Der spanischen Hofmaler Diego Velázquez, links an der Staffelei zu sehen, malt das Bildnis «Las Meninas» (Ausschnitt).
Der spanischen Hofmaler Diego Velázquez, links an der Staffelei zu sehen, malt das Bildnis «Las Meninas» (Ausschnitt). Museo Nacional del Prado

Von Angesicht zu Angesicht – die Porträtmalerei

Dank digitaler Technologie heute massentauglich, kostengünstig und selbstverständlich: Das Erstellen und Verbreiten von Porträts. Vor dem Aufkommen der Fotografie diente dazu die Porträtmalerei. Ein Blick auf deren Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte.

Murielle Schlup

Murielle Schlup

Freischaffende Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin

Dank heutiger Technik werden Porträts und Selfies mit Leichtigkeit produziert. Auch deren Verbreitung ist mit ein paar wenigen Klicks allen jederzeit möglich. Was heute selbstverständlich ist, hat eine lange und weit zurückreichende Entwicklungsgeschichte, in der die grosse Zeit der Porträtmalerei zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert eine bedeutende Rolle spielte.

Mumien­por­träts und Stifterbilder

Porträts im Sinne von realitätsnahen, charakteristischen Abbildungen von Gesichtern bestimmter Personen waren bereits in der Antike vielerorts verbreitet, in gemalter Form jedoch nur sehr spärlich erhalten geblieben. Bekannt sind etwa die römischen Mumienporträts, wie sie in Ägypten zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. entstanden sind, um eine geliebte verstorbene Person über den Tod hinaus lebendig zu halten. Die auf isolierte Holztafeln gemalten Bildnisse wurden bei der Mumie auf Kopfhöhe der verstorbenen Person angebracht. Die Erinnerungsfunktion war denn auch eines der ursprünglichsten Motive der Porträtmalerei.
«L'Européenne», ein römisches Mumienporträt aus Ägypten, 100-150 n. Chr.
«L'Européenne», ein römisches Mumienporträt aus Ägypten, 100-150 n. Chr. Wikimedia / Musée du Louvre
Nach dem sogenannten «Untergang des Römischen Reichs» erhielt die weitere Entwicklung und Ausbreitung der Porträtmalerei einen massiven Dämpfer. Denn das auf das Jenseits ausgerichtete Christentum lehnte, insbesondere in seinen Anfängen, die Abbildung des irdischen Menschen ab. Bis ins hohe Mittelalter dominierten daher Darstellungen von Christus und den Heiligen das kunsthandwerkliche Schaffen, das dem Glauben gleichermassen unterstellt war wie der gesamte Lebensalltag der Menschen. Ausnahmen begegnen uns etwa in der Form von Widmungsbildern in illuminierten Handschriften. Letztere zeigen den Buchmaler beim Überreichen seines Werks an den Auftraggeber oder halten letzteren bei der Übergabe seiner Buchstiftung an eine Kirche fest. Häufig ist der auftraggebende Stifter in Gebetshaltung festgehalten, flankiert von Heiligen oder demütig integriert in eine biblische Szene. Denn nur im religiösen Kontext war das Bildnis einer irdischen Person akzeptiert.
Ein Widmungsbild im Gundold-Evangeliar, eine zwischen 1026 und 1050 entstandene Handschrift der Kölner Buchmalerschule
Ein Widmungsbild im Gundold-Evangeliar, eine zwischen 1026 und 1050 entstandene Handschrift der Kölner Buchmalerschule. Während die schemenhaft wirkenden Köpfe von Christus, Maria und Johannes der mittelalterlichen Bildtradition verhaftet sind, lässt sich hinter der detailreicheren Ausgestaltung des Stiftergesichts die Ambition des unbekannten Buchmalers vermuten, ein realitätsnahes Abbild des Individuums schaffen zu wollen. Wikimedia
Giotto di Bondones (1267/1276 – 1337) Porträt des Enrico Scrovegni in der Arenakapelle (Cappella degli Scrovegni) in Padua bei der symbolischen Übergabe der von ihm gestifteten Kapelle.
Giotto di Bondones (1267/1276 – 1337) Porträt des Enrico Scrovegni in der Arenakapelle (Cappella degli Scrovegni) in Padua bei der symbolischen Übergabe der von ihm gestifteten Kapelle. Wikimedia
Solche Stifterporträts sind auf Fresken und vor allem Altären aus der Zeit des späten Mittelalters häufig vorzufinden. Dahinter verbirgt sich einerseits die Absicht, das «Gute Werk» der Schenkung mit einem darin integrierten Bildnis quasi rechtsverbindlich als die unverwechselbar eigene zu deklarieren, andererseits zeigt sich darin die indirekte Aufforderung an die Gläubigen, für das Seelenheil des spendablen Porträtierten zu beten. Stets darf ein Stifterbild auch als selbstbewusste persönliche Inszenierung und Verewigung an heiliger Stätte betrachtet werden.

