Hatte sich König Wilhelm III. tatsächlich so auf seinem Balkon gezeigt? Illustration von Marco Heer.
Hatte sich König Wilhelm III. tatsächlich so auf seinem Balkon gezeigt? Illustration von Marco Heer.

Der exhibi­tio­nis­ti­sche König

Mehrere Reisen führten den niederländischen König Wilhelm III. in die Schweiz. Doch sein Aufenthalt am Genfersee 1875 führte zu Aufruhr, denn der König hatte sich wiederholt nackt gezeigt.

Géraldine Lysser

Géraldine Lysser

Géraldine Lysser hat Geschichte und Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in der Kommunikation des Schweizerischen Nationalmuseums.

Ab 1868 verbrachte König Wilhelm III. unter seinem Inkognito Graf von Büren regelmässig Zeit in der Schweiz. Nicht nur die gesunde Bergluft, das saubere Wasser und die schönen Ausblicke führten ihn hier hin, er verbrachte in der Schweiz auch Zeit mit seiner Mätresse.
Die amerikanische Violistin Eliza Parker, auch bekannt als Madame Musard, war für viele Jahre Wilhelms Favoritin. Mit ihr reiste er 1868 nach Thun.
Die amerikanische Violistin Eliza Parker, auch bekannt als Madame Musard, war für viele Jahre Wilhelms Favoritin. Mit ihr reiste er 1868 nach Thun.
Die amerikanische Violistin Eliza Parker, auch bekannt als Madame Musard, war für viele Jahre Wilhelms Favoritin. Mit ihr reiste er 1868 nach Thun. Koninklijke Verzamelingen / Paris Musées
Den Sommer des Jahres 1875 wollte er am Genfersee verbringen. Dort, zwischen Clarens und Vernex, hatte er die Villa Richelieu für fünf Jahre gemietet. Für den königlichen Mieter standen nicht nur die möblierte Villa mit 15 Zimmern, die Dépendance und der Garten zur Verfügung. Der Eigentümer Henri Mayor musste gemäss Mietvertrag auch eine Vorratseinrichtung für die Aufbewahrung von Wein einbauen lassen. Ob dies einen Einfluss auf die nachfolgenden Ereignisse hatte, kann nur vermutet werden.

Balkon­sze­nen und Nacktschwimmen

Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft im Juni zirkulierten erste Gerüchte über das Verhalten des Königs. Auf dem Balkon seiner Villa soll er mehrmals seinen Mantel geöffnet haben, um den Passagieren vorbeifahrender Schiffe und Boote seine Geschlechtsteile zu zeigen. Bald griff eine Pariser Zeitungsagentur die Geschichte auf, deren Meldung Eingang in verschiedene in- und ausländische Zeitungen fand. Der König sei in Konflikt mit dem Gesetz gekommen, hiess es. Es handle sich um eine Frage «des Anstands und der Kleidung», wobei der König der Ansicht sei, dass er sich beim Baden nicht um die vorbeifahrenden Dampfschiffe oder Züge kümmern müsse. Noch deutlicher wurde die niederländische Zeitung Asmodée: «Graf von Büren scheint es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, täglich im Genfersee in Adamskostüm [...] nackt zu baden. Ja, man behauptet, dass er danach in derselben Aufmachung einige Zeit auf der Terrasse seiner Villa verweilte, sehr zum Ärger der Reisenden […].»
Die Villa Richelieu (zweites Gebäude von links) hatte der König für fünf Jahre gemietet.
Die Villa Richelieu (zweites Gebäude von links) hatte der König für fünf Jahre gemietet. Familie Mayor
Dass es sich nicht nur um Gerüchte handelte, zeigen die später veröffentlichten Tagebücher des früheren Kriegsministers August Wilhelm Philip Weitzel: «Die Zimmer des Königs hatten Blick auf den Genfersee; täglich fuhren Dampfschiffe vorbei […]. Während dieser Vorbeifahrt soll sich auf dem besagten Balkon wiederholt jemand gezeigt haben, der am blossen Leib nichts trug als einen nicht annähernd gut zugeknöpften Gehrock.» Auch im Gemeinderatsprotokoll wurde festgehalten, dass mehrere Beschwerden eingegangen waren und die Gemeinde Graf von Büren schriftlich auf die polizeilichen Vorschriften und die Regeln des Anstands hinwies. Bei den Behörden versuchte Wilhelm III., sich auf seine Unantastbarkeit als König zu berufen – sein Inkognito wurde ihm hier aber zum Verhängnis. Die Behörden betrachteten ihn als Grafen, sodass die Affäre bis zum Waadtländer Staatsrat weitergereicht wurde. Akten aus den Archives cantonales vaudoises und dem Bundesarchiv lassen darauf schliessen, dass sich auch der Bundesrat und die niederländische Regierung eingeschaltet haben. Der König wollte erst sein Inkognito aufheben lassen, um fortan mit den gebührenden königlichen Ehren und Rücksichten behandelt zu werden. Der niederländische Botschafter wies darauf hin, dass dies delikate Fragen aufwerfen werde. Einen Tag später teilte man von niederländischer Seite dem Bundesrat mit, dass man das Inkognito doch beibehalten wolle. Schliesslich versandete die Angelegenheit – es gab wohl für beide Seiten nichts zu gewinnen. Zudem wurde im August 1875 das niederländisch-schweizerische Handelsabkommen unterzeichnet, welches die Beteiligten kaum gefährden wollten.
Aufnahme der Villa Richelieu aus dem Jahr 1885. Heute steht an dieser Stelle das Hotel Royal Plaza.
Aufnahme der Villa Richelieu aus dem Jahr 1885. Heute steht an dieser Stelle das Hotel Royal Plaza. Familie Mayor

