Christkind oder Samichlaus?
Am Heiligabend oder am Weihnachtstag ist Bescherung! Doch war das schon immer so? Bis vor 150 Jahren freuten sich die Kinder vor allem auf den 6. Dezember.
Die Art Weihnachten zu feiern, unterscheidet sich von Familie zu Familie. Das Weihnachtsfest ist immer gleich und doch sehr verschieden. Trotzdem sind sich die Kinder in der Deutschschweiz einig, dass das Christkind am Heiligabend, dem 24. Dezember, die Geschenke bringt und der Samichlaus am 6. Dezember Mandarinen, Nüsse und Schokolade verteilt. Ein Blick zurück zeigt, dass früher nicht nur die Menge der Geschenke kleiner, sondern auch der Überbringer ein anderer war.
Weihnachten als Familienfest existiert in der Schweiz erst seit dem 19. Jahrhundert. Zuvor war das Fest rein religiös geprägt und Teil des Kirchenjahrs. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Wirtschaftsaufschwung und das damit verbundene Aufkommen der Konsumgesellschaft zu einer Kommerzialisierung des Weihnachtsfests. Unter den reich geschmückten Christbäumen kam es zu einer regelrechten Geschenkeflut. Wir kennen die Erzählungen unserer Grosseltern, wie – aus Sicht des 21. Jahrhunderts – bescheiden die Bescherung an Weihnachten vor nur 100 Jahren jeweils ausfiel. Die Enkelin der in Baselland aufgewachsenen Anna Spiess-Dettwiler (1849 – 1934) erzählt von den Erinnerungen ihrer Grossmutter an Weihnachten um 1890:
«Die Weihnacht wurde erst am eigentlichen Weihnachtstag gefeiert, die Bescherung war dafür bereits frühmorgens. […] Die beiden kleinen Mädchen konnten es kaum erwarten, bis der Grossvater aus dem Stall kam. Dann öffnete er jeweils den kleinen Schieber über dem Ofen und hob das eine nach dem anderen hoch um durch die Öffnung zu schauen. Jedes meinte, noch die goldigen Haare oder den Schein des Christkinds erblickt zu haben. […] Es gab noch keine grossen Geschenkberge unter dem Baum, aber die Freude war sicher ebenso gross wie heute. Wie freuten sich die Kinder, als sie ihre Puppe mit einem neuen Röcklein oder sogar mit einem neuen Kopf unter dem Baum gefunden hatten».
Überbringer der Geschenke ist hier bereits das Christkind. Bis ins 19. Jahrhundert beschenkte man sich in weiten Gegenden der Schweiz jedoch nicht an Heiligabend oder am Weihnachtstag, sondern, vor allem in katholischen Gebieten, am Nikolaustag, dem 6. Dezember. Im Tessin fand die Bescherung am Dreikönigstag, dem 6. Januar, und in den reformierten Gebieten mehrheitlich an Neujahr statt. Überbringer der Geschenke war passend dazu der Sankt Nikolaus, im Schweizerdeutschen «Samichlaus» genannt. Der Nikolaustag ist noch heute stark regional geprägt und zeugt von dessen historischer Bedeutung als Tag der Geschenke. So beschenkt der Samichlaus die Kinder auch heute noch mit Mandarinen, Schokolade und Nüssen. In gewissen Gegenden zeugen Klausenmärsche oder Treichelumzüge von den alten Volksbräuchen.
Die Reformation im 16. Jahrhundert lehnte die Heiligenverehrung und somit auch den Sankt Nikolaus ab. Die Reformatoren ersetzten den Nikolaus mit dem «heiligen Christ» und verlegten die Bescherung auf dessen Geburtstag, den 25. Dezember. Über die Jahre löste sich die Vorstellung des Christkinds immer mehr von Jesus Christus, so dass sich das Christkind zu einer eigenständigen engelsgleichen Figur entwickelte und es sich als Geschenküberbringer etablierte.
Die Beweglichkeit der Weihnachtstraditionen zeigt sich aber auch in der Tatsache, dass im 18. bis 19. Jahrhundert in gewissen Gebieten der St. Nikolaus in Person des weniger religiös geprägten Weihnachtsmanns wieder auftauchte. Vor allem in Deutschland verdrängte der Weihnachtsmann das Christkind wieder als Geschenkeüberbringer an Weihnachten. Am ursprünglich reformierten Christkind wiederum fand man dank seiner engelhaften Erscheinung in katholischen Gebieten Gefallen und führte es bis ins 20. Jahrhundert als Schlüsselfigur der Bescherung ein. In der Schweiz existieren Samichlaus und Christkind heute nebeneinander, wobei der Samichlaus am Nikolaustag und das Christkind an Weihnachten Geschenke verteilt. Dass die beiden aber auch zusammenarbeiten können zeigt der Bericht von Anna Spiess’ Enkelin:
«Der Samichlaus trug eine schwarze Pelerine mit einer grossen Kapuze und hatte einen grossen Bart. Wenn die Kinder ihre Versli aufgesagt und er ihnen erzählt hatte, was sie während der Jahres recht und was schlecht gemacht hatten, leerte er seinen Sack aus: gedörre Apfel- und Birnenschnitze, gedörrte Chriesi, Nüsse und ein paar Guetzli, wenn es gut ging sogar eine kleine Schokolade für jedes Kind purzelten auf den Boden. Dann ging er zurück in den Wald. […] Wenn dort jeweils Nebelschwaden zu sehen waren, wusste man; Aha! Jetzt hilft der Samichlaus dem Christkind beim Backen der Lebkuchen».