Serie: Der Buchdruck in Europa

Johannes Froben war im Mittelalter, was man heute einen Star nennen würde. Er druckte unter anderem Werke von Erasmus von Rotterdam und war über die Landesgrenzen hinaus bekannt und begehrt.

Urs Leu

Urs Leu

Urs Leu ist Historiker und leitet die Abteilung Alte Drucke und Rara in der Zentralbibliothek Zürich.

Im Jahr 1470 wurde an 16, 1480 an 81, 1490 an 98 und 1500 an 75 Orten Europas gedruckt. Insgesamt entstanden im 15. Jahrhundert an 261 Lokalitäten Druckereien, wobei einige nur kurze Zeit aktiv waren, nicht zuletzt infolge der hohen Anfangsinvestitionen in Material und Löhne, die jeder Druck erforderte, bevor er verkauft werden und möglicherweise den ersehnten Gewinn einbringen konnte. In verschiedenen Städten, insbesondere in Handelszentren, existierten zahlreiche Druckereien nebeneinander wie etwa in Köln oder Venedig, wo während des 15. Jahrhunderts mehr als 30 beziehungsweise 200 Betriebe aktiv waren.

36,4 Prozent der Inkunabeln kamen aus Italien, 33,6 Prozent aus dem deutschsprachigen Raum, 17,5 Prozent aus Frankreich, 7,4 Prozent aus Belgien und den Niederlanden, 3,7 Prozent von der Iberischen Halbinsel und 1,4 Prozent aus England. Die wichtigsten Druckorte, an denen drei Fünftel aller Inkunabeln erschienen, waren:

  • Venedig 3705
  • Paris 3026
  • Rom 2021
  • Köln 1531
  • Lyon 1334
  • Leipzig 1210
  • Strassburg 1121
  • Mailand 1106
  • Augsburg 1073

Ein Siebtel aller Inkunabeln entstand allein in Venedig und ein Drittel in Venedig, Paris und Rom. Zählt man zu den aufgelisteten Städten Nürnberg (926), Florenz (863) und Basel (764) hinzu, resultieren zwölf Druckorte, in denen zwei Drittel der gesamten Inkunabelproduktion gedruckt worden sind.

80 Prozent der Drucke wurden in lateinischer Sprache publiziert. Trotz der weitverbreiteten humanistischen Studien erschienen nur 65 Inkunabeln in altgriechischer Sprache, davon am meisten, nämlich 27, in Venedig. Die anderen 38 wurden bis auf eine ebenfalls in Italien gedruckt und verteilen sich wie folgt: Florenz (13), Mailand (10), Vicenza (7), Reggio Emilia (3), Brescia, Modena, Parma, Rom und Paris (je 1). Erstaunlicherweise sind immerhin 175 hebräische Inkunabeln bekannt, wobei es mit Soncino (29) und Neapel (27 oder 28) wiederum zwei italienische Städte sind, in denen diese Drucke vorzugsweise hergestellt worden sind. Mehrheitlich volkssprachliche Drucke erschienen nur in Augsburg und Florenz. Augsburg entwickelte sich im 15. Jahrhundert zum Zentrum des deutschsprachigen Buchdrucks und blieb dies auch in den beiden folgenden Jahrhunderten. Von 1479 bis 1500 stieg dort der Anteil an deutschen Büchern auf über 70 Prozent. In Florenz machte der Anteil an italienischen Drucken 79 Prozent beziehungsweise 679 der 863 Inkunabeln aus. Mehr als ein Siebtel davon (105) stammt aus der Feder von Girolamo Savonarola. Er, und nicht Luther, führte die erste öffentliche Kontroverse unter Nutzung der Druckerpresse, wobei es Bauernkrieg und Reformation waren, die das neue Medium der dünnen und billigen Flugschriften etablierten.

