Serie: Der Buchdruck in Europa
Ohne Buchdruck würde die Zivilisation heute an einem ganz anderen Punkt stehen. Ein Blick zurück...
Üblicherweise wird die Erfindung des Buchdrucks mit dem Namen Johannes Gutenbergs in Zusammenhang gebracht, der die sogenannte «Schwarze Kunst» um 1450 in Mainz einführte. Die Möglichkeit, Texte in hundert- und tausendfachen Kopien innerhalb relativ kurzer Zeit herzustellen, gestaltete die frühneuzeitliche Medienwelt neu. Während ein mittelalterlicher Kopist im Skriptorium eines Klosters für die Abschrift der Bibel drei Jahre benötigte, gelang es Gutenberg, in der gleichen Zeit 180 Exemplare herzustellen. Etwa ab 1470 sanken die Preise für gedruckte Bücher unter die für handschriftlich abgeschriebene Werke, was den Zugang zu Texten zusätzlich erleichterte. Mit der Verdichtung des Netzes, über das auf Wissen zugegriffen werden konnte, wurden auch der wissenschaftliche Austausch und damit der wissenschaftliche Fortschritt beschleunigt. Die kulturellen Auswirkungen der Erfindung des Buchdrucks bis hin zur zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung und zur Gründung vieler Bibliotheken können nicht genug gewürdigt werden. Was aber häufig Gutenberg zugeschrieben wird, wurzelt viele tausend Kilometer östlich in China. Dort wurde nicht nur der Buchdruck, sondern auch das Papier erfunden.
Erfindung des Papiers
Ohne Papier wäre der Buchdruck niemals zur skizzierten Blüte gelangt. Für den Druck einer Gutenberg-Bibel auf Pergament waren die Häute von 80 Tieren nötig. Gutenberg druckte 180 Exemplare, von denen heute noch 50 erhalten sind, was einem Bedarf von 14 400 Stück Vieh entsprochen hätte, wenn alle Bibeln auf Pergament gedruckt worden wären. Noch drastischer wird das Bild, wenn man sich vergegenwärtigt, dass mehr als 27 000 Inkunabeln (Wiegendrucke) mit einer durchschnittlichen Auflage von 400 Stück erschienen sind. Rechnet man vorsichtig mit 20 Häuten pro gedrucktem Buch, ergibt sich die stattliche Summe von 21 600 000 Tieren, die für die gesamte Buchproduktion des 15. Jahrhunderts hätten zur Verfügung stehen müssen. Es ist daher leicht einzusehen, dass das Papier einen höchst willkommenen und für die weitere Entwicklung notwendigen Ersatz für das Pergament darstellte.
Die Wiege des Papiers muss in vorchristlicher Zeit im Grenzgebiet zwischen Mittel- und Südchina gesucht werden. Der Basler Papierhistoriker Peter F. Tschudin äusserte sich dazu: «Die bisher ältesten chinesischen Papierfunde scheinen eine Entwicklung von einem filzartigen Stoff aus Textilpflanzenfasern zum eigentlichen Papier nahezulegen. Leider ist deren Datierung noch immer nicht endgültig geklärt. Aber auch chinesische Quellen verlegen die Einführung der Papiermacherei in die vorchristliche Zeit. Zwingend muss demnach die Herstellung von Proto-Papier nach einem Nassvliess-Verfahren zumindest für die Zeit der Qin- oder der Han-Dynastie postuliert werden.» Die Qin-Dynastie währte von 221 bis 206 v. Chr., die Han-Dynastie von 206 v. Chr. bis 220 n. Chr. Tʼsai Lun, der laut der offiziellen chinesischen Kaiserchronik Hou Han Shu das Papier 105 n. Chr. erfunden haben soll, verfeinerte die vor ihm bereits bekannte Technik und ersetzte pflanzliche Frischfasern durch textile Recyclingfasern.
Die Papierherstellung verbreitete sich rasch in ganz China, erreichte im 5. Jahrhundert Korea und soll im Jahr 610 vom koreanischen Mönch Damjing nach Japan gebracht worden sein. Auch die westlich davon lebenden arabischen Völker erlernten die Papiermacherei früh. Der neue Beschreibstoff gelangte nach Samarkand (5./6. Jahrhundert), Bagdad (8. Jahrhundert), Kairo (9. Jahrhundert) und ins türkische sowie griechisch-byzantinische Gebiet (11. Jahrhundert). Die ersten Papiermühlen auf europäischem Boden entstanden Ende des 11. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel und den Balearen. Es ist davon auszugehen, dass in Italien spätestens seit dem frühen 13. Jahrhundert Papier produziert wurde. Die ersten Papiermühlen Deutschlands wurden 1390 in Nürnberg und 1391 in Ravensburg durch Grosskaufleute errichtet. Um 1450 existierten etwa zehn Betriebe, die mehrheitlich am Oberrhein angesiedelt waren. Die Jahresproduktion einer Mühle belief sich auf 1000 bis 1800 Ries Papier. Ein Ries entspricht etwa 500 Blatt Papier, wobei jedes Blatt zu vier grossformatigen Folioseiten verarbeitet werden konnte. Allein für den Druck der Gutenberg-Bibel waren 108 Ries Papier nötig, weshalb verständlich ist, dass sich durchaus Versorgungsengpässe einstellen konnten. Zwar war Papier viermal billiger als Pergament, doch blieben die Investitionen für die Drucker immer noch erheblich, kostete doch das Ries Papier in Basel um 1470 rund 16 bis 18 Schilling, was elf Tagelöhnen eines Schneidergesellen entsprach. Allein das Papier für die 1471/72 in Köln gedruckte Enzyklopädie von Bartholomaeus Anglicus mit dem Titel De proprietatibus rerum und einem Umfang von 248 Folioblättern (geschätzte Auflage 120 Stück) kostete 50 bis 60 Gulden, wofür man auch ein kleines Haus hätte erwerben können.
In der Schweiz wurde seit dem frühen 15. Jahrhundert Papier hergestellt. Die ersten Produktionsstandorte befanden sich in der Umgebung von Genf, Freiburg im Üechtland und Basel. Die europäische Papierherstellung unterschied sich in verschiedenen Punkten grundsätzlich von der fernöstlichen, was mit einer Qualitäts- und Produktionssteigerung verbunden war. Die wesentlichen Neuerungen betrafen das Stampfwerk und dessen Antrieb, das aus Metalldraht gefertigte Schöpfsieb sowie, zeitlich etwas später, das Leimen und das Glätten.
Beginn und Verbreitung des Buchdrucks.
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