König Gorilla

Die Affäre am Genfersee war nicht untypisch für Wilhelm III. Der Monarch zeigte sadistische Seiten, führte eine miserable erste Ehe und war impulsiv. Angeblich hatte der Vorsitzende des Ministerrates immer zwei Stifte für die königliche Unterschrift dabei: Den ersten schleuderte der Monarch vor Wut durch den Raum, den zweiten benutzte er zum Unterschreiben, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. In antimonarchischen Kreisen erhielt er für seinen unbeständigen Charakter den Beinamen «König Gorilla». Auch die Schweizer Behörden hatten ihn verärgert, wie sich nach seiner Rückkehr in die Niederlande zeigte. Bei einem Treffen mit dem Marineminister, der gerade aus einem Krieg in den Kolonien zurückgekehrt war, teilte er mit, dass er im nächsten Frühjahr mit einigen Hundert Marinesoldaten und Geschützen in die Schweiz ziehen werde. Man habe ihn dort «un peu trop familièrement» behandelt, was er bei seiner nächsten Reise ändern wolle. Der Minister empfahl, zu einem späteren Zeitpunkt auf das Thema zurückzukommen – schliesslich käme dies einer Kriegserklärung gleich. Der König sollte nicht mehr auf das Thema zu sprechen kommen.
«Aus dem Leben von König Gorilla» machte die exhibitionistischen Neigungen des Königs weit herum bekannt.
«Aus dem Leben von König Gorilla» machte die exhibitionistischen Neigungen des Königs weit herum bekannt.
«Aus dem Leben von König Gorilla» machte die exhibitionistischen Neigungen des Königs weit herum bekannt. Wikimedia / Nationaal Archief
1887, mit der Veröffentlichung des Pamphlets «Aus dem Leben von König Gorilla» zu seinem 70. Geburtstag, erreichte Wilhelms Popularität ihren Tiefpunkt. Die aus sozialistischen Kreisen stammende Broschüre rief unter anderem seine exhibitionistischen Eskapaden in Erinnerung. Der Mitverfasser Sicco Roorda van Eysinga lebte selbst am Genfersee und dürfte die Informationen dazu aus erster Hand erhalten haben.

In C[larens] im Hotel R[ichelieu] zeigte er sich nackt wie ein Schwein im Garten, während Damen vorbei­ka­men. Ein Amerika­ner, der mit seiner Frau und seinen Töchtern im selben Ort logierte, drohte ihm, ihn zu verprü­geln, wenn er sich nicht anständig anziehen würde, und zeigte ihn bei der Polizei wegen ‹Verstos­ses gegen die guten Sitten› an.

Auszug aus «Aus dem Leben von König Gorilla»

Viel zerschla­ge­nes Porzellan

Obwohl Wilhelm III. die Villa Richelieu für fünf Jahre gemietet hatte, wurde der Vertrag vorzeitig aufgelöst. Der Eigentümer der Villa hatte zahlreiche Beschwerden über Lärmbelästigung durch zerbrechendes Glas und umfallende Tische erhalten. Nach einer Inventur zeigte sich das Schadensausmass: Grosse Teile des Mobiliars waren beschädigt, zerstört oder fehlten komplett. So waren 3 der 6 eisernen Gartentische verschwunden – wohl auf dem Grund des Genfersees – und von 36 Weingläsern waren nur deren 5 übriggeblieben.
Auszug aus dem Inventar, welcher das Ausmass des Schadens erahnen lässt. Die rot unterstrichenen Stellen weisen auf beschädigte oder fehlende Objekte hin.
Auszug aus dem Inventar, welcher das Ausmass des Schadens erahnen lässt. Die rot unterstrichenen Stellen weisen auf beschädigte oder fehlende Objekte hin. Familie Mayor
Mit der Auflösung des Mietvertrags machte König Wilhelm III. ungewollt Platz für die nächste Berühmtheit in der Villa Richelieu. Ab 1877 verweilte Pjotr Iljitsch Tschaikowski drei Mal in der Villa, wo er sein Violinkonzert und Teile der Oper «Eugen Onegin» komponierte. Statt klirrendem Glas hallte nun Musik durch die Räume.

Royals zu Besuch – von Sisi bis Queen Elizabeth

13.06.2025 09.11.2025 / Landesmuseum Zürich
Obwohl die Schweiz keine royale Tradition hat, faszinieren die Geschichten der Königshäuser auch hierzulande. Ob Kaiserin, Königin oder Prinzessin: Eines hatten die königlichen Besuche gemeinsam, egal ob sie aus politischen, wirtschaftlichen oder privaten Gründen erfolgten. Sie lösten – damals wie heute – eine immense Begeisterung und Faszination in der Schweizer Bevölkerung aus. Dies zeigt die Ausstellung anhand von zahlreichen Bildern und exklusiven Objekten der Blaublütigen.

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