Ernüchterung und Konsolidierung

Für die Frühdrucker stellte sich das Problem, dass sie nach den hohen Investitionen für die Beschaffung von Druckerpressen, Satzutensilien, Papier wie auch für Löhne dringend auf Absatz beziehungsweise Einnahmen angewiesen waren. Während die Herstellung einer Handschrift häufig im Auftrag eines Kunden erfolgte, wurden Hunderte und Tausende von Drucken für unbestimmte Käufer produziert, die zunächst über das Erscheinen des Werks in Kenntnis gesetzt werden und dann auch die Möglichkeit erhalten mussten, das Buch zu erwerben. Das Druckgeschäft erforderte in finanzieller Hinsicht einen langen Atem, der insbesondere kleineren Offizinen nicht selten ausging. Sichere Einkünfte versprachen gewisse Bestseller, wobei auch wieder Vorsicht vor Überproduktion geboten war, wie sie sich 1472 in Venedig einstellte und eine Krise im lokalen Druckgewerbe auslöste. Die Drucker sprachen ihre Produktion zum Teil untereinander ab oder beobachteten das Angebot auf der Frankfurter Messe sehr aufmerksam, um allfällige Nischen zu entdecken. Auch bildeten sich gewissermassen Zentren aus, die ein spezielles Marktsegment zu bedienen begannen. So wurden in Florenz beispielsweise kaum antike Autoren gedruckt, weil dieser Markt von Venedig dominiert wurde, dafür war die Stadt am Arno für ihre italienischen Drucke bekannt so wie Augsburg für deutsche. Im 16. Jahrhundert ist auch zwischen Basel und Zürich eine derartige Aufteilung erkennbar. Basels Stärke waren die griechische und römische Antike sowie der Humanismus, die Medizin und der hebräische Buchdruck Zürich hingegen spezialisierte sich auf die deutsche Bibel, reformierte Theologie und verschiedene Schulbücher.

Inkunabel "sanctae peregrinationes" von Bernhard von Breydenbach, Mainz 1486. Foto: Wikimedia

Erasmus von Rotterdam, Kupferstich von 1795. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Interessantes Porträt des Humanisten und Philologen Erasmus von Rotterdam.

Von Erasmus von Rotterdam herausgegebene Bibel. Drucker war der Schweizer Johannes Froben. Das Buch erschien 1519 in Basel. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Niemand Geringerer als Erasmus von Rotterdam singt in seinen im Jahr 1500 erstmals erschienenen Adagia unter dem Sprichwort «Festina lente» (Eile mit Weile) ein Loblied auf die beiden Humanistendrucker Aldus Manutius in Venedig und Johannes Froben in Basel, die sich beide grosse Verdienste um die antike Literatur erworben hätten: «Was Aldus in Italien ins Werk setzte – denn er selbst hat das Zeitliche gesegnet, während seine Offizin bis heute noch vom großen Ruf seines Namens zehrt –, darum bemüht sich Johannes Froben im Raume nördlich der Alpen mit nicht weniger Eifer als Aldus und keineswegs erfolglos, aber, was man nicht leugnen kann, mit ungleich geringerem Ertrag.»

Froben spezialisierte sich aber nicht nur auf antike Literatur, sondern wurde auch zum Hausdrucker von Erasmus selber. Darin erkannte der friesische Gelehrte Wigle fen Aytta fen Swigchem (Vigilius ab Aytta Zuichemus), der sich 1533 in Basel aufhielt, den Grund dafür, dass Froben über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden sei. Es sei dahingestellt, ob der Name Frobens für antike Autoren oder für Erasmus oder für beides stand, sicher ist, dass aus der Beibehaltung des gedruckten Verlagsprogramms über Jahre hinweg geschlossen werden kann, dass von den betreffenden Titeln entsprechend grosse Stückzahlen produziert worden sind. Die Bücher erfreuten sich einer mehr oder weniger stabilen Nachfrage, und die jeweilige Offizin reklamierte dieses Feld beziehungsweise diese Autoren gewissermassen als ihr Eigentum, mit denen sich gut Geld verdienen liess. Die zum Teil stattlichen Auflagen von mehreren tausend Exemplaren, die den Absatz für geraume Zeit gewährleisten sollten, erforderten entsprechenden Stapelplatz, der nicht immer leicht zu bekommen oder zu finanzieren war, wie etwa aus dem Briefwechsel des Basler Buchdruckers Johannes Oporinus hervorgeht.

Während des 16. Jahrhunderts behielten die berühmten Buchstätten des Inkunabelzeitalters wie Augsburg, Basel, Köln, Lyon, Paris und Venedig grundsätzlich ihre führende Rollen im Buchgeschäft. Neu hinzu kamen Wittenberg und Genf als Wirkungs- und hauptsächliche Druckorte der Reformatoren Martin Luther und Johannes Calvin. Antwerpen stieg zur Handelsmetropole auf, was sich auch in der Buchproduktion niederschlug, und London beherrschte den wachsenden englischen Markt. Infolge der blutigen spanischen Besetzung der südlichen Niederlande wichen verschiedene Drucker 1585 von Antwerpen in den freieren Norden aus und machten Amsterdam zur neuen Buchmetropole, die im 17. Jahrhundert zur vollen Blüte kommen sollte.

Lesen Sie Teil 4: Buchpreise und Bestseller

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