Museum für Hoffnungen
Futurium, so heisst das neue Berliner Museum für Technologie und Gesellschaft. Es ist ein Ort der Information und des Nachdenkens über aktuelle Gestaltungsspielräume in unserer Welt.
Viele empfinden die Gegenwart als unsicher und unruhig. Das war schon vor der Covid-19-Pandemie so und hat sich unter deren Eindruck noch verstärkt. Ein idealer Nährboden für Zukunftsvisionen aller Art. Manche preisen wie gehabt die technologische Utopie. Man muss nur die richtigen Instrumente haben, dann lässt sich alles regeln. Andere zeichnen mitunter düstere Dystopien. Schreckszenarien vom Auseinanderbrechen unserer Zivilgesellschaft, von der Störung existentieller Funktionszusammenhänge wie Stromversorgung, Internet oder Lieferketten werden schon seit einiger Zeit herumgereicht. Ansatzweise werden sie da und dort auch real erfahrbar. Daneben dräut weiterhin und vor allem die Klimakatastrophe. Alternativen zu den düsteren Visionen und vor allem Handlungsoptionen scheint es aus dieser Perspektive nicht zu geben.
Oder etwa doch? Genau hier setzt das neueste Berliner Museum mit dem pseudolateinischen Namen «Futurium» an. Eröffnet wurde es im September 2019. Kurz gesagt, handelt es sich um ein auf höchster politischer Ebene angesiedeltes Prestigeprojekt der Wissenschaftskommunikation. Es steht unter Federführung des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die grossen Forschungsinstitute, wie Max Planck oder Helmholtz, sind beteiligt. Neben namhaften Adressen für die Klimaforschung, Technikfolgenabschätzung und Ethik kommen selbst Design und Kunst zum Zug. Zu den Initianten gehört neben dem Deutschlandradio die Bundeskunsthalle. Kaum erstaunt, dass auch die Industrie von BASF über Siemens bis Infineon begrüsst wurde.
Der 58-Millionen-Euro-Bau befindet sich in Gehdistanz zum Berliner Hauptbahnhof, mit Blick zum Regierungsviertel. Der kühle Glas-Stahl-Kristall passt bestens zum neuentstandenen Quartier am Spreebogen, das derzeit systematisch mit Neuberliner Retortenarchitektur zugeklötzelt wird. Sah so nicht die architektonische Zukunft von gestern aus? Immerhin handelt es sich, das gibt die Homepage preis, um einen «Niedrigstenergiebau».
Kaum haben wir den Empfangsbereich (mit menschlichem Personal) Richtung Ausstellung verlassen, prallen wir auf den sprechenden Roboter Pepper. «Hallo Menschlein!», quatscht der uns an. Besser kann man die Erniedrigung des Menschen durch die Maschine kaum auf den Punkt bringen. Unser leichtes Stirnrunzeln jedoch erkennt das hochmütige Pepperlein (noch) nicht. Brav folgen wir Peppers Aufforderung, ein bereitliegendes Bändel mit interaktivem Badge anzulegen. Er dient dazu, in der Ausstellung die eigene Meinung kundzutun und den Zugriff auf weitere Informationen zu erhalten.
Ganz geheuer ist das nicht. Werden wir hier selber Teil eines Experiments? Angeblich werden die Daten aber (noch) nicht ausgewertet. Wir wenden uns der Ausstellung zu. Sie beginnt mit einem Zeitstrahl. Er vergegenwärtigt Meilensteine der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung seit der industriellen Revolution, beispielsweise die Erfindung von Elektrizität und Kunststoff oder hochschnellende Bevölkerungszahlen. Das ist informativ und wie das gesamte Museum sehr attraktiv gestaltet, wenn auch etwas viel Text zum Einstieg. Folglich lassen wir uns gerne vom auffälligen Netz aus Gummischnur an der Wand gleich daneben ablenken. Es versinnbildlicht das «Spannungsfeld Zukunft» und die Kräfte, die an diesem zerren. Schlagwörter wie «Hoffnungen», «Menschen», «Weltbevölkerung», «Kulturelle Vielfalt», «Wissenschaft», «Protest», «Ökonomie» fassen diese zusammen. So klar, so trivial: die Gestaltung der Zukunft ist eine komplexe und elastische Angelegenheit.
Rasch wird’s zum Glück konkreter. Wir erfahren anhand eines auch für Sehbehinderte geeigneten Übersichtsdiagramms – das Futurium will Vorzeigekandidat in Sachen Barrierefreiheit sein –, dass sich die Ausstellung in drei «Denkräume» gliedert. Sie drehen sich um Natur, Technik und Gesellschaft. Mit fünf Themen aus der Technik fängt es an: Gene und Medizin, Roboter, Digitale Welt, Energie, Neue Materialien.
