweizerinnen erstmals auch an einem grossen europäischen Turnier vertreten. Die deutsche Trainerin Martina Voss-Tecklenburg prägt das Team von 2012 bis 2018 sehr erfolgreich. Es spielt an der WM 2015 in Kanada und an der EM 2017 in den Niederlanden, verspielt jedoch die Qualifikation für die WM 2019. Unter dem Dänen Niels Nielsen gelingen dann sowohl die Qualifikation für die EM in England 2022 als auch für die Weltmeisterschaft in Australien ein Jahr später.
Fabienne Humms Hattrick an der WM in Kanada, 2015. SRF
Bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland spielen die Schweizerinnen unter Inka Grings gegen die Neuseeländerinnen, Norwegerinnen und die Philippinerinnen. Als Gruppenerste treffen sie dann im Achtelfinal auf die späteren Weltmeisterinnen aus Spanien, gegen die sie mit 1:5 verlieren und ausscheiden. Die mediale Sichtbarkeit und die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer des Nationalteams steigen zwar, sind im Vergleich zum Ausland und dem hiesigen Männerfussball aber immer noch bescheiden. Jede Teilnahme an einem internationalen Turnier — sei es auf Juniorinnenstufe oder auf Ebene des A-Teams — wirkt sich förderlich auf die gesamte Entwicklung aus. Mit breiter Unterstützung und wachsenden Publikumszahlen wird die Anerkennung künftig bestimmt steigen. Besonders natürlich an der hiesigen EM, welche hoffentlich vor ausverkauften Rängen stattfinden wird.

Swiss Sports History

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Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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