Videotex-Telefon, Comtel 3210 von Siemens-Albis, 1989.
Im Videotex sahen die PTT eine grossartige Zukunft. ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Videotex

Vor 20 Jahren wurde Videotex eingestellt. Der Informationsdienst war seiner Zeit um Jahre voraus. Warum hat er trotzdem nicht überlebt? Ein Blick ins PTT-Archiv gibt Antworten.

Luca Thanei

Luca Thanei

Luca Thanei ist Historiker und auf die Geschichte der Technik spezialisiert.

Ein Wählscheibentelefon, auf einem Modem, auf einem Röhrenfernseher, auf einem Decoder, auf einer kiloschweren Tastatur. Dieser Aufbau ermöglichte Anfang der 1980er-Jahre erstmals den Zugang zum Videotex, einem neuen Informationsdienst der ehemaligen Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (PTT). Zugegeben, die für den Zugang notwendigen Geräte und deren Anordnung wirken heute ziemlich veraltet. Die Anwendungen des Dienstes verblüffen dafür umso mehr. Denn, mit dem Videotex konnte man am Fernsehbildschirm auf das eigene Bankkonto zugreifen, elektronische Zahlungen vornehmen, die Börsenkurse verfolgen und Wertpapiere kaufen. Ja sogar eine Lebensversicherung abschliessen oder einen Kredit beantragen. Man konnte Versandkataloge ansehen, Waren bestellen und auch gleich am Bildschirm bezahlen. Wetterprognosen, Öffnungszeiten von Restaurants oder der Fahrplan der SBB waren abrufbar und wer wollte, konnte sogar die Ferien über Videotex buchen. Auch die Kommunikation mit anderen Nutzern war möglich. Die ebenfalls angebotenen Messageries waren Vorformen späterer Chatrooms, Foren oder geschlossenen Chatgruppen.
Wie funktioniert Videotex? Kurt Aeschbacher ging dieser Frage 1984 auf den Grund. SRF

PTT rechneten mit globaler Vernetzung

Diese vielfältigen Anwendungen erstaunen und erinnern ein wenig an die Gegenwart. Nicht ganz zu unrecht. Denn tatsächlich zielten die Visionen der PTT, die sie Anfang der 1980er-Jahre mit ihrem neuen Informationsdienst verbanden, auf ein öffentliches Leben, das sich schon bald zu einem grossen Teil im virtuellen Raum abspielen würde. Die PTT rechneten nämlich damit, dass ihren Kunden durch Videotex innert kurzer Zeit und für wenig Geld Millionen von Seiten aus aller Welt zur Verfügung stehen würden und dass der Kommunikation der Teilnehmenden untereinander kaum mehr Grenzen gesetzt wären. Die Entwicklungen in den Nachbarländern, in denen man schon früher damit begonnen hatte, sogenannte Telefon-Bildschirmtext-Systeme auszuprobieren, bestärkten die PTT in ihren Zukunftsvisionen eines sich anbahnenden digitalen Zeitalters: In Frankreich verzeichnete das 1980 erstmals eingeführte Télétel nach wenigen Jahren schon 800'000 Abonnentinnen und Abonnenten und der in der Bundesrepublik seit 1983 betriebene Bildschirmtext zählte allein im Jahr seiner Einführung 30'000 Teilnehmende. Die PTT waren sich deshalb sicher, dass ein vergleichbares System auch in der Schweiz auf reges Interesse stossen würde. Sie überzeugten den Bundesrat, der per Ende 1983 einen ersten Betriebsversuch genehmigte. Dieser sollte vorerst 2000 Kunden Anschluss an ein Schweizer Telefon-Bildschirmtext-System, eben an den Videotex, bieten.
So sah Videotex aus.
Theatertickets kaufen oder Währungskurse beobachten - Videotex bot viele Themen an. PTT Archiv