Loslösung vom religiö­sen Kontext

Ihre grosse Zeit hatte die Porträtmalerei vom Spätmittelalter bis ins 17. Jahrhundert. In derselben Zeitspanne erfolgten auch ihre bedeutendsten Entwicklungsschritte. Während die Maler des Spätmittelalters noch überwiegend traditionell-statischen Darstellungsformeln verhaftet waren, setzt nach 1300 eine Entwicklung zu immer mehr identifizierbaren Physiognomien ein. Zugleich löste sich das Porträt langsam vom religiösen Kontext. Eines der ersten autonomen Porträttafelbilder ist das Bildnis Johanns des Guten aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Das Verhältnis zwischen Wirklichkeitsnähe, Idealisierung und übernommener künstlerischer Formelhaftigkeit in der Ausgestaltung der individuellen Gesichtszüge muss jedoch offen bleiben.
Im strengen Profil: Johann der II der Gute (Jean II le Bon), von 1350 bis 1364 König von Frankreich.
Im strengen Profil: Johann der II der Gute (Jean II le Bon), von 1350 bis 1364 König von Frankreich. Porträt eines unbekannten Meisters. Wikimedia / Musée du Louvre
Während uns bis ins 14. Jahrhundert hinein vorwiegend Herrscher, Adlige, hohe Geistliche und allenfalls Feldherren in Porträts begegnen, sind vom 15. Jahrhundert an vermehrt Bildnisse von reichen Bürgern, Kaufleuten, Bankiers, Beamten und Gelehrten überliefert. Auch Frauenporträts finden sich zunehmend. Mit Beginn der Renaissance und ihrer neuen Sicht des Menschen als selbstständiges Individuum wurden zwei wichtige Entwicklungsschritte in der Porträtmalerei stark vorangetrieben: Das Porträt eroberte mehr und mehr den privaten Raum und öffnete sich für eine immer breitere Schicht des Bürgertums. Zudem perfektionierten die Künstler die realitäts- und detailgetreue Abbildung der rein äusseren Erscheinung einer Person. Ebenso gelang ihnen eine immer subtilere Annäherung an das Wesen, den Charakter des Modells, dessen Haltung, Gestik und Mimik mit Pinsel und Stift gezielt herausgearbeitet wurden.
Robert des Masmines
Schonungslos und fern jeder Idealisierung: Das um 1425/30 entstandene Porträt (Robert des Masmines?) wird dem Meister von Flémalle aus der Werkstatt des altniederländischen Meisters Robert Campin zugeschrieben. Die charakteristische, psychologisch ausdrucksvolle Darstellung des Porträtierten wird durch die leichte Zuwendung hin zu den Bildbetrachtenden noch lebendiger. Museo Nacional Thyssen-Bornemisza
Battista Sforza und Federico da Montefeltro ca. 1472
Das Ehepaarbildnis von Piero della Francesca auf zwei Einzeltafeln mit verbindendem Hintergrund zeigt Battista Sforza und Federico da Montefeltro (ca. 1472), Herzogin und Herzog von Urbino. In der italienischen Frührenaissance war das strenge Profilporträt – in Anlehnung an römische Porträtbüsten und Münzen – zunächst noch vorherrschend. Wikimedia
Kunsthistorisch bedeutende Zeugnisse spätmittelalterlicher Porträtkunst entstanden fast gleichzeitig im Norden wie im Süden Europas. Von den italienischen Malern der Frührenaissance sind etwa Pisanello, Antonello da Messina, Domenico Ghirlandaio, Piero della Francesca, Botticelli und Giovanni Bellini zu erwähnen. Unter den niederländischen Malern des 15. Jahrhunderts sind Robert Campin, Rogier van der Weyden und Jan van Eyck hervorzuheben, von denen letzterer mit der sogenannten «Arnolfini-Hochzeit» eines der bedeutendsten ganzfigurigen Doppelbildnisse der Kunstgeschichte schuf. Das mit Symbolen gespickte, rätselhafte Gemälde zeigt möglicherweise den Kaufmann Giovanni Arnolfini und seine Frau Giovanna Cenami, ist aber, so der aktuelle Forschungsstand, weder ein Hochzeits- noch ein Verlobungsbild, wie lange vermutet wurde. Zwei weitere Anwesende im Raum werden im Spiegel in der Bildmitte reflektiert. Die Inschrift «Johannes de Eyck fuit hic 1434» («Jan van Eyck ist hier gewesen 1434») lässt darüber spekulieren, ob eine der Spiegelfiguren Jan van Eyck sei oder ob das Gemälde ein Selbstbildnis des Malers mit seiner Frau Margarethe – die Holzfigur am Bettgestell zeigt die gleichnamige Heilige – darstelle. Jan van Eyck war als bestens bezahlter «varlet de chambre» des Burgunderherzogs wohlhabend genug, sich die im Bild zu erkennende Ausstattung und Kleidung leisten zu können. Ebenso mangelte es ihm, der seine Werke als einer der ersten Maler überhaupt signierte, kaum an Selbstbewusstsein.
Die «Arnolfini-Hochzeit», 1434 gemalt von Jan van Eyck
Die «Arnolfini-Hochzeit», 1434 gemalt von Jan van Eyck zeigt ein Ehepaar in einem Innenraum. Wikimedia / National Gallery London