Zunehmend weicht unsere Skepsis dem Staunen. Sehr anschaulich, mit einer gut austarierten Mischung aus informativen und für Laien zugänglichen Texten, Bildern, interaktiven Elementen und Exponaten (wie der pionierhaften sprechenden «Therapierobbe» und ihren Weiterentwicklungen) werden wir mit neuesten Entwicklungen der Technologie vertraut(er) gemacht. Wir begegnen raffinierten Prothesen, Zahnreparatur-Bots und hippen Techno-Materialien ebenso wie den Möglichkeiten individualisierter Medizin.
Aber kann das eine Hightech-Messe nicht besser? Nein, genau hier macht das Futurium den entscheidenden zusätzlichen Schritt: Die Besuchenden werden strukturiert und fokussiert in einen Dialog über Vor- und Nachteile dominanter Technik-Trends hineingezogen. So kommt eine Medizinethikerin zu Wort. Ist alles Machbare auch wünschenswert – und um welchen Preis? Mithilfe des Badges von Pepper darf man die sich daraus ergebenden Fragen individuell beantworten. Etwa, ob man sich die Pflege durch einen Roboter vorstellen kann. Wetten, dass die Antwort angesichts der Erfahrungen mit Covid-19 anders ausfällt als zuvor? Denn Roboter würden sich und andere wohl kaum anstecken und könnten für Routinetätigkeiten zum Einsatz kommen. Für die anspruchsvolle Intensivpflege sind Menschen vielleicht doch besser geeignet.
Noch überzeugender ist die Sektion «Gesellschaft». Hier wird die selbstverliebte Techno-Spekulation gegen den Strich gebürstet. So rücken die Auswirkungen von Techniken wie dem 3D-Druck auf künftige Produktions- und Lieferketten, aber auch auf die Arbeitswelt(en) der Zukunft in den Blick. Daneben werden ganz konkrete Handlungsfelder und -modelle dargestellt. Sie betreffen etwa den Konsum, neue Mitbestimmungs- und Planungsmodelle oder Sharing-Initiativen. Auf die Corona-Pandemie wird vorerst vor allem mit Diskussionsveranstaltungen reagiert, wo es etwa um die Folgen der Pandemie für die Klimadebatte geht.
Am spektakulärsten ist der dritte Teil zur Zukunft der Natur. Von begrünter und aus Biomaterial gebauter Architektur übers Klima bis hin zur Ernährung fehlt kaum ein aktueller Trend. Natürlich dürfen die Mehlwürmer und Heuschrecken, die wir künftig vermehrt essen sollen und die inzwischen schon das Spezialitäten-Regal beim Lebensmittelhändler erreicht haben, nicht fehlen. Noch mehr Spass macht das sicher mit dem eigens für den Genuss dieser Viecher erfundenen japanischen Designerbesteck. Das Kapitel über Mikroorganismen als kleinen Helfern lässt das Herz von Hausfrauen und Hausmännern höher schlagen. Wie ernst man sie auch als Bedrohung nehmen muss, ist uns nun allen klar – hier gibt es Anpassungsbedarf.
Das reiche Angebot lädt zum Verweilen ein, unsere Zeit reicht dafür leider nicht aus. Die zu einer Pause einladende Dachrampe mit der spektakulären Aussicht sollte man nicht vergessen. Wir geben unser Pepper-Bändel ab. Der Computer spuckt die Auswertung unseres Besucher-Votings aus (wir sind demnach eher menschen- als technikaffin) und einen Code für die Homepage. Schade, fehlt auch die Zeit für ein Essen im hauseigenen Restaurant. Wenigstens schont das unser Portemonnaie, denn nur schon das Topping «Geröstete Insekten» kostet dort stolze 3,50 Euro. Wenn das Insekt als Massenverpflegung der Zukunft im Preis etwas runterkommt, könnten wir wieder drüber reden.
Zuhause konsultieren wir die Homepage und speisen unseren Code ein. Besser als das etwas dürftige Vertiefungsmaterial gefällt der Blog. Beim Stöbern erfahren wir auch, dass das Futurium bestens ankommt. In den paar Monaten seit der Eröffnung waren bereits 340’000 Menschen da, weit mehr als die erwarteten 200’000 pro Jahr. Jetzt, nach der Corona-Pause, hilft sicher, dass der Eintritt weiterhin frei ist. Aber auch, dass das Futurium die Idee des Museums erfrischend neu denkt. Es definiert sich als Plattform, die nicht nur Information und Bildung, sondern auch Handlungsoptionen vermittelt und Hoffnungen liefert. Etwas, was derzeit gefragter ist denn je.