
Die exakte Zeit
Lange brachte die Post die genaue Zeit in die Haushalte. Per Telefon oder via Radio. Manchmal übernahm sie auch den morgendlichen Weckdienst.
Dieser qualitativ «gefühlten» Zeit erwacht mit der zunehmend präzisen mechanischen Uhr eine quantitative Konkurrenz. Die Einführung der gemessenen Zeit erfolgt langsam und lange existieren unterschiedliche Zeitsysteme nebeneinander. Kirche und Klerus sehen in der unerbittlich exakten Zeit eine Konkurrenz, da sie zur Desakralisierung des Tages führt. Die Jahrzehnte nach der französischen Revolution sind von entsprechenden Rückzugsgefechten geprägt. Die Kirche versucht noch, ihre Herrschaft über die Zeit zu wahren – steht aber ab Mitte des 19. Jahrhundert als Verliererin da.


Eisenbahn und Telegrafie
Auf internationaler Ebene bestehen ähnliche Probleme – die zunehmend globalisierte Welt braucht Takt, Takt, Takt. Die Konferenz von Washington einigt sich 1884 auf den Nullmeridian von Greenwich und bereitet so die weltweite Einführung der Stundenzonenzeit vor. In der Folge führt der Bundesrat 1894 die mitteleuropäische Zeit ein und die ganze Schweiz richtet sich erstmals nach einem einheitlichen Zeitsystem.
Neuenburg gibt den Takt an
Übermittelt wird das Zeitzeichen via Telegrafenleitung über Mittag, da um diese Zeit die Nachfrage beim Telegrammverkehr gering ist. Die Uhrmacherschulen und die Uhrenfabriken bezahlen für die genaue Zeit aus Neuenburg einen bescheidenen Betrag. Die PTT nutzt das Zeitsignal kostenlos und verrechnet dem Observatorium Neuenburg jährlich ein paar hundert Franken für die Nutzung der Leitungen – obwohl sie selbst auch Nutzniesserin der genauen Zeit aus Neuenburg ist.
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Die sprechende Uhr. Aufnahme aus den 1950er-Jahren. Schweizerische Nationalphonothek
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs beschlagnahmt die Telegraphenverwaltung alle vorhandenen Radioempfänger. 1916 führt sie als Zeitzeichen-Ersatz einen telefonischen Dienst ein, der ebenfalls auf dem Zeitsignal des Eifelturms beruht. Zwischen 10:56 und 11 Uhr wird über das Telefon eine Serie von Signalen übertragen.
In den 1920er-Jahren erobert sich die exakte Zeit aus Neuenburg jedoch ihren Platz im Äther. Wie ein Blick in die Zeitungs-Radioprogramme zeigt, gehört beispielsweise bei Radio Bern ab 1926 das «Zeitzeichen der Sternwarte Neuenburg» zum fixen Sendeplan. In den 1930ern übernehmen die drei Landessender Beromünster, Sottens und Monte Ceneri diese Tradition und senden jeweils um 12:30 und 16:00 die genaue Zeit als getaktetes Tonsignal.
Seit 1982 ist in der Schweiz das heutige Eidgenössische Institut für Metrologie für die genaue Zeitmessung zuständig. Das Observatorium Neuenburg stellt seine Dienste 2007 ein. Mit der Liberalisierung des Staatsbetriebs PTT verlieren die Nachfolger Post und Swisscom die Macht über die Zeitvermittlung. Das letzte Zeitzeichen am Radio geht am 14. Dezember 2012 um 12:30 über die Sender. Die neue digitale Radiotechnologie mit DAB+ macht eine Übertragung in Echtzeit unmöglich...
Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Blog des Museums für Kommunikation erschienen. Dort ist er in einer noch ausführlicheren Version zu lesen.