Das Selbst­bild­nis etabliert sich

Eine wichtige Porträtgattung ist das autonome Selbstbildnis, dem von 1500 an ein prominenter Platz in der Porträtgeschichte zugewiesen werden kann. Denn mit dem in der Renaissance gestiegenen Ansehen des Malers, der sich nicht mehr einfach als ausführenden Handwerker betrachtete, sondern im gleichen Masse als talentierten Künstler wie als schöpferischen Urheber, stieg einerseits seine eigene Bildwürdigkeit, andererseits sein persönliches Bedürfnis, sich bildhaft zu verewigen. Die Künstler nutzten das Selbstporträt auch als praktisches Experimentierfeld und zu Studienzwecken, was im 17. Jahrhundert vor allem von Rembrandt geradezu zelebriert worden ist. Kaum ein Künstler vor Rembrandt schuf so viele Selbstporträts mit verschiedensten Gesichtsausdrücken, Grimassen und Gesten.
Albrecht Dürer
Frontal zur Schau getragenes Selbstbewusstsein: Im «Selbstbildnis im Pelzrock» von 1500 inszenierte sich Albrecht Dürer christusähnlich und mit dem Stolz eines Künstlergenies. Dazu verkündete er in lateinischen Worten: «So schuf ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit charakteristischen Farben im Alter von 28 Jahren.» Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek München
Radierung von Rembrandt Harmenszoon van Rijn aus dem Jahr 1630
Quasi ein barocker Vorläufer des Duckface-Selfies: Radierung von Rembrandt Harmenszoon van Rijn aus dem Jahr 1630. Städel Museum

