Arbeitsraum der P-26 in der unterirdischen Bunkeranlage «Schweizerhof» bei Gstaad im Berner Oberland.
Keystone/Str

Das «Projekt 26»

1990 wird die P-26 enttarnt. Die geheime Kaderorganisation sollte im Falle einer Besetzung der Schweiz den Widerstandswillen der Bevölkerung wecken, stärken und erhalten.

Claudia Moritzi

Claudia Moritzi

Claudia Moritzi ist Historikerin und ehemalige Leiterin des Museums Altes Zeughaus in Solothurn.

Im Februar 1990 veröffentlichte die Schweizer Illustrierte einen Artikel mit dem Titel «Die Geheimarmee der EMD-Spione: 2000 Männer und Frauen, ausgebildet im Bombenlegen, im lautlosen Töten. Leute wie du und ich: die unheimliche Sondertruppe der EMD-Spione». Die Reaktionen auf das Gerücht der Existenz einer «Geheimarmee» waren – am Ende des Kalten Krieges und kurz nach dem Fichenskandal, welcher das Vertrauen in die Institutionen tief erschütterte – heftig.

Das Parlament setzte eine Untersuchungskommission (PUK) ein, welche die Vorkommnisse im Eidgenössischen Militärdepartement beleuchten sollte. Der im November 1990 vorgelegte Bericht der PUK EMD bestätigte die Existenz einer geheimen Kaderorganisation zur Vorbereitung des Widerstandes.

Ausschreitungen bei einer Demonstration gegen staatliche Fichierung im März 1990.
ASL / Schweizerisches Nationalmuseum

Man diskutierte in der Folge insbesondere über Legalität und Gefährdungspotenzial der P-26. Ein Teil der Linken befürchtete, dass sich die Notstandsmassnahmen gegen sie hätten richten können. Denn gemäss der Grundkonzeption der Organisation von 1982 war eines der Szenarien, bei dem die P-26 hätte zum Einsatz kommen sollen, «der innere Umsturz durch Erpressung, Unterwanderung und/oder dergleichen». Das prägende Szenario war jedoch jenes einer Fremdbesetzung – also eines sowjetischen Einmarsches.

Der Aufbau der geheimen Organisation begann 1979. Die Bezeichnung «P-26» bzw. «Projekt 26» geht auf die Konzeption der Gesamtverteidigung von 1973 zurück. Diese umfasste auch nicht-militärische Aspekte der Landesverteidigung und behandelte unter Artikel 426 den «Widerstand im feindbesetzten Gebiet». Bereits vor der P-26 gab es jedoch Widerstandsvorbereitungen im Territorial- und später im Spezialdienst, die unter dem Eindruck der Machtergreifung der Kommunisten in der Tschechoslowakei 1948 und insbesondere nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 und des Prager Frühlings 1968 getroffen worden waren.

Efrem Cattelan alias «Rico» übernahm die Leitung und den Aufbau des «Projekts 26». Unter strikter Geheimhaltung wurden «unauffällige Durchschnittsbürger» und -bürgerinnen rekrutiert, die im Besetzungsfall den Widerstand gegen die Besatzungsmacht wecken und zu stärken sollten. Die Mitglieder erhielten eine Grundausbildung im Pistolenschiessen und in konspirativem Verhalten. Dazu gehörte das Anlegen von toten Briefkästen ebenso wie Filature, das Abschütteln von Verfolgern. In der Fachausbildung wurden die Mitglieder in spezifischeren Tätigkeiten geschult, die je nach Fachgruppen variierten. Während z.B. Funkerinnen und Funker in die verschlüsselte Nachrichtenübermittlung eingeführt wurden, übten Genisten Schiessen und Sprengen und Mitglieder der Fachgruppe «3M» den sicheren Transport von Menschen, Material und Meldungen.

Efrem Cattelan, 1990.
Bibliothek am Guisanplatz, Portraitsammlung Rutishauser

Schulungsunterlagen der P-26 zum konspirativen Verhalten: Lösungen zu Testfragen zum Thema «Rendez-vous», Möglichkeiten für getarnte Verstecke von Material-Containern und Tipps für Standorte von sogenannten «toten Briefkästen» zur Übermittlung von Nachrichten.
Schweizerisches Bundesarchiv

Die P-26 war in 40 über die ganze Schweiz verteilten Regionen organisiert. Es gab 34 «blaue» und sechs «rote» Regionen. Letztere lagen in wirtschaftlich, politisch und verkehrstechnisch wichtigen Gebieten und waren personell stärker ausgebaut. Für jede dieser 40 aktiven Regionen gab es als Backup-Plan im Hintergrund eine schlafende Region, die bei Ausfall der aktiven Region hätte übernehmen können (Hydra-Prinzip). Untereinander waren die Regionen abgeschottet. Jede Region bestand aus mehreren Kleingruppen und nur innerhalb dieser kannten sich die Mitglieder.

1990 hatte die P-26 rund 300 Mitglieder, die mindestens einen Kurs besucht hatten. Auch einige Frauen waren Mitglieder der Organisation – allerdings waren es weniger, als es sich Efrem Cattelan gewünscht hatte. Er erklärte dies mit einem «interessanten sozialen Phänomen»: «Auch im Zeitalter fortgeschrittener Emanzipation» sei es Frauen nicht möglich, mit einer vagen Begründung mehrere Tage von zu Hause abwesend zu sein.

Finanziert wurde die P-26 aus Bundesmitteln – sie kostete von 1979 bis 1990 rund 54,3 Millionen Franken. Die Aktivierung hätte im Ernstfall durch den Bundesrat erfolgen sollen.

Verteilung der 40 Regionen der P-26. Die roten Regionen waren stärker ausgebaut als die blauen.
Karte aus Titus J. Meier, Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall. Die Schweiz im Kalten Krieg, NZZ Libro, 2018; Bearbeitung B. Maggio und N. Hänni.

Die P-26 war ein geheimes Projekt und die Mitglieder waren an die Geheimhaltungspflicht gebunden. Diese blieb auch nach der Enttarnung der Organisation bestehen. Erst 2009 wurde die Schweigepflicht aufgehoben. Seither sind einzelne Personen an die Öffentlichkeit gelangt, andere haben zumindest ihr Umfeld über ihre frühere Tätigkeit in der P-26 informiert. Einige haben sich entschieden, zu schweigen. Bis 2041 bleibt die Mitgliederliste unter Verschluss.

Interview mit Susi Noger, einem ehemaligen Mitglied der P-26, in der Sendung «Aeschbacher» vom 15. Januar 2015.
SRF

P‑26 — Geheime Widerstands­vor­be­rei­tun­gen im Kalten Krieg

31.08.2019 30.12.2020 / Museum Altes Zeughaus Solothurn
Im Nachgang zum Fichen-Skandal gerät auch das bis dahin geheime Projekt 26 (P-26) ins Schlaglicht der Medien. Es handelt sich dabei um eine Kaderorganisation zur Vorbereitung des Widerstandes im Besetzungsfall. Als die Organisation 1990 enttarnt und aufgelöst wird, ist sie noch immer im Aufbau und umfasst rund 300 Mitglieder. Die Ausstellung nähert sich der Geschichte und Gestalt der P-26 an und bettet die Organisation in den Entstehungskontext der Schweiz im Kalten Krieg ein. Sie bewegt sich im Spannungsfeld von Skandal und demokratischen Forderungen, Ängsten unterschiedlicher politischer Lager und Lebensrealitäten der Mitglieder.

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