Die Pest im Mittelalter auf einem Schulwandbild von 1965.
Ingold Verlag / Ursula Fischer-Klemm

Die Pest

Sie kam schleichend. Von Osten. Erst war sie nur ein Gerücht, dann wurde sie zu einer grassierenden Krankheit. Die Pest hat im Mittelalter gewütet und ganze Landstriche leergefegt.

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer ist Historiker und Autor.

Als Erstes kamen die Gerüchte. Von einer Krankheit. Aus Indien stamme sie oder aus dem Orient; in Sizilien gehe sie schon um. Es folgten die Berichte aus Marseille, dann kroch sie die Rhone hoch. Einen Namen hatte sie nicht, wer von ihr sprach, nannte sie bloss die Seuche oder lateinisch Pestis – aber es war besser, man sprach nicht von ihr.

Einige stifteten daraufhin Kirchen und Kapellen, andere bereuten ihre Sünden und peitschten sich öffentlich aus. Manche tanzten und tranken auch, als wär’s das letzte Mal. Einige versteckten sich und wieder andere behaupteten, die Krankheit sei das Werk der Juden – sie würden die Brunnen vergiften. In Basel wurden die schlimmsten Hetzer aus der Stadt geworfen. Wenig später kehrten sie auf öffentlichen Druck zurück. Die Basler Juden überlebten die nächsten Tage nicht.

Dann, im Jahr 1347, kam sie – die Pest. Wer krank wurde, dem wuchsen Beulen an Hals, Achseln und Leisten: bis zehn Zentimeter gross, schwarz verfärbt, voller Blut und Eiter. Dazu Fieber, Schmerzen und soziale Ächtung. Die meisten starben in wenigen Tagen und viele starben allein. Eltern verliessen ihre Kinder und Kinder ihre Eltern. Die Kirche bot keine Antworten, Geistliche starben besonders oft, aber auch die Medizin war machtlos. Manche Ärzte vermuteten stinkige, «verpestete Luft» als Auslöser und entzündeten Weihrauch zum Schutz. Andere rieten den Leuten auch bloss «cito, longe, tarde» – flieht schnell, weit weg und für lange.

Die Westschweiz traf es besonders hart. In Genf, Lausanne sowie in Saint-Maurice starb jeder dritte Einwohner. Noch heftiger traf es die Walliser Dörfer Fully, Saillon und Riddes, wo sich die Zahl der Haushalte halbierte. Das öffentliche Leben brach vielerorts zusammen, der Pest folgten Hunger und Elend.

Wer überlebte, fand sich in einer Welt voller Lücken wieder. Manche Bauernhöfe waren verlassen, manche Weiler aufgegeben, manche Klöster leer. Das eröffnete auch überraschende Chancen: Auf dem Land konnten es arme Schlucker plötzlich zu einem Hof bringen und die Städte verliehen das begehrte Bürgerrecht nun freizügig. Auch die Familien flickten ihre Lücken – mancherorts wurden im Jahr nach der Pest viermal so viele Ehen geschlossen wie sonst. Bis sich die Gesellschaft allerdings ganz von der Epidemie erholt hatte, dauerte es Jahrzehnte und die Pest wütete in Europa noch bis ins 18. Jahrhundert. Erst 1894 gelang es, den Erreger zu isolieren. Der Entdecker war ausgerechnet ein Vaudois: Alexandre Yersin, Arzt und Bakteriologe aus Morges.

Altarbild aus dem frühen 16. Jahrhundert. Darauf hat Maler Hans Leu der Jüngere Sankt Rochus, der Schutzheilige der Pestkranken, dargestellt.
Schweizerisches Nationalmuseum

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