Die grosse Zeit der Porträtmalerei

Vom beginnenden 16. Jahrhundert an und während des ganzen 17. Jahrhunderts hindurch wurde die Porträtkunst von zahlreichen Künstlern nicht nur perfektioniert, sondern – aufgrund der günstigen Auftragslage und der dadurch guten Einkommensquelle – als Spezialgebiet professionalisiert. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Höfe, wo das Bedürfnis nach Repräsentation immens war. Zu den herausragendsten Porträtisten jener Zeit gehörten etwa Raffael (Sanzio de Urbino), der von 1508 an als «Hofmaler» der Päpste Julius II. und Leo X. in Rom wirkte.
Papst Leo X. (Giovanni de’ Medici) mit den Kardinälen Giulio de’ Medici (dem späteren Papst Clemens VII.) und Luigi de’ Rossi
Inszenierung der päpstlichen Machtvollkommenheit: Mit diesem um 1518 geschaffenen kirchlichen Staatsporträt von Papst Leo X. (Giovanni de’ Medici) mit den Kardinälen Giulio de’ Medici (dem späteren Papst Clemens VII.) und Luigi de’ Rossi begründete Raffael den Typus des danach für lange Zeit gültigen Papstporträts. Wikimedia
Auch Tiziano Vecellio, genannt Tizian, malte päpstliche Porträts (Paul III.). Darüber hinaus nahm er während seiner langen Karriere Aufträge aus allen wichtigen Herrschaftshäusern Europas an, allen voran von den Habsburgern. Unter anderem war er als Hofmaler am Königshof Madrid tätig und erlangte dort derartige Beliebtheit und Anerkennung, dass er von Kaiser Karl V. geadelt wurde. Adelsbildnisse hatten vor allem repräsentative Zwecke zu erfüllen, weshalb sie gerne vor imposanten und dramatischen Kulissen oder in prunkvollen Interieurs gemalt wurden. Es galt, die dargestellte Person in idealisierter, distanzierter, ja pathetischer Weise zu überhöhen, um dem ruhmreichen Nachleben Vorarbeit zu leisten. Die äussere menschliche Darstellung vermengte sich meist mit der Inszenierung von Macht, Erfolg, Stand, Reichtum und Stärke. Beim weiblichen Geschlecht kam die Schönheit dazu, für die der Maler auch mal das eine oder andere Auge zuzudrücken bereit war. Neben Insignien wie Krone und Szepter waren auch Ordensabzeichen und militärische «Requisiten» wie Helm, Harnisch und Schwert beliebte Bildrequisiten. Während edle Kleidung aus Seide, Samt oder Spitze beliebte Statussymbole auf Porträts beider Geschlechter waren, setzten Frauen auch kostbare Accessoires als solche ein.
Reiterbildnis von Kaiser Karl V. 1548
Demonstration imperialer Macht auf dem Pferd als Attribut und Privileg des Adels: Tizian malte das an antike Standbilder (z. B. Marc Aurel in Rom) erinnernde Reiterbildnis von Kaiser Karl V. 1548 in Gedenken an den Sieg der kaiserlichen Truppen über die Protestanten bei Mühlberg und schuf damit einen von zahlreichen Künstlern, darunter etwa Rubens, referenzierten Spezialtypus des Herrscherporträts. Museo Nacional del Prado
Das Porträt hatte für den Adel auch eine wichtige soziale Funktion auf dem internationalen Heiratsmarkt. Bildnisse von Heiratswilligen wurden auf Reise geschickt, damit sich die potenziellen Ehepartner «ein Bild machen» konnten von ihrem künftigen Gegenüber. Es versteht sich, dass solche Porträts den Dargestellten oft schmeichelten. Zur Sicherheit wurde gerne der eigene Hofporträtist in der Ferne geschickt mit dem Auftrag, es mit der Realitätstreue ernst zu nehmen. Als in dieser Hinsicht eher missglücktes Unterfangen sei hier ein entsprechender Auftrag an Hans Holbein d. J. erwähnt. Der in Augsburg geborene und bis 1532 in Basel wirkende Maler hatte sich in England unter anderem mit Porträts von Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus einen Namen gemacht, als er 1536 zum Hofmaler von König Heinrich VIII. aufstieg. Letzterer, nach dem Tod seiner dritten Ehefrau wieder auf Brautschau, sandte Holbein aufs Festland, um dort mehrere potenzielle – und zwingend auch attraktive – Heiratskandidatinnen zu porträtieren, darunter die Töchter von Johann dem Friedfertigen in Düsseldorf. Das Porträt der einen, Anna von Kleve, entzückte den König derart, dass er die Frau heiratete, ohne ihr zuvor je begegnet zu sein. Bei deren Ankunft in England gefiel ihm seine Frischangetraute jedoch keineswegs. So wurde die vierte Ehe Heinrichs VIII. kurze Zeit später unter dem Vorwand, sie sei nie «vollzogen worden», für ungültig erklärt.
War Anna von Kleve in Realität nicht so schön, wie von Hans Holbein d. J. gemalt? Wir wissen es nicht. Gesichert ist nur, dass der englische König Heinrich VIII. beim Anblick seiner Gemahlin arg enttäuscht war.
War Anna von Kleve in Realität nicht so schön, wie von Hans Holbein d. J. gemalt? Wir wissen es nicht. Gesichert ist nur, dass der englische König Heinrich VIII. beim Anblick seiner Gemahlin arg enttäuscht war. Wikimedia / Musée du Louvre
Ein wichtiger Porträttypus, der auf an den europäischen Höfen beliebt war, ist das Familien- und Gruppenporträt. Eines der bekanntesten überhaupt, «Las Meninas», wurde vom spanischen Hofmaler Diego Velázquez geschaffen. Auf faszinierende Weise kombinierte er in diesem grossformatigen Gemälde ein Familien- und Gruppenporträt mit einem Selbstbildnis und vermischte dabei raffiniert verschiedene Bildebenen. Der geschickte Einsatz des Spiegels im Gemälde als zusätzliche – und in diesem Fall zentrale – Bildebene könnte Velázquez von Jan van Eyck abgeschaut haben. Jedenfalls befand sich dessen «Arnolfini-Hochzeit» zur Zeit der Entstehung von «Las Meninas» in der Sammlung des spanischen Königpaars. Ebenfalls interessant: Das Kreuz des Ordens von Santiago, mit dem der Maler 1659 – drei Jahre nach Fertigstellung des Gemäldes – ausgezeichnet worden ist, wurde erst nachträglich aufgemalt. Solche ergänzenden Eingriffe waren in der Porträtmalerei keine Seltenheit.
Diego Velázquez, «Las Meninas», 1656
Diego Velázquez, «Las Meninas», 1656: Das eigentliche Motiv des Malers ist das Königspaar Philipp IV. und Maria Anna, das im Spiegel in der Bildmitte reflektiert wird, während im Vordergrund die von ihren Hofdamen und Erziehern umgebene Infantin Margarita Blickpunkt ist. Alle Personen sind identifizierbar, auch der Palastkämmerer, der die Szene im Hintergrund verlässt und dadurch eine weitere Bildebene eröffnet. Museo Nacional del Prado
In der Porträtmalerei haben sich auch einige wenige Frauen einen Namen gemacht, die aufgrund ihrer familiären Herkunft und ihrem Beziehungsumfeld das Privileg hatten, eine entsprechende Ausbildung sowie eine darauffolgende Karriere überhaupt verfolgen zu können. Dazu gehörten etwa Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann und Louise-Elisabeth Vigée Le Brun. Letztere war in ihren jungen Jahren die Hofmalerin von Königin Marie-Antoinette.
Mit Strohhut, Pinseln und Farbpalette: Die französische Malerin Louise-Elisabeth Vigée Le Brun in einem Selbstporträt von 1783.
Mit Strohhut, Pinseln und Farbpalette: Die französische Malerin Louise-Elisabeth Vigée Le Brun in einem Selbstporträt von 1783. Wikimedia / National Gallery London