Erstaun­li­che Zurückhaltung

Doch dann nahmen die staatlichen PTT im Aufbau dieses Schweizer Telefon-Bildschirmtext-Systems eine erstaunlich zurückhaltende Rolle ein. Denn ganz anders als in anderen Geschäftsbereichen der Telekommunikation wollten sie beim Videotex keinerlei Verantwortung für den Zugang oder die Qualität der neuen Informationsangebote übernehmen. Ihr Service Public würde sich stattdessen strikt auf die Bereitstellung der notwendigen Übertragungsinfrastruktur, sprich auf das bestehende Telefonnetz und das neu aufgebaute Datennetzwerk Telepac, beschränken. Was die Endgeräte und vor allem den Inhalt von Videotex betraf, da wollten sich die PTT ganz auf den freien Markt verlassen. Es war ihnen um eine rigide Trennung von Netz- und Nutzverantwortung gelegen, wie es die Beamten selbst ausdrückten. Die fortan an die Privatwirtschaft delegierte Nutzverantwortung des Videotex hatte aber zur Folge, dass sich die Kunden mit verhältnismässig hohen Einstiegskosten konfrontiert sahen: Die nötige Hardware konnte in den 1980er-Jahren schnell einmal über 3000 Franken kosten, das Modem hatte man von den PTT für 12 Franken im Monat zu mieten und für den Anschluss ans Netz wurde eine Grundgebühr von 7 Franken pro Stunde verrechnet. Die vielen kostenpflichtigen Angebote waren da freilich noch nicht mit einbegriffen. Und auch für die Seitenbetreiber war der Zugang zum neuen und vielversprechenden Onlinemarkt teuer, waren für die Umsetzung von attraktiven Videotex-Angeboten doch nicht selten Investitionen von über 100’000 Franken nötig.
Videotex-Werbungen aus den 1980er-Jahren. Museum für Kommunikation

Mit einem Selbst­läu­fer gerechnet

Die PTT kümmerten diese hohen Einstiegskosten für ihren Dienst wenig. Sie waren fest davon überzeugt, dass die Digitalisierung des öffentlichen Lebens im weiteren Verlauf der 1980er-Jahre derart unvermeidlich sei, dass sich Kunden und Firmen zwangsläufig gegenseitig von Videotex überzeugen würden. Der Staatsbetrieb rechnete am Ende des Versuchsbetriebs 1985 mit einem Selbstläufer. Der Bundesrat liess sich wiederum rasch überzeugen und genehmigte 1985 auch den regulären öffentlichen Betrieb des Videotex. Und die Verheissungen der PTT schienen sich in der Folge tatsächlich zu bestätigen. Die Anzahl der Abonnentinnen und Abonnenten stieg. 1992 bot Videotex über 90'000 Haushalten Anschluss an ein Netzwerk, das fortan auch mit den Netzen der Nachbarländer verbunden war. Ab diesem Zeitpunkt war es also möglich, sich in die Angebotsseiten anderer europäischer Telefon-Bildschirmtext-Systeme einzuwählen. 1994 knackte Videotex auch noch die bemerkenswerte Marke von 100'000 Teilnehmenden und war mit über 600 vertretenen Firmen der grösste öffentliche Datenverbund der Schweiz.
Blick auf verschiedene Videotex-Seiten.
Auch Immobilien und Versicherungen wurden gehandelt. PTT Archiv

Viele Gründe für den Niedergang

Dass der Videotex 1994 zum grössten öffentlichen Datenverbund der Schweiz aufgestiegen war, konnte indes nicht verhindern, dass der Niedergang des Dienstes zu diesem Zeitpunkt bereits angefangen hatte. Die Gründe verbargen sich in vielen Parallelgeschichten, die den Videotex Mitte der 1990er-Jahre plötzlich alle gleichzeitig einzuholen schienen: eine fehlende Suchmaschine, unübersichtliche Verzeichnisse, die den Kunden in gedruckter Form geschickt werden mussten, krude Grafik am TV-Bildschirm, langsame Übertragungsraten, unerwartete Tariferhöhungen, die unglaubliche Erfolgsgeschichte des aufkommenden World Wide Webs… Die Monopolbetriebe sahen in ihrem Dienst zunehmend auch ein finanzielles Risiko: Denn die PTT hatten trotz ihrer zurückhaltenden Rolle nie aufgehört weiter in Videotex zu investieren.
So wurde der Informationsdienst Mitte der 1990er-Jahren tatsächlich zum Selbstläufer, allerdings in die falsche Richtung und viel schneller als erwartet. Im Februar 1995 fand eine hastige Auslagerung der Vermarktung von Videotex an eine private Firma statt, die Swiss Online AG. Schon ab Mitte 1996, also noch vor ihrer Liberalisierung, hatten die PTT dann auch mit der technischen Infrastruktur, der Administration, der Verrechnung und dem Kundendienst von Videotex nichts mehr zu tun. Die private Nachfolgerin Swiss Online versuchte gemeinsam mit den Banken zwar noch das bereits bestehende Onlinebanking weiterzuentwickeln, bald verschwand Videotex aber ganz aus der öffentlichen Wahrnehmung. Am 30. September 2000 folgte die offizielle Einstellung des Betriebs, der seiner Zeit eigentlich um Jahre voraus gewesen ist.
Geblieben sind die witzigen TV-Spots für Videotex. Museum für Kommunikation

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