Kontinui­tät der Porträt­ma­le­rei im Fotografiezeitalter

Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts erhielt die Porträtmalerei mit dem Aufkommen der Fotografie und deren fortschreitenden technologischen Möglichkeiten Konkurrenz. Mittels Fotografie war es nun viel einfacher, günstiger und effizienter, Porträts zu erstellen. Darüber hinaus gaben diese die äussere Erscheinung einer Person nun fast 1:1 wieder. Trotzdem vermochte die Porträtmalerei ihre Existenz auch weiterhin zu rechtfertigen, indem sie die Nachfrage nach ihr mit immer neuen Wegen, Ausdrucksformen und Mitteln wachhielt. Insbesondere konzentrierte sie sich fortan vermehrt auf das «Herausschälen des Inneren Wesens» des Individuums, was die Möglichkeiten der Fotografie überstieg.
Vincent van Goghs (1853-1890) Porträt von Doktor Gachet entstand 1890
Vincent van Goghs (1853-1890) Porträt von Doktor Gachet entstand 1890. Der auf Psychiatrie spezialisierte Arzt betreute den Künstler in seiner letzten Lebensphase bis zu dessen Suizid. Gachets melancholischer Ausdruck soll, so schrieb Van Gogh in einem Brief, «den trostlosen Ausdruck unserer Zeit» wiedergeben. Wikimedia / Musée d'Orsay
Innerhalb der zahlreichen Strömungen der Kunstgeschichte des ausgehenden 19. und gesamten 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Porträtmalerei konsequent weiter. Wie in der gesamten bildnerischen Kunst wurden auch in der Porträtmalerei tradierte Bildkonventionen gesprengt, bisher gängige Anwendungsregeln bezüglich Farbe und Form genüsslich über den Haufen geworfen. Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts bildete sich mit dem Aufkommen des Fotorealismus in der Malerei eine der Abstraktion wiederum völlig entgegengesetzte künstlerische Bewegung: Mit hyperrealistisch gemalten Porträts – wie etwa jenen von Chuck Close, Gerhard Richter oder Franz Gertsch – wurde nun quasi die Fotografie malerisch übertrumpft.
Franz Gertsch, «Johanna I», 1983/1984
Hyperrealistisch und über 9m² im Format: Franz Gertschs Bildnis «Johanna I» (1983/1984). © by Franz Gertsch. Courtesy Museum Franz Gertsch

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